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; O
Die
Länder an der unteren Donau
und
Konstantinopel.
-•o«-
Reise -Erinnerungen aus dem Herbst 1868
von
Dr. WV^Brennecke,
Direktor der Realschule zu Posen.
-oooO<fi><>4 ^^g> 4<><^>00<K»-
HAMOVER.
Hahn*sche Hofbuchhandlung.
1870.
SUt-siJife'
OCT 18 1901
Druck von August Grimpc in Hannover.
St. Excellenz
dem Minister des Inneren von Rumänien
Herrn Michael Cogalniceano,
Ritter dea Königlichen Preassischen Rothen Adlerordens I. Classe u. s. w.
widmet diese Sohrift •
in ehrerbietiger Erkenntlichkeit für die ihm nach einem Zeitraum von einem Drittel Jahrhindert
bewahrte Anhänglichkeit und Zuneigung
sein früherer Erzieher
Wilhelin Brenneoke.
Ew. Excellenz
bitte ich gehorsamst, die Widmung des vorliegenden
Werkchens huldvoll anzunehmen, dessen Grundge-
danke ist nachzuweisen, wie die wohlthätige Kraft
deutschen Geistes und deutscher Gesittung in den
Ländern an der unteren Donau, wesentlich unter
Ihrer Aegide, schon jetzt so herrliche Früchte ge-
zeitigt hat. Ew. Excellenz bitte ich, nachsichtig über
manche Flüchtigkeiten und mögliche irrthümliche Auf-
fassungen hinwegzusehen.
Ihr Enthusiasmus für Ihr Vaterland, von dem Sie
schon als Jüngling bis zur Schwärmerei erfüllt waren,
ist mir in frischester Erinnerung. Sie haben Ihr
ganzes Leben und alle Ihre Kräfte dem Dienste
Ihres Vaterlandes gewidmet und ungeahnte Erfolge
erzielt. Die Geschicke Ihres Vaterlandes in den
letzten dreissig Jahren sind innig verwachsen mit
Ihrer personlichen Thätigkeit, zu deren Anregung in
Ihrer Jugend mitgewirkt zu haben, ich mir zum be-
sonderen Verdienste anrechne.
Neujahr 1870.
Dr. W« Brennecke.
.4M
Vorwort.
Gregen Ende des Sommers 1868 wurde ich ver-
anlasst, eine Reise nach der untern Donau und nach
Konstantinopel zu unternehmen. Meine Reise - Erinne-
rungen habe ich theilweise als Feuilleton -Artikel in der
Posener Zeitung veröffentlicht. Mehrfach aufgefordert,
dieselben einem grösseren Lesepublikum zu unter-
breiten, habe ich mich entschlossen, meine damaligen
Beobachtungen und Erlebnisse in Betracht der welt-
geschichtlichen Bedeutung des Orients, welcher gegen-
wärtig sich der europäischen Kultur einreiht, indem
er seine fernerhin unhaltbare Absonderung aufgiebt
und sich den modernen Ideen erschliesst , in Form
eines Werkchens zu verfassen, welches bei seinen
geringen Ansprüchen auf die gütige Nachsicht der
Leser rechnet.
Mein Werkchen ist so abgefasst, dass e& zugleich
den Zwecken der Unterhaltung und Belehrung dient
VIII
k
und als ein Beitrag zur heutigen Länder- und Völker-
künde gelten kann, auch für Leih- und Schüler-
Bibliotheken sich eignen möchte.
Die äussere elegante Ausstattung verdankt dieses
Werkchen der Liberalität meines Verlegers, des Herrn
Ober-Commerzraths Heinrich Wilhelm Hahn in
Hannover.
Dr. W. Brennecke,
Realschaldirektor iu Posen.
T
Inhalts -Verzeichniss.
8e(f«
1. Die Donau 1
2. Ofen-Pest 3
3. Von Pest- Ofen bis Neusatz -Peterwardein 12
4. Neusatz -Peterwardein 17
5. Syrmien 18
6. Mündung der Theiss 20
7. Semlin- Belgrad 21
8. Die banatisch- serbische Miiitärgrenze 24
9. Serbien 25
10. Basias 26
11. Moldova 27
12. Reisegesellschaft 28
13. Die Donaukatarakten und das eiserne Thor 29
14. Turn-Severin 38
15. Von Turn-Severin bis Widdin . 40
16. Widdin 41
17. Von Widdin bis Rustschuk-Giurgewo 43
18. Von Rustschuk-Giurgewo nach Braila 49
19. Braila 52
20. Braila und Galatz 54
21. Rumänien und die Rumänen 60
22. Ein Ausflug in die Dobrudscha 62
23. Römische Ruinen in der Dobrudscha 70
24. Abreise von Galatz. Die Messageries Imperiales 74
25. Der Pruth und der Pariser Frieden (1856) 76
26. Die europäische Donau -Regulirungs- Kommission 77
27. Von der Mündung des Pruth bis Tulcia 78
28. Von Tulcia nach Sulina. Delta der Donaumündung . ... 80
29. Von Sulina über das Schwarze Meer bis Vama. Reisegesellschaft 83
30. Die Delphine 87
31. Die Fahrt durch den Bosporus ' 88
32. Der erste Eindruck von Konstantinopel 93
33. Geschichtliches 98
34. Orientirung 100
35. Die Moscheen 103
X
Heite
36. Die Agia-Sophia 107
37. Das Serai 115
38. Mekteb-i-Soultani, kaiserliches ottomanisches Lyzeum .... 122
39. Reisekaravane. Die Gasthöfe von Pera 129
40. Die Achmedi^h .131
41. Der Atmeidan 132
42. Die Vernichtung der Janitscharen 133
43. Das Museum 134
44. Zisterne der 1001 Säulen 135
45. Turbe des Sultans Mahmoud (f 1823) 135
46. Kriegsministerium, Solimanieh 136
47. Das asiatische Ufer und die himmlischen süssen Wasser von Asien 137
48. Unvollendeter Palast. Ruinen am Bosporus 140
49. Vüla Hansom 140
50. Böylerb^y 141
51. Kaiks 142
52. Skutari 143
53. Der grösste Friedhof auf Erden 144
54. Ein Kadinnen- Korso 146
55. Der Berg Bürgerin 146
56. Nächtliche Ueberfahrt von Asien nach Europa 147
57. Kiz-Kulessi oder Leander -Thurm 148
58. Rückkehr nach Pera 149
59. Die Prinzeninseln. Prinkopo 149
60. Der Thurm zu Galata 152
61. Goldenes Hörn und die süssen Wasser von Europa 152
62. Besestan-Bazar 153
63. Häuser- Ameublement 154
64. Die Frauen in Konstantinopel 155
65. Islam •. 156
66. Fremde und Einheimische in Konstantinopel 156
67. Schlussbetrachtung über Konstantinopel 159
Anhänge.
Notizen Über das Bahnnetz in Rumänien 161
Notiz über Galatz . 163
Skizzen und Bilder aus den Ländern an der unteren Donau . . . 165
I
1. Die Donau;
JJie Donau ist derjenige Fluss in Europa, bei welchem
der direkte Abstand der Quelle von der Mündung der grösste
ist, indem er 220 deutsche Meilen beträgt, wogegen diese Ent-
fernung bei der Wolga nur 210 Meilen gross ist. Die Donau
hat ferner die Eigenthümlichkeit, der einzige grössere Fluss
zu sein, welcher ungefähr parallel mit den Breitegraden un-
seren Erdtheil durchströmt. Kein europäischer Fluss durch-
fliesst so verschiedenartige Länder-, Racen- und Sprachgebiete
als die Donau. Seine Hauptwichtigkeit erlangt aber dieser
Strom durch seine weltgeschichtliche Bestimmung, die deutsche
Bildung dem fernen Oriente zuzuführen. Schon erörtert man
an den Donaumündungen vielseitig die Frage, welches deutsche
Reich und welche Dynastie von der Vorsehung ausersehen sei,
den Orient der Verwilderung zu entreissen und der Gesittung
zuzuführen.
Die Bevölkerung des Donau-Flussgebietes theilt sich nach
den drei Hauptabtheilungen in drei Gruppen. Das Donau-
Hochland ist von Deutschen (Schwaben, Bayern, Oestreichern)
bewohnt und uraltes deutsches Kulturland, reich an deutschen
geschichtlichen Erinnerungen. Das mittlere Donau -Becken
bildet eine bunte Musterkarte verschiedener Nationalitäten,
gehöi-t überwiegend den Magyaren und Slaven. Im Mündungs-
gebiete wohnen die Rumänen und Bulgaren, befinden sich die
Kolonien der Tscherkessen und Tartaren. Aber die Deutschen
haben sich auch im mittleren Donau-Becken und im Mündungs-
gebiete angesiedelt. Alle Bergleute sind ausschliesslich deutsch,
ebenso die Bauunternehmer und alle Faktoren eines künst-
lerischen Gewerbefleisses. Im Donau -Tief lande sollen über
anderthalb Millionen deutscher Abkunft wohnen. Deutscher
Einfluss, jetzt so hartbedrängt, ist für das Donauland von 'jeher
1
das anregende und belebende Prinzip, der Ursprung aller Ge-
sittung gewesen. Die Donauländer verdanken den Deutschen
zumeist ihre ganze Civilisation, die bei allen Gebildeten der
unteren Donauländer durchaus deutschen Typus trägt. Lächer-
lich ist es, wenn die Rum&nen jetzt so mit Frankreich ko-
kettiren und jedes Kaffeehaus mit den lebensgrossen Gemälden
Napoleon III. und der Eugenie schmücken. Bereise die un-
teren Donauländer und -wenn du aufmerksam die .dortige Re-
generation beobachtest, so wirst du mit froher Zuversicht und
neuem Vertrauen erfüllt werden für die Kraft und die Zukunft
deines deutschen Vaterlandes!
Die Deutsche Donau - Dampfschifffahrts - Gesell-
schaft, D. D.-G., wie auf den Uniformen der Beamten steht,
bewirkt vorzugsweise den Verkehr zwischen dem christlichen
und dem muselmännischen Europa. Der Betrieb dieser D. D.-
Gesellschaft ist von unermesslich kommerzieller und politischer
Tragweite, er steht in unmittelbarer Verbindung mit dem öst-
reichischen Lloyd. Die Direktion der Gesellschaft hat ihren
Sitz in Wien. Die Gesellschaft hat mehr denn 200 Dampf-
schiffe von d^n verschiedenartigsten Dimensionen, die theils als
Passagierschiffe, theils als Transportschiffe, theils als Remor-
queurs von mehr als 500 Schleppkähnen (Platten) dienen. Vor-
zugsweise ist die Benutzung der Eilschiffe für die orientalische
Reise zu empfehlen. Man kann so von Wien mit Benutzung
der Eisenbahn von Wien bis Basias die Reise nach Konstan-
tinopel in 3 Tagen zurücklegen, bergaufwärts in 4 Tagen. Die
Eilschiffe sind zweckmässig eingerichtet, und wird für die beste
Beköstigung, deren Betrag in dem Passagepreis (100 Thlr. auf
der ersten Klasse von Wien bis Konstantinopel, Dampfboot
und Eisenbahn) eingerechnet ist, gesorgt. Die Schlaf säle,
Herren- und Damensalons sind mit jedem möglichen Komfort
ausgestattet, der fast an Luxus grenzt. Hat man ein durch-
gehendes Billet, z. B. von Wien nach Konstantinopel genommen,
so ist man jeder Sorge für sein aufgegebenes Gepäck enthoben
und wird auf Kosten der Gesellschaft bei den Uebergängen
auf verschiedene Transportmittel, z. B. in Varna vom Eisen-
bahnhof zum Seedampfschiff, befordert.
Die Dampfschifffahrt auf der Donau wird von derselben
Unternehmung von Donauwörth bis Sulina betrieben. Die
Donau durchläuft mit ihren Krümmungen auf dieser Strecke
einen Weg von 343 geographischen Meilen.
31 Landungsstationen auf der oberen, 72 auf der unteren
Donau geben Zeugniss von dem grossen Verkehr von Reisenden
und Gütern, die durch die Gesellschaft während der Schiffbar-
keit des Stromes, die von Mitte December bis Ende März
aufzuhören pflegt, befördert werden. Es ist dies ein deut-
sches Unternehmen, dem sich kein zweites auf irgend einem
Strome der alten und neuen Welt gleichstellen kann. Das
westliche Europa wird durch die D. D.- Gesellschaft mit den
unteren Donauländern und der Levante in unmittelbare Ver-
bindung gesetzt und ein lebhafter Austausch von Erzeugnissen ^
der Industrie gegen Rohprodukte herbeigeführt.
Berichterstatter hat die Thalfahrt auf der Donau von Wien
bis zur Mündung in das Schwarze Meer auf einem Passagier-
schiffe, die Bergfahrt von Rustschuk bis Basias auf dem Eil-
schiffe zurückgelegt.
2. Ofen -Pest.
, Beginnen wir die Schilderung unserer Donaufahrt mit Ofen-
Pest. Schon hier treffen wir auf eine Eigenthümlichkeit der
Donau, dass nämlich immer die grösseren Städte paarweise
einander gegenüber sich vorfinden: Ofen-Pest, Peterwardein-
Neusatz, Belgrad -Semlin (auf den gegenüberliegenden Ufern
der Save beim Einfluss in die Donau), Widdin-Kalafat, Giurgewo-
Rustschuk, Braüa- Matschin u. s. w. Die Städte auf dem
rechten Donauufer sind durch geschichtliche Erinnerungen ge-
weihet, aber heruntergekommen von ihrem früheren Glänze;
die Städte auf dem linken Donauufer blühen auf, schreiten vor
durch Handel und Betriebsamkeit; die Städte auf dem rechten
Donauufer gehören der Vergangenheit an, diejenigen auf dem
linken der Zukunft. Im Allgemeinen ist das rechte Donau-
ufer felsig, pittoresk, das linke eben und einförmig bis zur
Ermüdung.
Berichterstatter wird sich bei seiner Schilderung von Pest-
Ofen darauf beschränken zu erzählen, was ihm am meisten
aufgefallen ist.
1) Die kolossale Kettenbrücke, welche die beiden
Schwesterstädte Pest-Ofen verbindet, mit einer Aussicht auf die
1*
Ufer, die an Grossartigkeit bei weitem die von der Dresdener
Eibbrücke übertrifft. Die Kettenbrücke ist 1200 Fuss lang,
42 Fuss breit und schwebt 60 Fuss über dem Spiegel der stolz
darunter hinströmenden grünen Donau. Diese Kettenbrücke ist
ein Prachtwerk ; man kann sich nicht satt sehen an der Kraft
der Pfeiler und der Ketten, muss dabei die Leichtigkeit und
Eleganz bewundern, welche dieses Riesenwerk unseren Blicken
darbietet. Aufgefallen ist mir der rasche Gang, das rüstige
Vorwärtseilen und die Rührigkeit der Passagiere auf der Brücke,
von denen, wie rasch ich auch nach meiner Meinung dahin
eilte, ich stets bald überholt wurde. Bei den grossen in Stein
ausgehauenen Löwen, welche über der Brücke thronen, hat
der Bildhauer die Zungen vergessen.
2) Der schöne, breite und hohe ausgemauerte Tunnel,
welcher in Ofen von der Kettenbrücke unter dem Schlossberge
1104' lang durchführt und den Verkehr zwischen Pest und
den hinter dem Berge liegenden Vorstädten und Landwohnun-
gen von Ofen erleichtert.
3) Die Promenade, Nah- und Fernsicht von den Glacis
der Festung Ofen.
4) Die warmen Quellen, an denen Ofen einen Ueber-
fluss hat (Schwefel-, eisenhaltige und mit Salz geschwängerte
Quellen). B. hat das Kaiserbad besucht, dort gebadet und
getrunken. Es werden dort 7 Quellen benutzt, deren grösster
Wärmegrad 51^ R. ist. Die Trinkquelle zeigt 48 ^R. Wärme,
das geschöpfte Wasser ist klar, hat einen Geruch, der an
Schwefelwasserstoff erinnert und einen wenig salzigen Geschmack,
eher wohlschmeckend als widerlich. Das Kaiserbad ist ein
ganzer Komplex von Bade- und Trinkvorrichtungen, verbunden
mit Schwimmschulen für beide Geschlechter und mit einem
Türkenbad (allgemeinem Volksbade, nur Schwitzbäder in heisser
Luft), wo wenige Kreuzer zu erlegen sind, während ein kom-
fortables Bad in eigenem Zimmer einen halben östreichischen
Gulden kostet. Die Thermen von Buda wurden schon von den
Römern benutzt. Die meisten Schwefelquellen liegen in der
Raizenstadt (Raizen sind ausgewanderte Serbier, berüchtigt
durch ihre Ränke und ihre Betrügereien). Die Raizenstadt
bildet einen grossen Stadttheil, in welchem gegen Tausend
kleine Häuser liegen, fast alle von gleicher Grösse oder viel-
mehr Kleinheit, welche am steilen Blocksberge in sechs ver-
schiedenen Abstufungen oder Absätzen des Berges hinaufge-
schichtet sind. Alle diese Häuserchen wenden ihre Vorderseite
der Festung zu, und nehmen sich von dort aus wie die
innere Hälfte eines Amphitheaters, wo die kleinen Häuserchen
die Logen vorstellen. Alle grösseren ungarischen Städte, be-
sonders die Orte an der Donau, haben Raizenquartiere, in
welche es nicht geheuer ist, sich bei Nachtzeit als Fremder
zu wagen, weil häufig Todschläge dort vorkommen, die meistens
unentdeckt und unbestraft bleiben.
Von den weitläuftigen Badeanstalten von Ofen liegen drei,
nämlich das Blocksbad, das Brück- und das Raizenbad in
der Raizenstadt, dagegen das Königs- und das Kaiserbad in
Neustift. Die Türken haben, so lange Buda unter ihrer
Botmässigkeit war, in diesen warmen Bädern geschwelgt.
Die gemeinschaftlichen Schwitzbäder sollen namentlich im
Winter besucht werden, wo die armen Leute die Gelegenheit
benutzen, sich für drei Kreuzer einmal ordentlich durchzu-
wärmen.
5) Weiter an der Donau hinauf befindet sich auf einer
Insel in der Donau die Schiffs werfte der D. D.- Gesell-
schaft, mit ihren zahlreichen W^erkstätten, wo nicht nur alle
Reparaturen ausgeführt werden, sondern auch Dampfma-
schinen, Schiffe, Anker, Ketten neu gefertigt werden.
6) Der Krönu'ngshügel in Pest an der Donaubrücke,
wo der ungarische König (so nennen die Ungarn allgemein
den Kaiser von Oestreich) gekrönt wird und mit dem blanken
Schwerte nach allen vier Regionen Streiche führt zum Zeichen,
dass er die Absicht hat, das ganze Land nach allen Rich-
tungen zu schützen.
7) Die ungarische Akademie mit ihrem prachtvollen
von Schinkel angegebenen Frontispice. Da es Aufgabe der
Akademie ist, die magyarische Sprache auszubilden, so sind blos
Magyaren zu Sitzen in der Akademie berechtigt. Doch hat
man auch ausländische Gelehrte zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Wissenschaftlich leistet sie nichts.
8) Das ungarische National-Museum mit ungeord-
neten Schätzen, Liebesgaben ungarischer Patrioten, aus dem
Privatbesitze niedergelegt auf den Altar des Vaterlandes. Die
6
Magyaren sind jetzt in einer Extase, die sie zu allen Opfern
befähigt. In ihrer Phantasie hat sich schon die Idee eines
Kaiserreichs eingenistet, das alle Länder der unteren Donau
umfasst, wo die Magyaren die bevorzugte Nationalität bilden
und zur oberen Leitung und allen Ehrenämtern ausersehen
sind. Das in der Nähe befindliche Magnaten -Kasino bildet
den Vereinigungspunkt der hervorragenden Adelsfamilien, und
sind darin Küche und Keller wohl bestellt.
9) Das städtische Redoutenh aus mit seinen zwei Pracht-
sälen übertrifft wohl an Farbenpracht in der Dekoration alle
ähnlichen Etablissements. Die Fresko-, Decken- und Wand-
Gemälde zeugen von italienischem, aber stark magyarisirten
Kunstgeschmack. Aufgefallen sind uns die Gemälde, welche
Scenen aus dem Leben des Attila darstellen, z. B. seine Ver-
lobung, Gelage des Attila mit seinen Söhnen. Attila wird
dargestellt, essend aus einer hölzernen Schüssel, trinkend aus
einem Holzbecher, während die Gäste sich goldener Geschirre
bedienen; Säuger umgeben die Familie des Attila und be-
singen seine Heldenthaten. Attila, den wir Deutschen in un-
serer Kindheit als grausamen Wütherich verabscheuen gelernt
haben, ist stets als Nationalheld betrachtet und seiner wii*d mit
Stolz gedacht. Beraerkenswerth ist auch ein Fresko-Gemälde,
darstellend das Turnier des Corvinus, wo die Braut ihm den
Siegeskranz aufsetzen will. Auch die Bilder der neun Musen
tragen den alt ungarischen (hunnischen) Typus. Im kleinen
Saale sind die vier ungarischen Hauptströme allegorisch darge-
stellt: Donau, Theiss, Drave, Save. Elegante Gallerien um-
geben die beiden Säle, der eine davon dient als Tanz-, der
andere als Konzert- Saal. Ausserdem umgeben eine Anzahl
von Salons (Spielzimmer) die grösseren Säle. In der Kredenz
(der Restauration) sind auf grossen Tafeln die festen Preise
der Speisen und Getränke aus der Ferne erkennbar verzeichnet.
Ueberall prangt das Andreas -Kreuz, das Wappen der Unga-
rischen Kronlande. Prachtvoll ist auch die königliche Hof-
loge ausgestattet. Die kleineren Säle werden von den städti-
schen Behörden als Sitzungszimmer benutzt, wozu das» Stadthaus
nicht die erforderlichen Räumlichkeiten bietet. Das ganze Ka-
sinogebäude wird bei feierlichen Gelegenheiten durch 1250 Gas-
flammen erleuchtet. Es werden alsdann auf den mit Tep-
pichen belegten Marmortreppen ganze Orangerien aufgestellt,
überhaupt alle Räume durch blühende Zierpflanzen geschmückt.
Im vorigen Winter sind zwei grosse Redouten veranstaltet
worden, wo die prunkvollen Magnaten mit ihren kroatischen
Brüdern fraternisirt haben, um das Feuer des Patriotismus
zu entzünden und die gesammte Bevölkerung für die magya-
rische Erhebung zu begeistern. Der städtischen Redoute ist
ein grosses Kaffeehaus, Bierlokal u. s. w. für die niedere
Bevölkerung beigefügt.
10) Die Synagoge hat ebenfalls unsere Aufmerksamkeit
auf sich gezogen, wir haben ihr einen längeren Besuch ge-
widmet. Sie strahlt von orientalischer Pracht und überbietet
weit alle christlichen Kirchen von Pest-Ofen. Die hohen Fen-
ster, mit Glasmalereien ausgeschmückt, dämpfen das Licht und
geben ihm eine mysteriöse Nüancirung. Es gehört die Syna-
goge der Reformgenossenschaft an und gefällt uns mit ihren
beiden Kuppeln eigentlich besser, als die Berliner Synagoge;
die Pester Synagoge ist weniger überladen, man übersieht
leichter die Harmonie des Baustils. Merkwürdig sind die
beiden Kanzeln, welche sich gegenüberstehen, von welchen
abwechselnd, d. h. immer von derselben deutsch und von der
anderen ungarisch gepredigt wird. Die Synagoge wird durch
720 Gasflammen erleuchtet. Die Juden bilden in Pest-Ofen
eine wichtige Genossenschaft, sie sind die Inhaber des Reich-
thums, die Besitzer der grössten Häuser und schönsten Villen
und wetteifern in Equipagen und Kleiderpracht, namentlich
der weibliche Theil, mit den Magnaten.
11) Mannigfaltigkeit des Bekenntnisses und der
Nationalität. In Ofen und Pest sind alle Nationalitäten
und Glaubensbekenntnisse des östreichischen Kaiserstaates
vertreten. Es giebt daher christliche Kirchen, in denen die
Andacht in ungarischer, deutscher, slavischer, griechischer
und walachischer Sprache verrichtet wird. Nur die Türken
sind gewichen. Ofen war lange Zeit eine türkische Festung,
in dem heutigen Stadttheile Wasserstadt tragen die Grund-
mauern v^n der Hauptmoschee jetzt die Kirche der Elisa-
bethinerinnen. Die Türken weichen überall zurück, wo sich
eine christliche Bevölkerung agglomerirt; sie sind bereits stark
im Rückzuge nach ihrem Heimathlande Asien begriffen, wie
8
dies aus dem weiteren Verlaufe unserer Reise -Erinnerungen
erhellen wird.
12) Die Privatwohnungen der wohlhabenden Ungarn
gehen auf die Höfe hinaus, sie sind gewöhnlich mit gut un-
terhaltenen Gartenanlagen verbunden. Die Privatgebäude sind
gewöhnlich im Viereck gebaut, dessen eine Seite nach dem
Garten zu oflfen ist; ausserdem nach dem Hofe rings herum
mit einem überdeckten Gange versehen, was einen öfteren
Aufenthalt in freier Luft gestattet. Man wird hier schon an
die Gewohnheiten des Orients erinnert, auch im Ameublement
durch die Fülle von Sophas in Form von Divans.
13) Es giebt in Pest-Ofen viele Bildungsanstalten, z.B.
eine Universität, eine Akademie, ein Nationalmuseum, ein evan-
gelisches Gymnasium, eine Handelsakademie, deren Director
der mir von .Halle her befreundete bekannte Schriftsteller
Professor Dr. Körner ist und Pest seit 12 Jahren bewohnt.
Als Deutscher hat der Direktor K. keine schwierige Stellung.
Da die kaufmännische Correspondenz in deutscher Sprache
geführt wird, so wird Deutsch neben der ungarischen Sprache
gepflegt. Die Schule nimmt, da viele Magyaren Deutsch lernen
wollen, jährlich an Frequenz zu und hat sich bereits einen
solchen Ruf erworben, dass das Handelsministerium diese
Privatanstalt des Handelsstandes mit 10,000 Gulden jährlich
unterstützt, der Landtag dies genehmigt hat.
14) Das Stadtwäldchen ist der unvermeidliche Ver-
gnügungsort der Pester. Der Weg dahin führt durch die
lange Königsstrasse, eine Geschäftsgegend, wo Laden an Laden
sich reiht und fast in jedem Gebäude sich ein Weinschank
befindet. Es ist das Stadtwäldchen gegen die romantisch ge-
legenen Partien im Ofener Gebirge, nach welchem eine
Pferdeeisenbahn führt, ein sehr bescheidenes Plätzchen, wäh-
rend man in den Ofener Gebirgsthälern schon den Vorge-
schmack südlicher Gegend empfinden soll. Die Vorliebe für
das Stadtwäldchen, wohin von allen Hauptpunkten der Stadt
an Sonn- und Festtagen gegen hundert geräumige 18 sitzige
Gesellschaftswagen viertelstündlich für einen Fahrpreis von
10 Kreuzern = 2 Sgr, für die Person abgehen und immer
sogleich überfüllt werden, so dass es schwierig ist, einen Sitz
zu erhalten, ist kaum begreiflich.
9
Das Stadtwäldchen ist eine in flacher Ebene liegende
Parkanlage. Zu derselben führt eine sehr lange, schnurgrade,
dreifache Fahrstrasse, auf beiden Seiten von einem Fuss-
wege und drei Reihen Bäumen eingefasst. Es befinden sich
im Stadtwäldchen eine Anzahl Wiesenplätze, auf denen sich
das gemeine Volk umhertummelt, gewöhnlich angeregt durch
eine Drehorgel, die überhaupt in Ungarn vorwaltet bei solchen
Volksbelustigungen. Man hört alle Wiener W^alzer neben dem
- Nationaltanze. Wir sahen hier Turnspiele, von der männ-
lichen Jugend ausgeführt, bals champetres, Marionettentheater
und allerlei öffentliche Belustigungen, überhaupt noch ein
wahres Volksleben, wovon wir in unseren Gegenden keine Vor-
stellung haben, weil wir der dazu erforderlichen Lebendigkeit
und Phantasie entbehren.
15) Gasthöfe ersten Ranges sind der „Erzherzog
Stephan", der „König von Ungarn", die „Königin von Eng-
land", „Hotel Frohner", wo wir unser müdes Haupt nieder-
legten, an der Szechenyi -Promenade. Letzterer Gasthof ent-
hält 120 Logierzimmer, Bäder, grosse Restauration (nur ä la
carte), Kaffeehaus u. s. w. ; Alles in einem Style und mit
einer Sumptuosität ausgestattet, wie kaum irgend welches
grössere Hotel in Berlin. Eben so sind eine grosse Anzahl
Kaffeehäuser vorhanden, reich mit Spiegeln dekorirt, in einem
Umfange und mit einer Pracht, die unsere gewöhnlichen An-
sprüche an solche Etablissements weit überbietet. Man unter-
scheidet hier schon Kaffeehäuser nach den Nationalitäten
(serbische, walachische u. s. w.).
Dem heiteren magenfüllenden Lebensgenüsse soll in Pest
stark gefröhnt werden, derselbe soll an Leichtsinn und Ent-
sittlichung grenzen, die Thatkraft lähmen und den wahren
Fortschritt in der Civilisation hemmen. Dass ein übermässi-
ger Luxus in Pest getrieben wird, fällt jedem aufmerksamen
Beobachter sogleich in die Augen. Man sieht Toiletten und
Equipagen glänzender und prächtiger, als in London oder
Paris.
Früher war das deutsche Theater in Pest bekannt durch
vorzügliche Kunstleistungen, jetzt wird es von dem Direktor
verwahrlost, und Kunstgenüsse sind so selten, wie im natio-
nalen ungarischen Theater, das auf alle Weise bevorzugt
10
wird. Ueberall in Ungarn macht sich das Deutschthum
geltend, namentlich in der Industrie. Merkwürdig ist da-
bei, dass man auf der Gasse meist Deutsch sprechen hört,
und alle Maueranschläge in deutscher und ungarischer Sprache
verfasst sind. Es ist mehrfach von uns bemerkt worden, dass
zwei Ungarn in eine deutsche Unterredung vertieft waren, so-
bald aber ein Fremder hinzutrat, zur ungarischen Sprache
übergingen und sich einen sichtlichen Zwang auflegten.
16) Vergleich zwischen Ofen und Pest. Während
die Häuser des alten Buda malerisch an Hügeln gruppirt
sind, während Schloss, Citadelle und Blocksberg einen reizen-
den Anblick gewähren, im Hintergrunde die Ofener Gebirge
mit Weinbergen, Waldungen und grünen Saatfeldern das an-
muthige Panorama vervollständigen, liegt das neue kokette
Pest mit seinen regelmässigen geraden Strassen in einer sandi-
gen Ebene.
Was aber die Natur der Stadt Pest versagte, hat der
Mensch durch Fleiss und Betriebsamkeit anderweitig ersetzt.
Wir finden in Pest moderne Häuser, Palästen gleich, schöne
Kaufmannsläden und an der Donau einen herrlichen Quai
(10 Ruthen breit und über 200 Ruthen lang). Derselbe ist
in seiner bisherigen Länge von der D. Dampfschifffahrts-
Gesellschaft erbaut. Grüne Plätze in der Mitte der Stadt
mit Gartenanlagen bringen eine angenehme Abwechselung
hervor und verbessern die Luft. Unter den Gebäuden nimmt
das der Direktion der D. D.- Gesellschaft durch seine
Grösse und seinen Umfang eine imponirende Stellung ein.
Es liegt an der Donauzeile, die durch ihre grossartigen Bau-
lichkeiten und den darauf herrschenden Verkehr ganz das
Gepräge einer Weltstadt trägt.
Nächst der Donauzeile und der Waitznerstrasse verdient
die Landstrasse Erwähnung. Es ist die längste Strasse,
theilt Pest fast in zwei Hälften und endet an dem Bahnhofe
der k. k. privilegirten Staatseisenbahn. Auf der Landstrasse
werden die vier berühmten Jahrmärkte von Pest abgehalten.
Besonders rühmliche Erwähnung verdient die vorzügliche
Pflasterung von Pest mit grossen viereckigen, ebenen, gut be-
hauenen Granitblöcken und Trottoirs, welche die ganze Breite
des Bürgersteiges einnehmen.
11
Wenn Ofen an Ungarns glänzende Vergangenheit erinnert,
so vergegenwärtigt Pest die zunehmende Wohlfahrt und Aus-
beute der unerschöpflichen Hülfsquellen von Ungarn. Wenige
Städte auf dem Kontinente haben sich in der Neuzeit so
schnell entwickelt wie Pest, dessen Einwohnerzahl auf 200,000
gestiegen ist, sich also in den letzten dreissig Jahren mehr
als verdreifacht hat, während Ofen stabil geblieben ist.
Pest ist eine Weltstadt, eine Handelsstadt ersten Ranges,
es trägt das Gepräge des Reichthums; Ofen ist eine Provin-
zialstadt, wo sich Alles in gewöhnlicher Wiederkehr des bür-
gerlichen Lebens bewegt. In Pest beabsichtigt der nord-
deutsche Bund ein General -Konsulat zu errichten, um die
dortigen wichtigen Handelsinteressen seiner Angehörigen zu
schützen und zu fördern. Es besteht schon in Pest ein fran-
zösisches Konsulat u. s. w. Die Schweizerkolonie in Pest
nimmt eine hervorragende Stelle ein, wie überhaupt die
Schweizer im Orient durch ihr Zusammenhalten eine grosse
Rolle spielen.
17) Vergangenheit und Zukunft von Pest-Ofen.
Vor der türkischen Eroberung hatte schon Buda-Pest eine
glänzende Periode. Aber wo das Pferd eines Türken hin-
tritt, wächst in hundert Jahren kein Gras, wie das Sprich-
wort sagt. Aus den Händen der Türken ging sie in die der
Oestreicher als ein Schutthaufen über. Alles lag in türki-
scher Unordnung und Unreinlichkeit , alle noch vorhandenen
Gebäude waren niedrige Hütten und Ställe. Buda-Pest ging
verloren, wurde von den Türken wieder erobert, bombardiiii,
verbrannt, zurückerobert.
Die Haupterhebung in Pest fing mit der Regierung der
Maria Theresia an und hat seitdem in seiner Entwickelung
und seinem Wachsthum mit der Energie des ganzen Lebens
in Ungarn gleichen Schritt gehalten. Noch zur Zeit der
Maria Theresia war Pest beschränkt auf die jetzt so genannte
innere Stadt, die nicht einmal den 7. Theil des jetzt von Pest
bedeckten Flächenraums einnimmt. Jetzt hat Pest fünf weit
ausgedehnte Stadtviertel, die ihre Namen erhielten nach den
vier letzten ungarischen Königen, unter deren Regierung
sie entstanden, und heissen Theresien-, Joseph-, Leopold-
12^__
und Franzenstadt. Das beispiellos schnelle Wachsthum von
Pest liefert einen richtigen Maassstab für die schnelle Ent-
wickelung von ganz Ungarn, die Zunahme seiner Bevölke-
rung, seines Gewerbefleisses und die Regsamkeit des ganzen
Landes.
Heute blicken die Ungarn mit gerechtem Stolze auf ihre
Hauptstadt und setzten es durch, dass ihr König von Zeit
zu Zeit in Ofen residirt.
Die Augen der ganzen gebildeten Welt sind jetzt auf die
Vorgänge von Pest gerichtet, wo oflfenbar die Fäden gespon-
nen werden für die Zukunft der östreichischen Gesammt-
monarchie und das Geschick seiner Dynastie, nachdem der
Schwerpunkt der östreichischen Gesammtmonarchie aus
Deutschland entrückt, die Dynastie den deutschen Interessen
entfremdet und ihr der Einfluss darauf entzogen worden ist.
OiFenbar stehen die Vorgänge in Pest im innigen Zusammen-
hang mit der Lösung der orientalischen Frage, die mit Recht
eine brennende genannt werden muss wegen ilirer Dringlich-
keit und der Gefahr, dass sie die Brandfackel des Krieges
entzündet, der ganz Europa in zwei feindlich gestellte Lager
theilen würde.
3. Von Pest -Ofen bis Neusatz -Peterwardein.
Das Dampfboot von Wien nach Pest ist nur LokalschifF.
Von Pe*st aus beginnt das internationale DampfschiiF seine
Fahrten lyid setzt dieselben bei hohem Wasserstande der
Donau ohne Unterbrechung bis Galatz fort. Im Jahre 1868
war der Wasserstand der Donau so niedrig, wie nicht seit
Menschengedenken. Wir waren daher gezwungen, auf unserer
Fahrt öfter kleine Dampfschiffe zu besteigen, sogar einen
kleinen Theil des Weges zu W^agen zurückzulegen.
Von Pest an fliesst die Donau mit geringem Gefälle zum
Theil zwischen morastigen Ufern durch die weit ausgedehnte
Tiefebene bis unterhalb Neusatz, wo sie in die Militärgrenze
eintritt und die Gegend anfängt romantischer zu werden.
Von Pest abwärts durchfliesst sie ein Gebiet, das vorzugs-
weise auf Viehzucht angewiesen ist, wo immer noch ein
reicher Segen von Naturproduction sich findet.
13
Auf einer Strecke von 50 Meilen fliessen Donau und
Theiss in einem Abstände von ungefähr 12 Meilen parallel.
Während das rechte Donauufer immer noch einige Abwechse-
lungen und Erhebungen darbietet, ist das Land zwischen
Donau und Theiss flach. Die Theiss ist der eigentliche
Hauptfluss von Ungarn, „doi*t entsprossen und erstorben" ; wo
sie nämlich im Begriff ist, das Land zu verlassen, erstirbt
sie in der Donau, indem sie auf ihrem ganzen unteren Laufe
fast gar kein Gefälle mehr hat. Still und friedlich windet
sich die Theiss durch grüne Ufer. Der segnende Strom wirkt
aber auch verheerend. Da weder die Donau noch die Theiss
eingedämmt sind, sind ihre flachen Ufer nicht vor Ueber-
schwemmungen geschützt. Da die eigenen Quellen der Theiss
hoch in den Karpathen liegen, ihre Zuflüsse (Samosch, Körösch
und Marosch) ebenfalls auf den hohen Siebenbürger Alpen
entspringen, so schwillt die Theiss oft plötzlich an. Dann
ertönen die Sturmglocken, verzweifelte Hülferufe hört man
erschallen: „Das Wasser kommt!*' Nicht blos im Frühlinge,
sondern auch ganz unerwartet, wenn in den Gebirgen starke
Regen gefallen sind, überschwemmen reissende Wasserfluthen
die Landschaft.
Von Pest abwärts die Donau bis in die Tüi'kei verspürt
man den Fischreichthum der Donau an der table d'hote des
Dampfschiffs, wo man vorzugsweise mit Fischen gefüttert
wird (Spierl, Hausen oder Donaukarpfen, wovon der dortige
Kaviar, Lachse). Das tiefe, stille, schlammige und nahrungs-
reiche Wasser zieht die Fische an und veranlasst *sie, vom
schwarzen Meere aus bis in das Innerste des Kontinents hin-
auf zu steigen.
Auffallend für uns war der Reichthum an Viehheerden
(Hornvieh, Schafe), welche sich der Donau näherten, um ihren
Durst zu stillen und sich abzukühlen, namentlich gewahrten
wir auch ungeheure Schweineheerden. Federwild schwärmt
an den Ufern der unteren Donau in Myriaden: viele Enten-
und Gänseflüge, Pelikane, Strandläufer, Reiher, Rohrdommeln
ziehen das Auge des Zuschauers auf sich. Deutschland ge-
genüber, wo kaum noch Platz ist für ein friedliches Schnepfen-
paar, um Eier auszubrüten, erscheint dieser Kontrast seltsam.
Die Donau setzt lässig in vielen Krümmungen ihren Weg
^ I
14
fort, hier und da eine Sandbank bildend. Auf einer solchen
sassen wir auf, und mussten die Nothdampfpfeife ertönen
lassen. Endlich erschien ein Remorqueur, der Johannes
Baptista, nach amerikanischem System (mit der Maschine oben
auf dem Verdeck) und machte uns nach einigen Anstrengun-
gen wieder flott. Das Fahrwasser auf der Donau ändert sich
fortwährend, so dass oft Sondirungen der Tiefe vorgenommen
werden müssen.
Die Gegend (die pannonisch-dacischen Steppen) sieht auf
beiden Seiten öde und verlassen aus. Nur einzelne Thurm-
spitzen von Kirchdörfern erblickt man aus weiter Entfer-
nung vom Ufer, Städte und Dörfer sind im Innern des Lan-
des angebaut; die Inseln allein sind mit üppigem Baumwuchs
(meistens Weidengebüschen) bedeckt und schwärmen von Feder-
vieh. Auffallend für uns waren die vielen Tausende von
Wassermühlen auf der Donau, welche die Schifffahrt beengen.
Das rechte Ufer der Donau (die pannonische Seite) ist
durchweg höher als das linke ; die meisten Dörfer und Markt-
flecken zeigen sich daher auf dieser Seite. Földvar, Tolna,
wo ein Donaudurchstich gefnacht und dadurch die Fahrt um
1 */2 Stunden abgekürzt worden ist, Baksch und Mohacs liegen
alle auf dem rechten Ufer der Donau und ziemlich nahe am
Fluss. Die linke Seite nach der Theiss zu, von beiden Seiten
den Ueberschwemmungen ausgesetzt, ist meistens wüste, mit
Sümpfen, Gebüsch und Steppe bedeckt. Daher geht auch
die Landstrasse von Pest nach Slavonien auf dem hohen
rechten Ufer. Wie die Menschen, haben auch die meisten
Vögel auf dem rechten Donauufer sich niedergelassen. Man
sieht die lehmigen Ufergewände überall von grossen Löchern
durchbohrt. Es sind dies die Eingänge zu den Nestern vieler
Arten von Vögeln, z. B. von Schwalben. Indessen hatten die
Schwalben, wie die Störche, die sich hier in Unzahl im Som-
mer einfinden sollen, wegen der vorgerückten Jahreszeit schon
ihre Wanderungen nach dem Süden angetreten. Während
Schwalben, Störche u. s. w., welche sich schon mehr dem
Menschen anschliessen , das rechte Ufer bewohnen, wo auch
zahme Gänseheerden , Entenschaaren und Truthühnerarmeen
die Dörfer umweiden, nistet und brütet das wilde Geflügel
auf der ungastlichen linken Seite. Dort zeigen sich auch
i
15
Züge von dicken fetten Trappen, welche ihren niedrigen Flug
über die Steppen ausbreiten, über den Schilfwäldern.
Die erste Hauptstation von Pest aus ist die Stadt Baja
auf dem linken Donauufer in einer ziemlichen Entfernung
davon gelegen, auf der Donau voraus angekündigt durch eine
Unzahl im Strome befindlicher Wassermühlen. In der Provinz
Posen merkt man es an der grossen Zahl von Windmühlen,
dass man sich einer Stadt nähert, auf der Donau an den
Wassermühlen.
Hinter Baja beginnen auf dem rechten Ufer wieder die
Weingärten und an jedem Landungsplatze werden den Passa-
gieren die süssesten Weintrauben zum Spottpreis angeboten.
Namentlich geschah dies in Mohacs, wo unser Dampf boot
Kohlen einnahm. Von Pest, wo wir um sechs Uhr Morgens
abgefahren waren, bis Mohacs, wo wir um vier Uhr Abends
eintrafen, hatten wir 10 Stunden gebraucht. Hier blieben
wir eine Stunde liegen, um neue Kohlen einzunehmen. Zahl-
reiche Arbeiter, hauptsächlich Frauen, alle baarfuss, beeilten
sich, die Nahrung der Dampfmaschine, die Steinkohlen, mit-
telst Schiebkarren an Bord zu bringen. Welches rege, mun-
tere Treiben! Die Arbeiter laufen im Sturmschritt, um mög-
lichst viel in kurzer Zeit zu verdienen, da sie in Akkord ar-
beiten und nach Anzahl der Schiebkarren bezahlt werden.
Am Ufer liegen Berge von Steinkohlen, denn Mohacs ist der
Hafen für das im Inneren liegende grosse Steinkohlenberg-
werk, welches der D. Dampfschifffahrts- Gesellschaft gehört.
Von hier führt eine Eisenbahn nach dem 5 Meilen fernen
Fünfkirchen und zu dem Steinkohlenbergwerke.
Die Schlacht bei Mohacs am 29. August 1526 entschied
auf lange Jahre das traurige Schicksal von Ungarn. Denn
die Eroberung des Landes durch die Türken, d. h. die mehr
als hundertjährige Bedrückung der Hälfte Ungarns, war die
Folge dieser verlorenen Schlacht. König Ludwig von Ungarn
versank auf ermattetem Pferde in einem Sumpfe. Indessen
gewannen die Ungarn im Jahre 1686 durch eine bei demselben
Orte Mohacs durch den Herzog von Lothringen gewonnene
Schlacht ihre Unabhängigkeit wieder.
Mohacs ist ein durch geschichtliche Erinnerung geweihter
Ort, es liegt aber in einer an fettem Thone so reichen Ge-
16
gend, dass man am Ufer, da es gerade etwas regnete, fast
versank, also das Schicksal des Königs Ludwig wohl begrei-
fen konnte.
In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch passirten wir
die Mündung der Drave bei Draueck, von wo aus ein Lokal-
Dampfschiff die Verbindung mit der Stadt Esseg an der Drave
unterhält. Bei Tagesanbruch zeigte das Ufer der Donau an-
muthige Landschaften in reicher Abwechselung, in der Ferne
die Umrisse der Gebirge von Syrmien, die Drave und Save
von einander trennen. Land und Leute auf dem rechten
Donauufer trugen nicht mehr das ungarische Gepräge. Die
Kirchthürme mahnen uns an die nunmehr zahlreichen Beken-
ner des nicht unirten griechischen Glaubens. Wir passirten
Vukovar, den schönsten Marktflecken von Syrmien, und ge-
wahrten in der Ferne die grosse Gebirgskette von Fruszka-
Göra längst dem rechten Donauufer, mit Eichenwäldern und
Weingärten bedeckt. In Vukovar (die Accente in ungarischen
Worten bedeuten immer, dass die Vokale lang gesprochen
werden müssen) gewahrten wir am Ufer vieles Holzwerk,
Fassdauben, Planken, Balken u. s. w. Es war fast lauter
syrmisches und slavonisches Eichenholz. Slavonien und
Kroatien sind nämlich berühmt durch ihre herrlichen Eichen,
welche dort grosse Wälder bilden. Oestreichs Forstenreich-
thum ist unglaublich und hat auf der Pariser Ausstellung
in Erstaunen gesetzt, kein Land in Europa kann sich darin
mit ihm messen.
Das Land zwischen Theiss und Donau würde man Me-
sopotamien nennen können, aber das wüste Mesopotamien,
das Land der umherschweifenden Jazygen, der ungarischen
Tschikosen (Pferdehirten). Ganze Heerden halbwilder Pferde
waren vom Schiffe dort zuweilen zu sehen. Gegen die Mün-
dung der Theiss endet dieses Plateau in ein ganz niedriges
angeschwemmtes Land, bestehend aus fruchtbarem, fettem
Weizenboden, welches von den Ungarn oft unter dem Namen
der „Hatschka" den Fremden angepriesen wird. Es ist
dort fast aller Boden Ackerland und wird vorzugsweise von*
Deutschen angebaut, die es zu grosser Wohlhabenheit ge-
bracht haben sollen. Die Römer müssen schon die Frucht-
barkeit der Batschka geschätzt haben, indem sie hier die
17
Donau als Vertheidigungslinie verliessen und einen grossen,
mächtigen, noch vorhandenen 13,000 Ruthen langen Wall auf-
warfen und so dieses fette Land in ihre eingeschanzten und
gegen die Hirtenvölker vertheidigten Gebiete hineinzogen.
4. Neusatz - Peterwardein.
Mittwoch, den 15. September, gegen 8 Uhr Morgens, tra-
fen wir in Neusatz-Peterwardein ein, wo wir uns von unserer
bisherigen interessanten Reisegesellschaft von Pest her trenn-
ten , die meistens aus Offizieren mit ihren Damen , die von
Badereisen in ihre Garnison zurückkehrten, bestand. Wir
hatten daher unterweges so viel von Neusatz gehört, dass wir
äusserst gespannt waren, diesen interessanten Ort kennen zu
lernen.
Peterwardein-Neusatz bilden einen frappanten Parallelis-
mus mit Ofen-Pest. Neusatz ist eine emporblühende Han-
delsstadt. Vor hundert Jahren noch ein ärmliches Dorf, zählt
es jetzt über 20,000 Einwohner, darunter Armenier, Serben
u. s. w., jedoch ist die deutsche Sprache die herrschende.
Die Einwohner von Neusatz amüsiren sich nach Kräften und
gleichen in ihrem Frohsinn und Lebensgenuss den lEinwohnern
von Pest. Die Offiziere der Besatzung von Peterwardein ver-
leben in Neusatz ihre glücklichsten Stunden; gewöhnlich
wohnen auch die Offizierfamilien daselbst. Man ist sehr mu-
sikalisch in Neusatz und kultivirt dort die Kränzchen, wovon
die auf dem Dampfschiffe befindlichen Neusatzer Damen Wun-
der zu erzählen wussten.
Während Neusatz im Emporblühen begriffen, ist Peter-
wardein eine blosse Kaserne. Beide Städte sind durch eine
420 Fuss lange Schiffbrücke verbunden. Peterwardein liegt
auf einem schroffen Vorgebirge der Fruszka-Gora, um welches
die Donau rund herum einen Bogen beschreibt, so dass man
die Festung von allen Seiten zu Gesicht bekommt.
Peterwardein ist wohl die stärkste Festung neben Komorn
an der Donau, heisst daher auch das ungarische Gibraltar;
sie ist vorzugsweise in den Türkenkriegen von grosser Bedeu-
tung gewesen. Das Wohnen in den Kasematten von P. soll
aber sehr ungesund sein, daher die östreichischen Soldaten
^ I
18
die Festung scherzweise nennen: „Peter scharr ein." P. be-
sitzt ein mit türkischen Trophäen geschmücktes Zeughaus und
eine Pfarrkirche mit vielen Heldengräbem.
Wir fuhren rund um Peterwardein herum und verloren
es erst spät aus den Augen. P. ist die Gebieterin der Mi-
litärgrenze. Der Ort ist durch den Sieg des Prinzen Eugen,
des tapfem Ritters, unvergesslich. Hier schlug der kaiserliche
Feldherr den Grossvezier Ali am 5. August 1716.
5. Syrmieii.
Gleich hinter Peterwardein eröffnet sich auf dem rechten
Ufer eine amphitheatralisch aufsteigende Landschaft mit der
Hauptstadt von Syrmien, Karlowitz, Sitz des Patriarchen
der serbisch-griechischen nichtunirten Kirche der ganzen öst-
reichischen Monarchie. Man hat also hier auf kleinem Räume
drei Metropolen der östreichischen Militärgrenze: eine des
Handels, Neusatz; eine der Militärmacht, Peterwardein; und
eine des Kultus, Karlowitz. Der Erzbischof von Karlowitz
ist eins der fünf gänzlich von einander unabhängigen Ober-
häupter der griechischen Kirche in Europa, er bedeutet im
Kultus für Oestreich dasselbe, was der Kaiser in Russland
vorstellt oder der Patriarch von Konstantinopel. Karlowitz
wimmelt daher von griechischen Geistlichen, deren hier eine
Anzahl, lauter wohl konditionirte Leute *), aus- und einsteigen.
Wo die Geistlichkeit ihre Wohnsitze aufgeschlagen hat,
pflegt der Wein gut zu gedeihen. So ist es auch hier, der
Karlowitzer Wein gehört zu den besten Südungarns. Der
Kaiser Probus verpflanzte hierher cyprische Weinstöcke. Aus
der Karlowitzer Gegend wurden Weinreben nach Tokay ver-
pflanzt, so dass der berühmte Tokayer Ausbruch seinen Ur-
sprung verdankt den Reben, die aus Karlowitz dorthin ver-
pflanzt worden sind. Für den Geschmack der Kenner soll der
Karlowitzer Ausbruch noch heute den Vorzug verdienen.
In der Nähe von Karlowitz befinden sich eine Anzahl von
Dörfern, welche von wohlhabenden Deutschen, die der evan-
*) Die hier befindliche Auskunft über Karlowitz verdanke ich der
gütigen Mittheilung meines Reisegefährten, eines höheren serbisch -grie-
chischen Geistlichen aus Karlowitz.
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gelischen Kirche angehören, bewohnt werden. Diese Dörfer
liegen inmitten zahlreicher anderer Nationalitäten.
Das Land Syrmien, dessen Hauptstadt Karlowitz ist, er-
scheint als ein wahres Paradies. Es erstreckt sich in einer
Länge von 18 Meilen und in einer Breite von 3 Meilen längs
der Donau. Schon zu den leiten der Römer waren die Vor-
züge dieses Landes bekannt. Strabo spricht von der Haupt-
stadt Sirmium, die jetzt in Ruinen liegt, es war der wichtigste
Platz in Pannonien; daneben der Lieblingsaufenthalt des Kaisers
Probus und mehrerer seiner Nachfolger. Von allen den 26
griechischen Klöstern, die sich in ganz Slavonien befinden,
liegen 23 in Syrmien in den Thälern und auf den Abhängen
der Fruszka-Gora, immer an den schönsten und fruchtbarsten
Plätzen. Die Fruszka-Gora heisst daher das heilige Gebirge
und geniesst eines weiten Rufes in ganz Ungarn und den an-
grenzenden Provinzen. Diese Klöster sind sämmtlich reich,
und von weither wallfahrten die gläubigen griechischen Christen
zu ihnen und bringen Geschenke.
Die Weinlese hatte seit zwei Tagen (13. September) in
der Umgegend von Karlowitz begonnen, es herrschte daher
eine rege Geschäftigkeit in den Weinbergen, wo fast die ganze
Bevölkerung den reichen Segen dieses herrlichen Weinjahres
einsammelte.
Das Ländchen Syrmien besitzt noch eine andere Merk-
würdigkeit, die auch in weiteren Kreisen bekannt ist. Es ist
eins der hauptsächlichen Schweinemagazine, aus denen der
Grossschweinhandel in Ungarn seine Waare bezieht. Die
Schweineausfuhr von Syrmien ist bedeutend. Es ist eine Race
mit kurzen Beinen und krauswolligen Haaren. Diese Sorte
Schweine ist in Berlin wohl bekannt und auf dem dortigen
Schweinemarkt gesucht, sie heissen dort Bachonen (Bakonier),
auch die Posener Fleischer wissen von dieser Schweinesorte
zu erzählen. Sie sollen die Strapazen gut vertragen und weit
marschiren können, dabei soll ihr Speck angenehm sein in
Folge der Mästung mit türkischem Weizen (Kukurutz). Haupt-
sächlich werdeu diese Schweine aber wohl in den herrlichen
Eichenwäldern von Syrmien gemästet.
2*
20
6. Mündung der Theiss.
Am Mittwoch (15. September) Mittag erreichten wir die
Mündung der Theiss. Ich hatte den Steuermann lange vorher
darum gebeten, mich auf die Einmündung der Theiss auf-
merksam zu machen; sonst wäre mir dieselbe entgangen, so
klein und unscheinbar kam sie mir bei dem niedrigen Wasser-
stande vor. Ich hatte wenigstens eine grössere Ortschaft dort
vermuthet. Allein weit und breit war von einer menschlichen
Ansiedelung keine Spur. Es sind wohl die ungeheuren Sümpfe,
worin die Theiss ihr Haupt versteckt, an dieser Einöde schuld.
Nur aus weiter Feme war der hohe Thurm der Stadt Titel
an der Theiss wahrzunehmen, wohin von unserem grossen
Dampfschiffe Passagiere auf einem Theiss-Lokalboote, welches
uns schon erwartete, ausgeschifft und von dort her einge-
nommen wurden. Titel ist die Hauptstadt des gleichnamigen
Regimentsbezirkes. Die Theiss nimmt acht Meilen oberhalb
ihrer Mündung, ehe sie sich in die nach Osten fliessende
Donau ergiesst, einen südöstlichen Lauf und bildet bei ihrer
Mündung mit der Donau einen spitzen Winkel. Das Ende
dieses Winkels, gegen 16 Quadratmeilen sumpfigen Landes,
wird von den sogenannten Tschaikisten bevölkert, welche die
Besatzung der östreichischen Kriegsflotte auf der Donau bilden.
Sie haben aus ihrer Mannschaft ein Bataillon für die Flotte
eingeübter Leute zu stellen, und sind mit der Beschiffungs-
weise auf der Donau vertraut, wo ihnen ein regelmässiger
PatrouiUendienst anvertraut ist. Sie haben kleine Schiffe,
Kanonierboote, mit einem lateinischen Segel und Ruderbänken
versehen. Diese Schiffe heissen Tschaiken, woher der Name
der Landschaft. Die Tschaikisten müssen sich auch auf den
Brückenbau und das ganze Pontonnierwesen verstehen, be-
sonders das Ueberschiffen der Truppen von einem Ufer zum
andern leiten; sie nehmen in der östreichischen Wehrver-
fassung noch eine besondere Stellung ein, obgleich sie ur-
sprünglich wohl blos gegen die Türkei bestimmt waren.
Sollen wir nun schliesslich die Frage beantworten, welches
der schönste Punkt auf dieser hier zuletzt beschriebenen Donau-
tour gewesen ist und auf uns den angenehmsten Eindruck ge-
macht hat, so antworten wir, ohne einen Augenblick zu zaudern,
' 21
„Karlowitz." Natur und menschlicher Fleiss, vorzugsweise aber
deutscher Anbau, haben sich dort vereinigt, diese Gegend in
ein Paradies umzuschaffen. Jeder Fussbreit Erde ist dort
nutzbar gemacht worden zur Hervorbringung der herrlichsten
Erzeugnisse. In Karlowitz verabschieden wir uns gewisser-
maassen von der höheren europäischen Gesittung.
7. Semlin- Belgrad.
Von der Mündung der Theiss bis nach Semlin sind die
Ufer der Donau flach, die Donau verzweigt sich und bildet
viele Inseln, die Landschaft erscheint öde. Erst kurz vor
Semlin, wo die Donau eine Biegung macht, wird die Gegend
interessanter. Wir befinden uns am Einflüsse der Save in
die Donau. Auf dem linken Ufer der Save liegt Semlin, auf
dem rechten, gerade gegenüber, die alte berühmte Festung
Belgrad, in Terrassen einen ziemlich hohen Berg aufsteigend.
Zunächst fallen uns in Semlin die schwimmende Werk-
statt der D. D. -Gesellschaft auf, und eine Anzahl hier vor
Anker liegender Dampfschiffe, z. B. die „Maria Anna", „Marie
Nr. 105", „Hermine" u. s. w.
Semlin ist die letzte Stadt und Festung in Slavonien,
überhaupt in Ungarn; Belgrad die erste und zugleich die
Hauptstadt von Serbien. Hier ist die Gegend, an welche Göthe
dachte, wenn er sprach: „Wenn hinten, fern in der Türkei,
die Völker auf einander schlagen." Hier ist das mittlere
Hauptthor der Donau. Von hier aus ergossen sich die un-
gestümen Schaaren der Janitscharen und der asiatischen Ein-
dringlinge über die ungarischen Viehtriften und verbreiteten
Schrecken und Tod. Der türkische Name von Belgrad be-
deutet: „Das Haus des heiligen Krieges." Von hier aus drang
die Pest in das ziviHsirte Europa, auch die geistige Pest, —
die Türkenherrschaft! Von hier aus bis Mohacs liegen zahl-
reiche mit Blut getränkte Schlachtfelder, wo Türken und Un-
garn sich mit einander maassen und sich gegenseitig erwürgten.
Von Semlin aus hat der edle Ritter, Prinz Eugen, Belgrad
erobert.
„Der da wollt' dem Kaiser wiederum kriegen Stadt und Festung Belgarad!"
„Bei Semlin liess er schlagen einen Brücken,
„Dass man kunnt' hinüberrucken
„Mit der Armee wohl vor die Stadt."
22 -
Die Türkenkämpfe haben früher die deutsche Phantasie
stark beschäftigt und haben noch heute für die Jugend einen
eigenthümlichen Reiz.
Semlin liegt in der Ebene, ist daher als Festung weniger
bedeutend als Belgrad, das auf stolzem Felsen thront und die
ganze Gegend beherrscht; Belgrad ist die wichtigste militä-
rische Position in diesem Theile von Europa, es beherrscht
das Viergespann der vier Flüsse: Donau, Save, Drave und
Theiss. Seit fünf Jahren sind die Türken überhaupt aus
Serbien gewichen, seit drei Jahren haben sie das Recht der
Besatzung der Festung Belgrad aufgegeben, sie sind stark im
Rückzuge aus Europa begriffen. Das Türkenviertel von Belgrad
ist verlassen, von der Spitze der früheren Moscheen ist der
Halbmond entfernt worden, aus den Luken der zahlreichen
schlanken weissen Minarets, welche den türkischen Städten
ein so eigenthümliches Gepräge verleihen, ertönt nicht mehr
der Ruf der Muezzins, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen.
Belgrad war der nördlichste Punkt, wo die Türken auf eigenem
Grund und Boden ihren Propheten anriefen, jetzt ist Belgrad
eine ganz christliche Stadt. Hoch oben auf dem Berge sieht
man ein grosses gelbes Haus, in dem der Pascha früher seine
Residenz hatte.
In Semlin kamen die ersten Türken auf unser Schiff,
auch eine türkische Frau mit ihrem Manne, einem türkischen
Major. Die Passagiere betrachteten neugierig die verschleierte
Frau, nur die Augen und die Nasenspitze waren sichtbar, der
untere Theil des Gesichts mit einem feinen weissen Tuch ver-
bunden, ebenso die Stirn. Bei näherer Bekanntschaft wurden
wir gewahr, dass sie stark geschminkt war, wie fast alle tür-
kischen Damen, die uns später zu Gesicht kamen. Das tür-
kische Ehepaar mit einem vierjährigen Sohne war aus Belgrad
gekommen, wo sie frühere Besitzangelegenheiten geordnet hatten;
sie fuhren mehrere Tage bis Rustschuk mit uns, der Ehemann
war zärtlich um seine Gattin besorgt. Weniger Sympathien
bewiesen die europäischen Damen für sie, die mit ihr zu-
sammen den Damen-Salon bewohnten ; die Unglückliche schien
schwindsüchtig zu sein und, obgleich ganz jung, doch ihrer
baldigen Auflösung entgegen zu gehen. Es ist dies ein Ge-
schick vieler türkischen Damen, wie überhaupt der ganze
23
Islam auf dem Aussterbe-Etat steht. Der kleine Türke war
sehr ungezogen , seine Eltern mussten ihm oft den Mund
stopfen mit Näschereien und Früchten; mit besonderer Vor-
liebe verzehrte er rohe Gurken.
Die wenigen Passagiere, welche aus Belgrad auf unser
Schiff von dem dortigen Lokalboote, welches die Verbindung
zwischen beiden Ufern der Save beständig unterhält, hinüber-
kamen, konnten nicht genug von den Vexationen erzählen,
denen die Fremden dort ausgesetzt sind. Die Ermordung des
Fürsten hatte ausserordentliche Vorsichtsmaassregeln hervorge-
rufen, Belgrad war gewissermaassen im Belagerungszustand.
Auch unser Dampfschiff legte dort nicht an wie sonst, um
Weitläuftigkeiten zu vermeiden. Es waren damals die öffent-
lichen Zustände noch sehr unsicher. Wir fuhren im Halb-
kreise um Stadt und Festung Belgrad herum, dicht an dem
sandigen Vorsprunge des Donauufers, wo vor einigen Wochen
die 14 vermeintlichen Mitschuldigen des Fürstenmordes mit
Pulver und Blei begnadigt worden waren; es war eine abge-
legene Gegend, eine halbe Stunde vom Mittelpunkte der Stadt,
Donau abwärts, wo diese Unglücklichen den auf ihnen ruhen-
den Verdacht mit dem Tode büssten.
Indessen wussten die Passagiere, die von Belgrad kamen,
mir eine andere Merkwürdigkeit zu erzählen, die mich ganz
besonders interessirte und mich lebhaft an Posen und die
Liberalität unseres Stadtraths Berger erinnerte. Das schönste
Gebäude in Belg|-ad, erzählten sie mir, sei das dortige Gym-
nasium. Dasselbe hat ein Privatmann, dessen Namen wir
vollständig hersetzen, er heisst Kapitän Micha Anastasievich,
denn der Name eines solchen Ehrenmannes muss zu allen
Zeiten bei allen Völkern immer wieder genannt werden, ganz
auf eigene Kosten bauen lassen und seinem Vaterlande zum
Zwecke einer serbischen Gelehrtenschule geschenkt. Ich zeigte
dem Erzähler dieser Thatsache die Photographie unseres
Realschulgebäudes, welche ich immer bei mir zu führen
pflege, und horte die Aeusserung, dass unser Kealschulge-
bäude doch wohl noch schöner sein müsse, als das Belgrader
Gymnasium,
24
8. Die banatisch-serMsche Militärgrenze.
Von Belgrad aus haben wir zur Rechten das bergige
serbische Ufer, zur Linken das flache Ufer des Banats (die
banatisch- serbische Militärgrenze). Unsere Aufmerksamkeit
wird von jetzt an beschäftigt durch die auf dem linken Ufer
befindlichen Grenzwachthäuser, die in ununterbrochener Folge
bis jenseits Galatz, d. h. in einer Länge von mehr als hun-
dert Meilen, uns begleiten. Ein solches Wachthaus heisst
Csartake (Tschartake), es kommt daher wohl auch der Name
Tscharteke, um ein baufälliges elendes Gebäude zu bezeich-
nen, obgleich diese Wachthäuser auf östreichischem Gebiete
sich zuweilen ganz stattlich ausnehmen, während sie in Ru-
mänien (Walachei und Moldau) die Nebenbedeutung von
Tscharteke rechtfertigen. Diese Grenzwachthäuser sind gegen
die Türken gerichtet, gegenwärtig im östreichischen Banat
gegen die Serben. Zunächst soll diese Grenzbewachung den
Schmuggelhandel verhindern, dann ist es eine polizeiliche
Maassregel gegen Diebe und Räuber, diente früher auch wohl
gegen die Einschleppung der Pest, Es giebt grosse und kleine
Grenzwachthäuser, die grösseren dienen als Mittelpunkt einer
Wachtabtheilung, die kleineren für die einzelnen Posten. In
Oestreich hat man angefangen, die grösseren Wachthäuser
massiv aufzubauen, doch giebt es auch noch deren, nament-
lich die kleineren, die aus Holz gebaut sind (einsame Block-
häuser) und der Ueberschwemmung wegen auf einem Unterbau
von Holz ruhen, mit Treppen von aussen. Auch die kleineren
Schilderhäuser stehen gewöhnlich auf Pfeilern, damit der Po-
sten sich vor dem Wasser retten könne. In der Regel stehen
die Posten nur so weit auseinander, dass sie sich bei Tage
sehen und bei Nacht zurufen können. Die grösseren Wacht-
häuser in Oestreich haben als Besatzung einen Lieutenant,
einen Feldwebel, 2 Korporale und 16 Gemeine; man gewahrt
in ihrer Nähe immer 3 Boote, wovon das eine zum Revidiren,
das andere zum Eskortiren, das dritte zum Privatgebrauch
bestimmt ist. Die grösseren Wachthäuser haben einen äusse-
ren überdachten Umgang; in den vier Wänden der Schilder-
häuser befinden sich halbrunde Löcher, um nach allen Him-
melsgegenden auszuschauen. Wenn das Land weit und breit
25
überschwemmt ist, mag ein solcher Posten in einem engen
Häuschen, rund vom Wasser umgeben, ziemlich unbehaglich
und langweilig sein.
In der Militärgrenze sind alle Männer vom 20. Jahre an
wehrpflichtig. Die besondere Wehrpflicht der Grenzer besteht
in der Bewachung und Vertheidigung der Reichsgrenze, in der
Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Innern, und in
der Pflicht, auch ausser Landes ins Feld zu rücken. Der
Grenzsoldat erhält vom Staate vollständige Bekleidung, Be-
waffnung und Munition ; den Sold jedoch nur im Felddienste.
Für die Grenzbewachung ist der Grenzer in der Regel eine
Woche im Dienste und zwei Wochen bei seiner Wirthschaft.
Im Falle der Noth bilden die Grenzer ein Kriegsheer von
100,000 Mann guter Truppen. Sie sind ein tapferer Men-
schenschlag und pflegen in ihrem Gebet Gott zu bitten, „dass
sie Gott im Kriege und mit bewehrter Hand, ihre Feinde aber
auf dem Bette wolle sterben lassen!" Sie haben sich immer
durch Treue gegen ihren Landesherrn ausgezeichnet. So weit
wir später die Grenzer kennen lernten, sind sie aufge-
weckte, gebildete Leute. Obgleich ein slavischer Dialekt ihre
Muttersprache ist, thun sie sich doch etwas darauf zu Gute,
Deutsch zu verstehen und zu sprechen.
9. Serbien.
Nachdem wir einige Stunden Belgrad passirt hatten, ge-
wahrten wir am serbischen Ufer die Festung Semendria. Die
Weinberge, der türkische Begräbnissplatz mit seinen Cypressen,
die im Grünen gelegene, von Baumwuchs umgebene Stadt (wie
alle türkischen Ortschaften), die Kuppeln der griechischen
Kirche gewähren einen anmuthigen Anblick. Von grossem
Interesse ist aber die in Form eines Dreiecks gebaute, von
14 Thürmen umgebene Festung. Uns fielen die ausgezackten
Zinnen der im griechischen Style gebauten Mauern und Thürme
auf, welche noch vollständig konservirt sind.
Zu unserm Leidwesen landete das Dampfschifl* nicht in
Semendria, wie überhaupt nicht am serbischen Ufer. Die
misstrauische serbische Regierung hat sich dies verbeten und
stellt die Verbindung zwischen ihren an der Donau gelegenen
26
Ortschaften und dem Auslande durch eigene Dampfboote her,
welche unter specieller polizeilicher Kontrole stehen. Es ist
dies für die Touristen sehr zu bedauern, weil das östreichi-
sche Ufer flach und eben, das serbische gebirgig, romantisch
und idyllisch ist. Am serbischen Ufer sieht man Vieh auf
die Weide treiben, die Ochsen werden in der Donau getränkt,
in den Dörfern schlagen die Mädchen die Wäsche, auf Booten
gewahrt man serbische Schiffsknechte in malerischen Trach-
ten u. s. w.
Das von den Türken gereinigte und dem Christenthume
ganz zurückgegebene Serbien hat eine grosse Zukunft, gegen-
wärtig sind aber die dortigen Zustände noch in der Gährung
begriffen.
Hinter Semendria gewahrten wir die Einmündung der
Morava, welche tief aus der Türkei kommt und ganz Serbien
in der Mitte durchströmt. Die Donau theilt sich hier wieder
in mehrere Arme und zeigt schön bewaldete Inseln, z. B. die
Ostrova- Insel; dieselbe ist sechs Meilen lang, mit vielen
Csartaken versehen ; man gewahrt den Pestkirchhof mit seinen
Baumgruppen. Auf dem serbischen Ufer sieht man Pferde
zu Hunderten, Rindvieh zu Tausenden weiden. Wir erblick-
ten das serbische Dorf Rama mit seinen Ruinen aus der
Römer Zeit.
10. Basias.
Gegend Abend (Donnerstag, den 16. September) passirten
wir Basias im Banate, wo wir anlegten, um die mit der
Eisenbahn aus Ungarn angekommenen Passagiere aufzunehmen.
Basias ist nämlich der Endpunkt der ungarischen Eisenbahnen
und wird als solcher wohl noch zu grosser Bedeutung gelan-
gen, da mit der Eisenbahn von Pest nach Basias die Dauer
einer Reise nach dem Orient bedeutend abgekürzt wird. Man
reist nämlich von Wien bis Basias mit besonderen Kurier-
zügen, die sich an die Eilboote nach dem Oriente anschlies-
sen, in 18 Stunden, während man auf der Donau drei Tage ge-
braucht, um diese Strecke zurückzulegen. Basias war früher
ein kleines ärmliches Dorf. Nachdem es Endpunkt der Eisen-
bahn- und Anfangspunkt der Eil-Dampfschifffahrten auf der
27
Donau geworden ist, sieht es einer grossen Zukunft entgegen,
die sich schon dokumentirt durch viele Neubauten, neue
Hotels und neue Kaffeehäuser u. s. w., während bis vor Kur-
zem kaum ein ärmliches Unterkommen dort zu finden war.
Da wir auf unserer Rückreise das Dampfboot in Basias ver-
liessen, um per Eisenbahn nach Posen zurückzukehren, haben
wir den Weg, welcher uns jetzt zu beschreiben übrig bleibt,
doppelt zurückgelegt, sind also um so besser informirt.
11, Moldova.
Bald bei einbrechender Dunkelheit ging unser Dampf-
schiff bei dem Dorfe Moldova vor Anker, es hatte das Ende
seiner Fahrt erreicht. Am nächsten Morgen sollten wir auf
ein kleines Dampfschiff übersiedeln, um die Donaukatarakten
zu befahren. Da die Schifffahrt dort gefährlich wird, mussten
wir bei Moldova übernachten. Es war noch zeitig am Abend,
ich entschloss mich daher, mit einigen Begleitern einen Streif-
zug in das grosse Dorf zu unternehmen, um nähere Bekannt-
schaft mit den braven Grenzern zu machen.
Man geleitete uns in ein Wirthshaus, wo wir die Hono-
ratioren versammelt fanden, namentlich auch den Ortsgeist-
lichen, der im traulichen Gespräche mit seinen Pfarrkindern
bei einem Seidel Wein begriffen war, wovon wir freilich nichts
verstanden, da die Unterhaltung in einer slavischen Mundart
geführt wurde. Nachdem wir uns vom besten Wein, 16 Kreu-
zer (etwas über 3 Sgr.) die Flasche, hatten geben lassen, ver-
suchten wir es, den Herrn Pfarrer um Auskunft über die
Verhältnisse seiner Gemeinde zu befragen. Er war der deut-
schen Sprache mächtig und ging bereitwillig auf unser An-
sinnen ein. Er erzählte uns, dass er der griechischen nicht
unirten Kirche angehöre, wie alle Bewohner der Umgegend.
In Karlowitz wohne ihr geistliches Oberhaupt. Der Nationa-
lität nach sei die hiesige Bevölkerung serbo- illyrisch. „Wir
wollen keine Oestreicher sein, wir sind Ungarn", sprach der
erglühende Patriot mit lebhafter Begeisterung.
Wir musterten die Nebenzimmer der Wirthschaftsstube und
sahen Schuss- und Hiebwaffen aufgehängt. Die Grenzer sind
ein wirkliches Volk in Waffen.
28
Das Dorf Moldova hat 250 saubere Häuser, davon manche
massiv, eine schön gebaute Kirche, 1600 Einwohner. Seine
Bewohner beschäftigen sich mit Acker-, Weinbau und Vieh-
zucht, treiben auch Gewerbe, z. B. giebt es dort, wie man uns
mittheilte , einen ßegentropfenableitungswerkzeugsbeflissenen,
was wir uns in ßegenschirmfabrikanten übersetzten.
13. Beisegesellschaft.
Da wir in eine neue Phase unserer Reise übergehen, wol-
len wir vorerst noch unsere bisherige Reisegesellschaft, d. h.
die noch in Moldova auf dem Dampfschiff zurückgeblieben
war, mustern. Wir hatten eben Zeit dazu, da unser Schiff
stillstand, und wir am langen Abeiid nichts Besseres zu thun
wussten. Unter den Passagieren waren nur noch wenige
Deutsche zurückgeblieben. Es waren einige französische Tou-
risten anwesend, die nach dem Orient zielten; die Frau eines
walachischen Bojaren, eine geborene Engländerin, die mit
ihrer englischen Gesellschafterin zu ihrem Gatten von Karls-
bad zurückkehrte ; drei junge walachische Architekten, die von
ihren Studien aus Deutschland zurückkehrten, um bei den
Eisenbahnbauten in ihrem Vaterlande Beschäftigung zu finden ;
gleiche Absicht hatte ein englischer Baumeister, der mit seiner
Frau nach Bukarest reiste; Serben und Griechen (Kaufleute);
eine italienische Familie, bestehend aus einem reichen Kauf-
mann A. M. Crosti aus Mailand, mit Frau, Bruder, Neffe;
ein italienischer Impresario mit zwei italienischen Sängerinnen
aus Turin, die für die ganze Wintersaison in Braila im Vik-
toriahotel engagirt waren ; eine böhmische Musikgesellschaft, die
aus fünf Männern und vier Mädchen bestand, die nach Konstan-
tinopel für ein Cafe chantant bestimmt war; eine Anzahl un-
glücklicher böhmischer Auswanderer nach Südrussland über
Odessa, geführt von einem Entrepreneur (Seelenverkäufer);
einige Türken, die sich die späte Abendstunde mit Hazard-
kartenspiel vertrieben, wofür die Türken überhaupt eine grosse
Vorliebe besitzen.
Es war ein wahres Pandämonium. Von dieser Gesellschaft
gehörten nur wenige, z. B. der Mailändische Kaufmann mit
Familie, dem ersten Platz an, die übrige Gesellschaft hatte ein
29
klägliches Unterkommen auf dem zweiten Platze , wo sie auf
der Erde und auf Tischen schliefen; die böhmischen Auswan-
derer dagegen befanden sich auf dem dritten Platz, mussten
die Nacht auf dem Verdecke unter Gottes freiem Himmel zu-
bringen, wurden dabei von ihrem Entrepreneur schlecht er-
nährt mit gekochten Erbsen, Brot und Wasser. Als ich mich
mit dem Kapitän über seine Passagierladung unterhielt, theilte
mir derselbe mit, dass die Reisegesellschaft auf dem ersten
Platze in der Walachei eine wesentlich veränderte Physio-
gnomie annehmen würde; da geht es lebhaft und fidel zu, in
einer Stunde sind Alle mit einander bekannt, ein Herz und
eine Seele. Wir Deutsche sind zu langweilig, sagte der Ka-
pitän, die Rumänen dagegen leichtsinniger und erregbarer^
schliessen sich leichter an, benutzen mehr die Gunst des Au-
genblicks, sind muntere Gesellschafter. Die Voraussagungen
des Kapitäns wurden gerechtfertigt. Schon am folgenden Tage,
als in Orsova unsere Reisegesellschaft sich durch mehrere
rumänische Familien vermehrte, die aus dem Bade Mehadia,
dem Baden-Baden des Ostens, heimkehrten, stieg die Tem-
peratur der Konversation auf dem ersten Platze bald über
den Gefrierpunkt.
13. Die Donaukatarakten und das eiserne Thor.
Bei Moldova hört die Donau (Danubius) der Alten auf,
und der Fluss führt bei ihnen fortan den Namen Ister. Ei-
gentlich müsste man sagen, was wir Donau nennen, besteht
aus zwei Flüssen, deren einer von der Quelle bis Moldova geht;
dann kommt eine Unterbrechung der Schiflffahrt von 17 Mei-
len bis zur rumänischen Grenze ; darauf die zweite Hälfte der
Donau, welche bis zu ihrer Mündung ins Schwarze Meer der
Schifffahrt kein Hinderniss mehr in den Weg legt und ruhig
zwischen flachen Ufern dahinfliesst, sich vielfach spaltend und
wieder vereinigend. Der Zwischenraum zwischen diesen bei-
den gesonderten Theilen der Donau heisst die Klissura (obere
und untere). Es giebt hier ein „hüben" und „drüben". Die
Anwohner der Donau diesseits Moldova können in Beziehung
auf die Rumänen und Bulgaren sagen: „Zwischen uns und euch
ist eine grosse Kluft befestigt, dass die da wollten von hinnen
30
hinabfahren zu euch, können nicht; und auch nicht von dan-
nen zu uns herüberfahren."
Die Donau besteht aus zwei so gesonderten Flüssen, dass
z. B. mit Segelschiffen jeder Verkehr zwischen beiden eine
Unmöglichkeit ist. Man nennt daher die Passage oder viel-
mehr den engeren Theil derselben das „Eiserne Thor", um
die Absperrung zu bezeichnen.
Diesem üebelstande, der Südost-Europa in zwei geson-
derte Theile trennt, wäre nur durch grossartige Felsen sprengungen,
die einen ausserordentlichen Kostenaufwand erfordern würden,
abzuhelfen: freilich wären aber die Vortheile für Handels-
und Völkerverkehr unberechenbar.
Um von diesseits nach jenseits der beiden Donauhälften
zu gelangen, hatten die Eömer auf dem rechten Ufer eine
Strasse gebaut, deren Spuren noch an vielen Stellen wahrge-
nommen werden. Der Kaiser Trajan soll diese Strasse gebaut
haben, die damals wohl vorzugsweise als „Treppelweg** für
diß Schiffe gedient hat, welche nach aufwärts gezogen wurden.
Man sieht daher stellenweise Reihen von grossen viereckigen
Löchern in den Fels eingehauen, die eine brückenartige Er-
weiterung des Weges, eine Gallerie nach aussen trugen. In
dem Munde des Volkes heisst diese Landstrasse der „Trajans-
Weg". Ihre Herstellung mag schwierig gewesen sein. Das
Pulver war damals noch nicht erfunden, um Felsen zu spren-
gen , und die Felsen mit dem Meissel zu bearbeiten , muss
viele Mühe gekostet haben.
Auf dem linken Ufer ist nun auf Veranlassung des un-
garischen Grafen Szechenyi von Moldova nach Turn-Severin
eine Landstrasse unmittelbar am Donauufer gebaut worden,
welche dem Verkehr wesentliche Dienste leistet. Oder, wie
sich die Leute ausdrücken: „Den rechten also hat der Tra-
jan g'moacht, und den linken Weg der Szechenyi g'moacht." In
der That hat Graf Szechenyi nur die Arbeit ins Werk gesetzt ,
welche von der D. D. -Gesellschaft ausgeführt worden ist.
Das Volk hält ihn jedoch als die Seele des Unternehmens für
den eigentlichen Erbauer, und redet von „Szechenyi's Weg".
Als wir von Moldova am Morgen abgefahren waren, wur-
den wir bald durch einen Nebel zum Stillstande gebracht. Es
war am hellen Tage bis gegen 11 Uhr kaum möglich, die
31
Hand vor Augen zu sehen, so dick war die Finstemiss. Nebel ist
auch auf der See das Haupthinderniss der SchifFfahrt und wird
mehr als Sturm gefürchtet. Auf dieser gefährlichen Strecke,
wo der breite Strom durch die felsigen Ufer zusammenge-
zwängt und durch emporstrebende Felsenspitzen gefährlich wird,
gebietet die Vorsicht bei Nebel Stillstand. Unsere Franzosen
waren jämmerlich entmuthigt, als man ihnen sagte, dass die
Jahreszeit der Nebel gekommen sei, sie wollten sich ausschif-
fen lassen und nach Moldova zu Fuss zurückkehren, ihre Reise
in den Orient aufgeben.
Als der Nebel sich zertheilte, entfaltete sich die pracht-
vollste Gebirgslandschaft vor unseren Augen. Am serbischen
Ufer ruhte der Blick auf einer alten römischen Bergfestung
Kolumbacz (Taubenschloss) mit wohl erhaltenen Thürmen, von
der Spitze einer Anhöhe am Abhänge derselben sich ausbrei-
tend. Diese Ansicht ist ebenbürtig der romantischsten Rhein-
partie. In der Mitte des Stromes entsteigt demselben ein
Felsen Babakay (vulgo, Papagey). Die Sage knüpft an diesen
Felsen die Geschichte von dem Fluche eines Vaters, auf dessen
Geheiss zwei Liebende dort ausgesetzt wurden und ihren Tod
fanden. Babakay soll aber auch „das böse Weib" bedeuten.
Es ist ein über 100 Fuss hervorragender Felsen, zerhackt, zer-
klüftet, mit spitzen Zacken. Wie konnte sich auch der schmucke
Donaustrom mit diesem garstigen alten Weibe vermählen, das,
wenn er ihm seine Kinder, die* Schiffe, an die Brust legt, sie
zerschellt. Die Vermählung bekommt ihm aber schlecht, denn
von nun an ist es mit seiner Ruhe für einige Zeit vorbei.
Hinter dem Babakay tritt man ein in das Gebiet der Wirbel
und Brandungen, wovon selbst die Luft nicht unberührt bleibt,
denn es herrscht an einigen Stellen ein unaufhörlicher starker
Zugwind. Felsen, welche sich am Ufer bis zur Höhe von 1800
Fuss erheben, begrenzen den Strom; sie werden von Schluch-
ten und wilden Thälern durchschnitten, sind öfter zu Vorge-
birgen geformt und fallen meistens jäh zum Wasser herab.
Die Höhen sind unbewohnt und unbebaut. Hier und da ge-
wahrt man Löcher in den Felsen über der Oberfläche des
Wassers, kleine Höhlen, in welche das Wasser hineinspült,
wo wir oft Fischerboote beschäftigt sahen, den Hausen zu
fangen.
32
Auf Felsen, die aus dem Flusse sich erheben, sind
oft Wamungssignale angebracht , um anzudeuten , dass die
Schiflffahrt an dieser Stelle gefährlich sei.
Bis Drenkova ist durch Felsensprengungen manches Hin-
derniss schon aus dem Wege geräumt worden. Dort mussten
wir aber auf einen vierrädrigen kleinen Dampfer übersiedeln,
der die Passagiere des Kurierzuges von Konstantinopel, welche
jenen Ort vor zwei Tagen verlassen hatten, bis hierher geführt
hatte. Sie stiegen jetzt über auf das von uns von Moldova
aus benutzte Schiff. Es war darunter der Sohn Ismail des
Vicekönigs von Egypten, einstiger Thronerbe, welcher mit Be-
gleitung nach Paris zu seiner weiteren Ausbildung geschickt
wurde. — Wir waren jetzt dem eigentlichen Orient um so
viel näher gekommen.
Bei der wundervollen Witterung und dem uns bevorstehen-
den Naturgenusse Hessen wir unsern Tisch zum Mittagsmahle
auf dem Verdecke herrichten, um mit der Mailändischen Kauf-
mannsfamilie fortan gemeinschaftliche Sache zu machen. Be-
sagte Familie war grossmüthig genug, aus landsmännischen
Rücksichten dem heruntergekommenen Turiner Impresario mit
seinen Sängerinnen ein reichliches Mittagsessen nach dem Style
des ersten Platzes zu spendiren, welche Liberalität freudig und
dankbar acceptirt wurde.
Jetzt wurde die Landschaft schauerlich. Wir waren zu
den gefährlichen Katarakten gelangt. Der Donaustrom
wird hier von den Felsenspitzen eines breiten Riffs durchsetzt,
welches die Donau durchschneidet, und über welches sich der
Fluss wie über eine Marterbank hoch aufschäumend und wild
strudelnd dahinwälzt. Das Schiff muss mit ganzer Dampf-
kraft fahren, um nicht Gefahr zu laufen, von den vielfachen
Wasserwirbeln fortgerissen und an den Felsen zerschellt zu
werden. Das Auge gewahrt nur einen Theil des Wirrwarrs
auf der Oberfläche, die Seele ahnt aber, was in der Tiefe vor-
geht, wo die zahlreichen widerstrebenden Ströme und Wasser-
stürze sich einander bekämpfen. Die Walachen nennen
Bulbuku (Aufbrodelungen) die mächtigen Anschwellungen des
Wassers, welche aus der Tiefe aufsteigen, dann einen Augen-
blick wie breite Halbkugeln erscheinen und sich in weiten
konzentrischen Kreisen vertheilen.
33
Islaz, Tachtalia und Jutz (Schnelle) sind die walachischen
Namen für die drei gefährlichen Stellen, wo das Flussbett am
engsten und die Strömung am ungestümsten ist; es sind eigent-
lich die Namen von Felsen, welche hier die Donau durch-
brechen. Das Wasser tobt hier in einem wahren Tumulte.
Die Donau ist hier so enge, dass man ihre Breite auf kaum
500 Fuss schätzt, während dieselbe bei Pest das Sechsfache
betragen soll. Der Fluss ist unwillig über die ihm angelegte
Zwangsjacke, schlägt riesige Wellen, sprudelt und tobt in schäu"
mender Brandung gegen die felsigen Ufer. Der Dampfer glei-
tet pfeilschnell über die gefahrvollen Stellen hinweg. Die Ufer
sind unwirthlich und unbewohnt, nur Adler horsten auf den
hohen einsamen Felsenspitzen und beschäftigen die Aufmerk-
samkeit des Reisenden, während die Natur in eine geheimniss-
volle Stille versenkt ist. Man glaubt sich in eine amerika-
nische Urlandschaft versetzt, die von der Kultur noch nicht
in Angriff genommen und beleckt worden ist. Solche Er-
innerungen soll diese Gegend auch in weitgereisten Ent-
deckern ferner Welttheile aufgefrischt haben. Sicher ist, dass
kein europäischer grosser, von Dampfschiffen befahrener Strom
ähnliche wilde und pittoreske landschaftliche Schönheiten
bietet, keiner darin mit der Klissura den Vergleich aushält,
alle sich dagegen zahm und idyllisch ausnehmen.
Die jetzt beschriebenen heissen die oberen Donaukatarak-
ten und bilden das kleine eiserne Thor. Mit einem Male er-
weitert sich wieder der Strom, einen wahren See bildend. Nichts
desto weniger schäumt der See und Alles deutet darauf hin,
dass hier in der Vorzeit eine gewaltige Erschütterung der Berge
und Felsen stattgefunden haben muss, als sich die Wassermasse
gewaltsam Bahn brach. Es heisst diese Passage der „Gr eben".
Die eigentliche Menge des aus der oberen Klissura her-
vorschiessenden Wassers zu bestimmen, ist unmöglich; die
Tiefe des Stromes über diesem ungleichen felsigen Grunde ist
sehr verschieden ; an einigen Stellen beträgt sie, nach Aussage
der Schiffer, Hunderte von Füssen, an andern stösst das flach
gehende Schiff in der Tiefe von kaum zwei Fuss auf die empor-
strebenden Felsen, und versetzt so die Passagiere in Angst
und Schrecken. So ganz unbegründet ist die Angst nicht,
denn Unglücksfälle sind hier genug vorgekommen. Noch im
3
34
Sommer 1839 fand hier eine ganze Reisegesellschaft auf einem
grösseren Ruderschiffe einen ruhmlosen Tod und ein kühles
ruheloses Grab, darunter Fremde aus allen Weltgegenden, Han-
delsreisende aus Kleinasien und ein amerikanischer Tourist.
Nach den wissenschaftlichen Hypothesen hat wirklich die
Donau früher aus zwei hier ganz gesonderten Hälften bestanden.
Die siebenbürgisch - walachischen Bergketten nämlich,
welche sich in südwestlicher Richtung in das Gebirgsland Ser-
bien fortsetzen und dort verzweigen, haben die beiden grossen
Ebenen, die mittlere ungarische und die untere walachische,
auseinander gehalten und abgeschlossen. Die ungarische Tief-
ebene bildete wohl damals einen Binnensee, dessen noch jetzt
zum grossen Theil sumpfigen Boden die Magyaren bewohnen.
Dagegen wurde wohl die walachische Ebene, wie das südliche
Russland, vom Schwarzen Meere überfluthet, was die heute
noch dort befindlichen Salzsteppen beweisen. Nach langem
und furchtbarem Ringen mag es nun dem ungarischen Binnen-
see gelungen sein, die Schranken zu durchbrechen und in der
jetzigen niederen Donau abzufliessen. Die Frage ist, ob Nep-
tun ohne Hülfe des Vulkan diese Arbeit allein zu Stande ge-
bracht hat, wie viel Zeit darüber verflossen ist, und in welchem
Abschnitte der christlichen Zeitrechnung das Werk zu Stande
gebracht worden ist. Jetzt liegt es aber dem menschlichen
Erfindungsgeiste, seiner rastlosen und ausdauernden Thätigkeit
ob, das vom Neptun vollbrachte Werk zum Nutzen und From-
men der Handeltreibenden und reisenden Menschheit weiter
auszubilden und eine bequeme, gefahrlose Heerstrasse mittelst
des Flusses herzustellen: aus den beiden getrennten Hälften
der Donau ein zusammenhängendes ununterbrochenes Ganze
zu vollenden. Die Vorsehung scheint dem deutschen Volke
diese Arbeit vorbehalten zu haben: die D. D. - Gesellschaft
hat sich auch schon rüstig ans Werk gemacht. Das Zustande-
kommen wird durch das hier stattfindende Zusammenstossen
von vier Ländergebieten, die vier verschiedenen Herrschern ge-
horchen, als da sind : Oeströich, Serbien, Walachei und Türkei,
erschwert.
Nach dieser geologischen Abschweifung kehren wir aus
dem Gebiete der Theorie und Spekulation wieder auf das der
Thatsachen und der Realität zurück.
g5
Mit dem „Greben" ist der erste Kampf beendet; der
Greben kann als Felsenthor, das die Donau passirt hat, be-
zeichnet werden. Nachdem wir Stunden lang, mit Ausnahme
einiger Csal'taken auf der östreichischen Grenze und Spuren
von Holzherunterschleifung von den Bergen am serbischen
Ufer, kaum ausserhalb unserer Welt im Kleinen (des Schiffes)
menschliche Thätigkeit gewahrt hatten, erblicken wir jetzt links
Swinitza, die südlichste Ortschaft von Ungarn (denn jetzt wen-
det sich die Donau plötzlich nach Norden), und rechts das
serbische Milanowitz, von wo aus wir den seltenen Anblick
einer neuen Strasse geniessen, die im Zickzack über die
Berge führt.
Jedoch die Strecke, wo die Donau ruhig und in einförmi-
ger Strömung dahin fliesst, dauert nicht lange. Während man
sich noch lebhaft der grausigen Naturschönheiten der über-
standenen oberen Klissura erinnert, treten bald wieder hohe
Berge an den Fluss heran, und die untere Klissura beginnt.
Es scheint die Donau sich hinter einem von senkrecht hervor-
tretenden Felsen gebildeten Thore in einen schmalen Streifen
zu verlieren. Die höchste Bergkuppe von Serbien, tier Berg
Sterbecz, erhebt sein 3100 Fuss hohes Haupt. Der mächtige
Strom rauscht in einem so engen Bette, dass man glaubt, von
einem Ufer zum anderen mit Steinen werfen zu können; die
Breite der Donau gleicht hier der der Warthe bei unserer Stadt.
Der Reisende sieht, staunt und schweigt, überwältigt von
dem Eindrucke des Engpasses, welcher Kasan (Kessel) heisst.
Der Eingang des Kessels ist wunderschön. In der Mitte des
Stromes steht ein hoher Felsen, der von tobenden Gewässern
umbraust wird. Er heisst der„Kalnik". Die Tiefe der Donau
soll hier durchschnittlich 180 Fuss betragen. Es ist sicher,
dass die Donau auf ihrem ganzen übrigen Lauf keine Strecke
von ähnlicher Tiefe aufzuweisen hat. Die Ufer sind hier
freundlicher und mit Laubholz bewaldet ; oft sieht man Quel-
len aus den Felsen hervorsprudeln, auch wird die Gegend
durch anmuthig gelegene Dörfer (Dubova, Ogradina) belebt;
wir kamen sogar bei einer serbischen Löffel- Wassermühle vor-
bei; die Schaufeln des Wasserrades sind nämlich nach Art
der Suppenlöffel ausgehöhlte Klötze, die schief in den horizon-
talen Kamm des Rades eingesetzt und so gegen den Wasser-
3*
strahl gestellt sind, dass sein Stoss gegen diese Löffel das Rad
herumdrehen muss. — Unwillkürlich drängte sich uns der Ge-
danke auf: wie mag es hier im Winter, abgeschieden von aller
Welt, zu leben sein, wo die Verbindung auf dem Wasserwege
aufhört und die Eismassen sich aufthürmen, während die hohen
schroffen Berge überhaupt jede Verbindung mit dem inneren
Lande absperren.
In dieser Gegend auf dem serbischen Ufer wird die be-
rühmte Tafel des Kaisers Trajan (Ikonalui Trajan) von Alter-
thumsforschern besucht. Es ist eine Inschrift, welche Trajan
hier in den Felsen hat einmeisseln lassen, wahrscheinlich zur
Erinnerung an die Mühen seiner Legionen beim Bau seiner
Kunststrasse. Besagte, in manchen Theilen unkenntliche und
unleserliche Inschrift, ist der Gegenstand vieler Kommentare
und Konjekturen gewesen, und hat bis jetzt vergeblich den
Scharfsinn und die Gelehrsamkeit der Philologen auf die Probe
gestellt.
Das Strombett wird wieder breiter ; die Donau, nicht ein-
geengt und durch Felsenriffe im Laufe gehemmt, fliesst ruhig
weiter, während in der Ferne die walachischen Gebirge sich
erheben.
Wir gelangen endlich nach Alt-Orsova, dem letzten östreichi-
schen Orte, dem Sitze des k. k. Grenzzollamts, wo man uns
bei unserer Rückkehr gehörig durchsuchte und für einige aus
der Türkei mitgebrachte Kleinigkeiten schwer brandschatzte.
Jetzt fuhren wir nach kurzer Anlandung ohne Ingrimm weiter,
weil eine Durchsuchung nicht stattfand.
Es ist Alt-Orsova die letzte östreichische Skala, wie un-
sere Italiener sagten, oder Skella, wie die jetzt auf das Schiff
eintretenden Rumänen, die aus dem 2^/2 Meile von hier be-
findlichen Bade Mehadia heimkehrten, sich ausdrückten. Skala,
Skella, oder französisch echelle, heisst Landungsplatz ; man be-
dient sich dieses Ausdrucks im ganzen Orient. Es war Skella-
Orsova, welche wir jetzt passirt hatten. Ce sont les echelles
de rOrient ou Pon achete les marchandises, erklärte mir un-
ser französischer Reisegefährte. Auch hier bot man uns Pfeifen-
röhre aus Kirschbaumholz zum Verkaufe an, angefertigt aus
jungen Kirschbäumen, die in dieser Gegend wild üppig wuchern.
Nach kurzer Fahrt erreichten wir die Höhe von Neu-Orsova;
i
37
es ist dies eine auf einer Insel in der Donau gelegene Festung,
welche heute noch von den Türken besetzt ist. Hier wehte
eine mit dem Halbmonde geschmückte Fahne. Türkische Ka-
nonen richteten ihre Schlünde flusseinwärts. Aus Gebüschen
und Mauerwerk ragte ein schlanker Minaret in die Luft. Der
Pascha, w:elcher hier residirt, hat eine schwarze Bedienung.
Es ist dies wohl der am weitesten vorgeschobene Posten des
Islam. Dass die Festung in einem erbärmlichen, verfallenen
Zustande war, konnten wir ohne Mühe vom Schifif aus be-
merken.
Die Donau fliesst von hier fast in gleicher Breite zwischen
hohen felsigen Ufern. Wir nahen uns dem eigentlichen „eiser-
nen Thore", d. h. einem mächtigen Felsenriff. Es heisst la-
teinisch porta ferrea, türkisch Demir kapi, walachisch Porta
di fern. Es wird der ganze Fluss von Felsen durchsetzt, zwi-
schen denen oft nur eine ganz schmale Durchfahrt sich be-
findet. Ganz kleine Fischerboote können bei kundiger Füh-
rung ohne Gefahr passiren. „Und es wallet und siedet und
brauset und zischt, wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt."
Schon in ansehnlicher Entfernung vernimmt man das Getöse. Es
ist ein eigentlicher Wasserfall. Man sieht gleichsam eine Linie
quer über das Wasser gezogen, hier und da ragen Felsspitzen
hervor. Die Höhe des Wasserfalls beträgt 16 Fuss, die Ge-
schwindigkeit des Stromes nachher 15 Fuss in der Sekunde,
die Länge der ganzen Strecke, welche das eiserne Thor ge-
nannt wird, etwas über eine Viertelmeile. In der Mitte des
Stromes auf felsigem Grunde liegt der Rumpf des türkischen
Kriegsdampfers „Silistria", als Illustration, wie die Verwegen-
heit, diese Strecke befahren zu wollen, gestraft wird. Das
Wrack ist in die Felsen so eingebohrt, dass es mit ihnen zu-
sammengewachsen zu sein scheint.
Sowohl auf der Hin-, wie auf der Rückreise hat uns denn
auch die D. D.-G. fürsorglich ausgeschifft und schon von
der rumänischen Grenze aus auf Wagen nach Turn-Severin
befördert. Wir befanden uns jetzt in einer für uns neuen
Welt. In den Adern der Rumänen rollt das Blut schneller,
wie in den unsrigen, ihre Pulse schlagen stärker. Dies fand
auch seinen Ausdruck in der Art und Weise, wie unser Kut-
scher im gestreckten Galoppe mit uns davonfuhr, dass uns
38
auf dem holprigen Wege auf unserem Leiterwagen ohne Fe-
dern die Rippen im Leibe knackten. Die 2^/2 Meilen Weges
wurden, obwohl wir uns mehrere Minuten in einem Dorfe auf-
gehalten hatten, in der Zeit von Einer Stunde ventre ä terre
zurückgelegt. Wir erreichten Turn-Severin am Freitag Abend,
am 18. September, vor einbrechender Dunkelheit.
14. Turn-Seyerlii.
Tum-Severin (Turnul Severinului) hat seinen Namen von
dem Severus-Thurm, dessen verfallenes Mauerwerk mit park-
artigen Anlagen umgeben ist. Man findet bei diesem Städt-
chen Ueberbleibsel von altem römischen Gemäuer, von Schan-
zen, Gräben und Wällen, die einst zur Vertheidigung der merk-
würdigen Trajansbrücke, die hier über die Donau führte, ge-
dient haben. Die letzte feste Brücke über die Donau ist ge-
genwärtig bei Pest-Ofen, die letzte Schiffsbrücke bei Neusatz-
Peterwardein.
Unwillkürlich wirft man sich die Frage auf: warum sind
die Ufer der unteren Donau so öde und verlassen, während
die Ufer des unteren Rheines im Städteschmuck prangen und
überall einen reichen Anbau aufweisen? Die Natur trägt nicht
die Schuld, denn Klima, Boden > Lage sind an der unteren
Donau viel günstiger, als am unteren Rheine. Die Anwohner
der Donau tragen selbst die Schuld. Rumänien und Bulgarien,
zwischen welchen Ländern unser Schiff fortan fährt, sind un-
wegsam. Der rumänische Bojar verpachtet sein Gut auf zwei
Jahre, lässt sich den Miethszins im Voraus zahlen, verspielt
denselben schon in zwei Tagen, wenn er es nicht vorzieht, ihn
in zwei Wochen in Paris zu vergeuden. Ebenso sind die Bul-
garen wüthende Spieler, Tag und Nacht ergeben sie sich auf
dem Dampfschiffe diesem Laster. Sowohl auf der Hin- wie
auf der Rückreise begegneten wir auf dem Dampfschiffe solchen
Bauernfängern, welche die niedrigen Leidenschaften der rumä-
nischen und bulgarischen Reisenden zu ihrem Nutzen ausbeu-
teten. Auf der Rückreise waren wir Augenzeuge, wie ein solcher
Schwindler, mit dem rothen Ordensbande der Ehrenlegion im
Knopf loche geschmückt, mit einer Grafenkrone auf seiner
Reisetasche, die in fetter Schrift signirt war: le comte de
C. . . ., dem Sekretär von Mustapha Pascha im Kartenspiel
39
40 Pfd. Sterling in kürzester Frist abnahm. Besagter Industrie-
ritter war mehreren Personen unserer Keisegesellschaft als ein
notorischer konstantinopolitanischer Schwindler bekannt. Dass
bei solchen Sitten und Gewohnheiten der Aristokratie eines
Landes der Anbau vernachlässigt wird und das Land verödet,
ist erklärlich.
Tum-Severin ist eine Oase in der Wüste. Es ist dieser
Ort im raschen Emporblühen begriffen. Die D. D.-G. hat
hier ein Bureau ihrer Verwaltung, eine bedeutende Schiffs-
werfte und grosse Werkstätten eingerichtet. Deutsche Kolo-
nisten haben sich hier zahlreich angesiedelt und durch ihren
Fleiss und ihre Tüchtigkeit eine neue Schöpfung begründet.
Schon jetzt hat der Ort mehr als 500 Häuser und über 4(X)0
Einwohner, während es früher kaum ein Dorf zu nennen war.
Die Deutschen haben hier eine katholische und eine evange-
lische Gemeinde gebildet, und bezahlen die Geistlichen aus
ihren eigenen Mitteln. Dass in Turn-Severin eine gute deutsche
Bierhalle besteht, ist selbstverständlich ; ebenso ein Volksgarten,
wie wir ihn später in allen grösseren Ortschaften, auch unter die-
sem Namen vorfanden. Viele neue Häuser waren im Bau begriffen.
Da unser Dampfer hier eine Anzahl Stunden liegen blieb, hatten
wir Gelegenheit, uns den Ort gründlich anzusehen, auch ein
Kaffeehaus zu besuchen, wo wir wahrnahmen, dass von jetzt
an bis tief in den Orient Kaviar eins der gewöhnlichsten
Nahrungsmittel ist.
Auffallend waren uns hier die strengen militärischen Vor-
kehrungen, die starke walachische Besatzung, die ängstliche
Küstenbewachung der Donau, die Rücksichtslosigkeit der zahl-
reichen Schildwachen, einem sogleich das Bajonet vor die
Brust zu strecken, als ob an einem Menschenleben gar nichts
gelegen sei. Indessen wurden uns diese Maassregeln später er-
klärlich. Rumänien ist in der Krisis, es sind innere und
äussere Feinde zu bekämpfen, es besteht daher eine volle
Kriegsbereitschaft, wie wir uns ausdrücken würden. Die jetzige
Regierung ist nicht stark genug, kokettirt mit Konstitutiona-
lismus, der in einem Lande, wie Rumänien ist, wo eine so
grosse Sittenverderbniss herrscht, übel angebracht ist. Hier
können nur die Diktatur und rücksichtsloses Vorgehen des
Regenten die eingewurzelten Missbräuche ausrotten und heilsame
40
Reformen einführen. Aber auch gegen die Türkei ist Rumänien
in Kriegsgefahr begriffen. Die Banden, welche Bulgarien revolu-
tioniren und von der türkischen Herrschaft loszureissen drohen,
organisiren sich in Rumänien und setzen von dort über die
Donau. Kurz vor unserer Ankunft in Rustschuk hatte man
dort acht Insurgenten aufgehängt. . In der Irenen-Kirche (dem
Arsenal) in Konstantinopel fanden wir mit frischem Blute be-
fleckte Fahnen, welche bulgarischen Insurgentenbanden neulich
entrissen worden waren. So fanden wir von Turn-Severin bis
Sulina auf beiden Ufern der Donau links einen walachischen,
rechts einen türkischen Grenzkordon und gewahrten zahlreiche
Patrouillen. Jede Anlandung ist daher mit vielfachen Vexa-
tionen verknüpft, und war es nicht mehr gerathen, irgendwo,
selbst bei längerem Aufenthalte des Passagierschiffes, dasselbe
zu verlassen, ohne sich den grössten Gefahren preiszugeben
sowohl auf walachischem wie auf türkischem Boden.
•s.
15. Von Turn-Seyerin Ms Widdin.
Zu Turn-Severin wurden wir auf einem Dampfschiffe von
den Dimensionen eines Seedampfers einquartirt. Es sollte bis
zum Ziele der Donaufluss-Schifffahrt , d. h. bis Galatz, kein
Wechsel mehr eintreten. Der breite und tiefe Donaustrom ist
bis Galatz befähigt, die grössten Fahrzeuge, selbst bei so nie-
drigem Wasserstande, wie er in diesem Jahre stattfand, zu
tragen. Von jetzt ab beginnt allmälig ein grosser Verkehr mit
Segelschiffen, von denen gegenwärtig die „Donaumündungen''
besonders bei Braila und Galatz zu Hunderten wimmeln.
Die Einrichtungen auf diesem grossen Dampfschiffe ge-
währten mehr Bequemlichkeit, wie auf den früheren kleineren
Dampfern. Es waren in den Kabinen und im Herren -Salon
mehr als 80 gute Betten aufgeschlagen. Es konnte sich die
Gesellschaft in verschiedene Salons vertheilen und sich eine
gemüthliche und behagliche Existenz verschaffen.
Die deutsche Sprache hört jetzt auf die kurrente zu sein,
an ihre Stelle tritt die italienische, die im ganzen Orient die
eigentliche Verkehrssprache ist und mit der rumänischen
vielfach übereinstimmt. Domine und Servus sind die Worte,
die hier stets gegeneinander ausgetauscht werden.
Auf dem rechten Ufer ziehen einige freundliche serbische
41
Ortschaften mit rothen Ziegeldächern unsere Aufmerksamkeit
auf sich, z. B. Brza-Palanka. Palanka bedeutet Umzäunung
und ist ein oft gebrauchter Zusatz bei orientalischen Orts-
namen. Wir gelangen an den kleinen Fluss Timok, welcher
Serbien und Bulgarien trennt. Fortan haben wir rechts tür-
kisches, links rumänisches Gebiet, bis fast zu den Donaümün-
dungen; schliesslich nur türkisches, nachdem Russland durch
den Pariser Frieden in Folge des Krimmkrieges weit von den
Donaumündungen zurückgedrängt worden ist.
Bei Tagesanbruch befanden wir uns zwischen Kalafat und
Widdin. Bei Kalafat in der Walachei fanden wir am Lan-
dungsplatz eine Menge Maschinen für den Ackerbau (Säe-,
Dresch-Maschinen u. s. w.) aufgehäuft, was sich fast in allen
walachischen Orten an der Donau wiederholte. Es findet ein
ungeheurer Absatz von landwirthschaftlichen Maschinen nach
Rumänien statt, was als ein erfreuliches Zeichen der fort-
schreitenden Kultur zu begrüssen ist. Die meisten dieser
landwirthschaftlichen Geräthe sind englischen Ursprungs, wie
wir davon auch grosse Magazine in Braila und Galatz zu sehen
Gelegenheit hatten. In der Türkei haben wir von landwirth-
schaftlichen Maschinen nichts wahrgenommen.
Bei Kalafat sahen wir, was sich später immer wiederholt,
eine Anzahl Frauen mit der Wäsche in der Donau beschäftigt.
Das Wasser der unteren Donau, welches mit fettem Thone
gesättigt ist, erspart die Seife, was sich auch beim Baden im
Flusse bemerkbar macht, wie wir selbst empfunden haben bei
unseren öfteren Schwimmfahrten in der Donau von dem Ufer
in der Dobrudscha aus.
16. Widdin.
Widdin ist die erste grössere türkische Festung, die wir
auf unserem Wege antrafen. Die Donau war schon bei den
Römern eine stark erprobte Vertheidigungslinie. Das rechte
(bulgarische) Ufer der Donau hat den Vorzug, dass es das
linke (walachische) stets überragt; das rechte Ufer ist felsig,
das linke flach. Die zahlreichen Flussinseln liegen sämmtlich
dicht am walachischen Ufer, der Feind ist daher genöthigt,
seinen Uebergang über den Fluss über den breiten Hauptarm
am rechten Ufer unmittelbar unter dem nächsten Frontbereich
42
der Vertheidigung zu bewerkstelligen. Bulgarien ist jetzt der
Hauptwall des osmanischen Reiches gegen alle Angriffe von
Norden her.
Die vergoldeten Spitzen der weissen schlanken Minarets
von Widdin glänzten im hellen Scheine der Morgensonne;
eben so interessirten uns die in der Form eines Quadrates ge-
bauten mit ziemlich flachen Dächern versehenen Moscheen, deren
mehrere vom Schiffe aus sichtbar waren, sowie das Serail des
Pascha mit drei Rossschweifen. Die am Ufer befindlichen
türkischen Kaffeehäuser waren schon mit zahlreichen rauchen-
den miissigen Gesellen gefüllt, die neugierig die Schiffsvorgänge
beobachteten.
In Widdin wurden von Türken grosse Quantitäten von
Rauchtabak zum Verkaufe auf das Schiff gebracht und ohne
weiteren Handel vertrauensvoll baar bezahlt: im Allgemeinen
sollen nämlich die Türken im Geschäft ganz zuverlässig sein.
Der türkische Tabak ist gegen den bei uns üblichen von vor-
züglicher Qualität und verbreitet einen angenehmen Wohlgeruch,
so dass man bei der Rückkehr aus dem Orient den hiesigen
Qualm unerträglich findet. Freilich ist der türkische Tabak
an Ort und Stelle schon eine kostspielige Waare und wird
gute Waare auf 3 preuss. Thaler per Zollpfund gerechnet.
In Widdin wurden grosse Quantitäten von Weintrauben
und Wassermelonen aufs Schiff gebracht. Letztere sind eine
Lieblingsnahrung der Türken, die sich mit Brot, Wasser und
Melonen begnügen und damit für ihre Ernährung vollständig
zufrieden sind, wie wir das auf dem Schiffe, wo gegen hun-
dert Türken sich jetzt auf dem Verdeckplatze befinden und
Tage lang uns begleiten, haben wahrnehmen können.
Von jetzt ab beginnt beim Besteigen des Schiffes eine
eigene Prozedur. Ein besonderer Beamter ist dafür angestellt,
den türkischen Passagieren für die Dauer der Fahrt die Waf-
fen abzunehmen (Schuss- und Hiebwaffen, Dolche und lange
Messer, Yatagans genannt), womit die Gürtel gespickt sind,
und sicher und unschädlich einstweilen zu verwahren. Ich
war erstaunt über die Waffenvorräthe , die hier aufgehäuft
wurden, indem selbst die kleinen Buben mit den gefährlichsten
Mordwerkzeugen ausgestattet waren.
Bei der Abfahrt im Bogen um die Stadt und Festung
43
hatten wir Gelegenheit, das Panorama, das vor uns ausgebrei-
tet war, näher zu beschauen, den türkischen Begräbnissplatz
mit seinen Cypressen, das Serail des Pascha u. s. w., so wie
die vielen am Donauufer neu gebauten massiven Häuser. Der
lebhafte Verkehr, in welchen die an der Donau gelegenen tür-
kischen Orte mit der übrigen Welt treten, äussert seinen re-
formatorischen und civilisirenden Einfluss.
Unser türkischer Major, der seit Semlin unser Reisege-
fährte war, hatte in Widdin Kriegskameraden aufgesucht (er
selbst war mehrfach dekorirt und immer mit seinen Orden ge-
schmückt) und sich am Lande verspätet, so dass das Dampf-
schiff abfuhr ohne ihn. Auf das lamentable Geschrei seiner
Gattin und seines unartigen kleinen Sohnes fand sich der
Schiffskapitän indessen veranlasst, anzuhalten und das nach-
rudernde Boot abzuwarten, in welchem vier Mann alle ihre
Kräfte anstrengten, den Major an Bord des Dampfers zurück
zu bringen, was ihnen endlich auch gelang.
17. Von Widdin bis ßnstschuk-Oinrgewo.
Wir befinden uns jetzt schon mitten im Orient. Wir haben
rechts die Türkei, links die W^alachei. In beiden Ländern ist
es unruhig. Eine Katastrophe hier könnte das übrige Europa
in seinen Grundfesten erschüttern, und würde selbst Asien und
Afrika in Mitleidenschaft ziehen.
Die Donau fängt an, von zahlreichen Segelschiffen belebt
zu werden, von denen nicht wenige unter griechischer Flagge
fahren, wie die Griechen überhaupt als geschickte Segelschiffer
gelten.
Wir passiren die freundlich im Grünen gelegene türkische
Ortschaft Lompalanka. Es befinden sich hier viele liebliche
Gärten, leider mit hohen Umzäunungen umgeben (Palanka
bedeutet Umzäunung), so dass nur die Bäumgruppen hervor-
ragen. Zugleich wird der Blick der Reisenden auf die von
der Donau umspülten Inseln mit grünem Weideland hingelenkt.
Diese Inseln sollen im Frühjahre von zahlreichen Nachtigallen
belebt sein.
In Widdin hatte sich ein türkischer Oberst mit drei gol-
denen Strichen auf dem Aermel der Uniform mit uns einge-
schifft. Er sprach die französische Sprache dans la perfec-
44
tion, eben so auch die italienische, so dass er sich in eine
animirte Unterhaltung mit unserer Mailänder Reisegefährtin
vertiefte. Es war ein noch jüngerer eleganter Herr von den
ungezwungensten Manieren. Wir bemerkten seine Leutseligkeit
im veiiraulichen Verkehr mit niederen türkischen Militärs auf
dem Schiffe, welche sich auch nicht weiter genirten. Im Pri-
vatverkehr macht sich bei den türkischen Militärs auch der
Rangunterschied nicht geltend, nur im Dienst wird die Etiquette
beobachtet. Unser Oberst war sehr liebenswürdig, die Unter-
haltung mit ihm war eben so anziehend wie belehrend. Sein
Reiseziel war Konstantinopel, wohin ihn der Sultan gerufen
hatte.
Wir passiren die Mündung des die Walachei durchströ-
menden Flusses Schyul.
Wir haben schon mehrfach Bekanntschaft mit redseligen
Bojaren angeknüpft. Mit Erstaunen hören wir, dass der Pan-
slavismus sich dort mächtig rührt : es sind ja aber die Rumä-
nen gar keine Slaven, vielmehr die echtesten Romanen, welche
es giebt; dennoch möchte Russland sie in ihr Netz ziehen.
Das neue Ministerium, das vor einigen Wochen in Thätigkeit
getreten ist, wird jedoch gewiss diese Richtung bekämpfen.
An seiner Spitze steht als Premier mein ehemaliger Zögling
Michael Cogalniceano, dessen Erziehung und Ausbildung mir
in den Jahren 1835 — 1837 anvertraut war. Ich kenne seine
russischen Antipathien, er schwärmt für die Selbstständigkeit
seines Vaterlandes; es ist mir geglückt, ihm deutsche Sympa-
thien einzuflössen. Er spricht und schreibt auch die französische
Sprache mit grosser Gewandtheit und mit gutem Geschmack.
Michael Cogalniceano, Sohn eines einflussreichen Bojaren
der Moldau, wurde zusammen mit den Söhnen Dimitri und
Gregor des damaligen Hospodaren der Moldau, Michael
Stourdza, und mit dem Schwager desselben (in Folge zweiter
Ehe), dem Fürsten Alexander Vogorides von Samos, erzogen.
Anfänglich wurden sie in ihrem Vaterlande unterrichtet, später
nach Luneville in Frankreich geschickt, wo sie der Leitung
eines Abbe, des früheren Gouverneurs des Hospodaren Stourdza,
anvertraut waren. Im Frühjahre 1835 wurden diese vier
jungen Leute auf Veranlassung des russischen Staatsrathes
Barons Alexander von Stourdza in Odessa, Schwiegersohns des
45
damaligen Geheimenrathes Professors und königlichen Leib-
arztes Hufeland (Verfassers der Makrobiotik), nach Berlin ge-
schickt, und dort der Führung des Verfassers dieser Schrift
übergeben. Der berühmte Rechtsgelehrte Professor v. Savigny
bewies eine lebhafte Theilnahme für die Ausbildung dieser
jungen Leute. Er wirkte namentlich darauf hin, sie russischem
Einflüsse zu entziehen, indem der damalige russische Gesandte
zu Berlin Graf Ribeaupierre sich sehr um sie bemühte. Es
wurden ihnen die besten Lehrer gehalten, die Geldmittel
dazu (über 10,000 Thaler jährlich) reichten dafür aus. In
Berlin sind sie nun drei Jahre geblieben (1835, 1836, 1837)
und dann in ihre Heimath zurückgekehrt. Michael Cogalni-
ceano war der älteste dieser jungen Leute ; als er nach Berlin
kam, war er 17 Jahre alt und schon im Besitz eines Offizier-
patents, er sollte seinen Kameraden als Muster und Vorbild
dienen.
Michael Cogalniceano hat nun in den letzten dreissig
Jahren seine volle Thätigkeit dem Dienste seines Vaterlandes
gewidmet und einen hervorragenden Antheil an der Ent-
wickelung desselben genommen. Es hat sich seitdem nichts
von Bedeutung in jenen Ländern ereignet, ohne dass er dabei
mitgewirkt hätte. Ihm gebührt vorzugsweise das Verdienst
der Vereinigung der Donaufürstenthümer zu einem einzigen
Reiche (Rumänien); er hat durch eine Verfügung vom 2. Mai
1864 viermal Hundert Tausend Leibeigene in selbständige
Besitzer umgewandelt. Ihm verdankt man die Einführung
des Code Napoleon, der Geschworenen -Gerichte, der Civil-
ehe, des unentgeltlichen und allgemeinen verbindlichen Volks-
schulunterrichtes. Er hat dem preussischen Einflüsse in jenen
Regionen die Bahn gebrochen, ist auch von Sr. Majestät dem
Könige von Preussen durch Verleihung des rothen Adler-
ordens I. Klasse ausgezeichnet worden.
Michael Cogalniceano hat sich im Jahre 1852 verheirathet.
Aus dieser Ehe sind entsprossen vier Kinder, das älteste ist
eine Tochter von 16 Jahren, welche im Institute der Fräulein
V. Schepke in Dresden erzogen wird; die andern drei Kinder
sind Söhne, von welchen die beiden ältesten sich im Vitz-
thum'schen Stiftsgymnasium zu Dresden befinden.
Am rechten Ufer steigt ein halb türkisches, halb bulga-
46
risches Dorf, Rahowa, den Berg hinan. Die Erdhöhlen der
Bulgaren sind armselig, sie gleichen mit Stroh bedeckten Eis-
kellern; die türkischen Häuser sind wenigstens theilweise aus
Stein und Lehm erbaut.
Am linken Ufer liegt die Stadt Piquet, der Hafenort von
Krajova, welches die Hauptstadt der kleinen Walachei ist.
Piquet ist ein wichtiger Verladungsort für enorme Getreide-
massen. Hunderte von Wagen primitiver Bauart, mit Ochsen
bespannt, sind am Ufer aufgefahren und schleppen das Ge-
treide (die Frucht^ wie man sich hier ausdrückt) heran, das
übergeladen wird auf die vielen bereit stehenden Segelschiflfe
und auf die der Deutschen Donau -Dampfschiff- Gesellschaft
gehörigen eisernen Schleppkähne, welche ihre Ladung die
Donau abwärts nach Braila und Galatz dem Welthandel zu-
führen; es sind bei diesem Verkehr auch viele türkische Schiffe
engagirt, leicht kenntlich durch ihr hohes Hintertheil, während
sie in der Mitte tief eintauchen. Die Getreideverschiffung
würde noch viel bedeutender sein, wenn die Walachei und
Türkei sich guter Landstrassen erfreuten, um schwere Frach-
ten aus dem Inne?:n des Landes an den Fluss zu transportiren.
Wir erreichten den türkischen Ort Oreawa, Piquet gegen-
überliegend. Ein eigenthümliches Schauspiel bot sich unseren
Augen dar, das die ganze europäische Eeisegesellschaft höch-
lichst belustigte. Ein türkischer Raseur war an der Donau
beschäftigt, seinem Klienten unter Gottes freiem Himmel das
Haupthaar zu scheeren und ihm nur den kleinen Haarbüschel
stehen zu lassen, bei welchem er am Tage des jüngsten Ge-
richtes von dem Propheten ergriffen werden soll, um in den Ort
der Glückseligkeit geschleppt zu werden. Das Einseifen geschah
mit Donauwasser, die Operation wurde mit einem grossen
Schlachtmesser unbarmherzig vorgenommen. Der Patient war
an der Erde niedergekniet und sein Kopf zwischen den Schen-
keln seines Henkers eingeklemmt, dass er Gott gedankt haben
mag, als er fand, dass die Operation ihm nur einen Ohrzipfel
gekostet hatte. Unser Schiff hielt lange genug, um den Schluss
der Prozedur abzuwarten, wobei der Kopf des Schlachtopfers
in die Donau untergetaucht wurde, um die Blutspuren vor-
läufig abzuwaschen.
Auffallend ist die fast gänzliche Abgeschlossenheit zwischen
47
den Walachen und Türken, welche nur durch die Donau ge-
trennt werden. Es herrscht zwischen beiden Nationalitäten
eine grosse Abneigung. Die Türken haben sich allmählig
ganz aus Rumänien zurückgezogen. Gegenwärtig sind beide
Nationen sur le qui vive. Die Grenzwachen in der Türkei
sind hier sehr verstärkt. Die Bulgaren kampiren in Zelten,
welche in kurzen Zwischenräumen von einander abstehen.
In Bulgarien gewahren wir viele Schafheerden, welche von
grossen Schäferhunden bewacht werden, um sie gegen die
Wölfe zu vertheidigen , die namentlich im Winter aus den
Gebirgen hinabsteigen. Da der Wolf ein furchtsames Thier
ist, greift er Menschen nur an, wenn der äusserste Hunger
ihn dazu treibt. Wir bemerken auch grosse Gänseheerden
ohne Hirten. Die Gänse haben einen Instinkt, der ihnen die
Tagesstunden bemerklich macht; sie kommen rechtzeitig alle
wieder nach Hause, und keine Gans wird vermisst. Die Schaf-
und Gänseheerden beleben etwas die sonst baumlose Land-
schaft. Die Wälder längs der Donau sind längst verschwun-
den, nur die grösseren Ortschaften sind mit Baumanpflanzun-
gen umgeben. Die flache Landschaft ist höchst einförmig.
Es sind viele Heumiethen aufgerichtet, ohne dass man mensch-
liche Wohnungen bemerkt. Die Landschaft ist so flach, dass
man den Eauch von Dampfschiffen Meilen weit im Voraus
sieht. Wir begegneten auch hier einem griechischen Dampf-
schleppschiffe, Sophia genannt, in alt-griechischen Lettern am
Hintertheile angemalt; dieser griechische Schleppdampfer nahm
sich gegen die östreichischen aber nur elend aus.
Wir sehen Kranichheerden im Dreieck fliegen , ebenso
Schaaren wilder Gänse. Wir knüpfen eine kulinarische Un-
terhaltung an über die Essbarkeit der wilden Gänse. Man
belehrt uns, dass sie einen guten Braten abgeben, wofern sie
nur gehörig gebeizt (in Essig gelegt und mit Gewürz behan-
delt) werden.
Am flachen walachischen Ufer bemerken wir grosse Weiden-
anpflanzungen gegen das Abreissen und Wegspülen des Lan-
des, welche es aber nicht immer verhindern.
Am türkischen Ufer gewahren wir öfter zahlreiche Büffel-
heerden. Es begegnet un$ auch das türkische Dampfpassa-
gierschiff, das dem deutschen Konkurrenz macht, auch niedrige
48^ _
Fahrpreise hat, aber schmutzig sein soll: man ist darauf in
Gefahr, sich Parasiten anzuwerben. Wir wundern uns daher,
später dem Dr. Strousberg, dem Eisenbahnmillionär, auf einem
solchen türkischen Dampfboote zu begegnen.
Als Sonderbarkeit fällt es uns auf, dass die walachischen
Grenzwachen das Gewehr vor den vorüberfahrenden Dampf-
schiffen präsentiren, und so lange in ehrerbietiger Positur
bleiben, als sie gegen das Dampfschiff stehen.
Der Wasserstand war so niedrig, dass man es für rath-
sam hielt, öfter durch lange Stangen die Wassertiefe zu er-
forschen und nach Grund zu suchen.
Wir gelangten an die Mündung der Aluta, deren Quellen
in Siebenbürgen liegen, dessen südliche Alpenbegrenzung sie
in dem rothen Thurmpasse durchbricht. Die Aluta trennt die
kleine Walachei von der grossen.
An den Ufern der unteren Donau sieht man mehr Vieh
als Menschen, so sind uns die vielen Esel am türkischen Ufer
aufgefallen ; nicht selten haben wir Türken auf Eseln am Ufer
entlang traben sehen. In der Walachei soll die Eselzucht
ganz vernachlässigt werden. Auf der türkischen Seite werden
zahlreiche Büffelheerden in der Donau getränkt.
Wir kommen wieder zu einer Doppelstation. Auf dem
flachen rumänischen Ufer liegt Turnu-Marjarelle, ein Freihafen,
wo viel Getreide verladen wird, und auf dem türkischen ber-
gigen (Kreidefelsen) Ufer die Bergfestung Nikopoli, herunterge-
kommen von ihrem früheren Glänze, während Turnu aufblüht.
So geht es den ganzen Weg, auf der türkischen Seite „Ver-
gangenheit", auf der rumänischen „Zukunft". Nikopoli ist der
Sitz eines griechischen Erzbischofs und eines katholischen
Bischofs. Die Bulgarei ist vorwiegend christlich. Nikopoli ist ma-
lerisch zwischen zwei steilen Berghöhen gelegen ; auf einem Hügel
der Stadt erblickt man das verfallene Schloss (Akropolis), von
dem sich die Festungsmauer nach der Donau hinzieht. . — In
Nikopoli trafen wir eine bulgarische Obstverkäuferin, welche
uns in gutem Deutsch ihre Waare anpries.
Wir passiren darauf die bulgarischen Städte Bellina, dann
das in einer Waldung von Platanen gelegene Städtchen Sistow.
Alle diese türkisch bulgarischen Städte haben eine reizende
Lage, von aussen gesehen. Die Donau bildet zahlreiche Inseln.
4^
Sistow gegenüber liegt der walachische Marktflecken Simnitza
mit einem stattlichen Quarantaine-Gebäude.
Bei einbrechender Nacht erreichen wir die Hauptstation
der unteren Donau : Rustschuk auf dem türkischen, Giurgewo
auf dem walachischen Ufer. Hier verlässt uns der grösste
Theil unserer Reisegesellschaft. Die einen steigen aus in
Rustschuk, um mit der Eisenbahn bei Schumla (der berühm-
ten Bergfestung) vorbei nach Varna zu fahren, und von dort
nach Konstantinopel per Dampfschiff; die anderen (Walachen),
um nach der Hauptstadt Bukarest, wohin von hier aus eine
regelmässige Postverbindung stattfindet, zu reisen.
Es wurden hier auch viele Eilgüter ausgeschifft, z. B.
14 grosse Tonnen Schwechater (Wiener) Märzenbier nach Kon-
stantinopel. Die Türken sind ausgezeichnete Lastträger, eilen
mit Koffern dahin, die mehrere Centner schwer sind, als ob
es Spielbälle wären, während im Vergleich dazu die Walachen
faul und ungeschickt sind. In Rustschuk war ein fürchter-
liches Gedränge, weil fast alle Güter dort ausgeladen wurden;
das bekannte „Guarda" (nehmt euch -in Acht) erfüllte die
Lüfte. Das ursprünglich italienische Wort ist ganz von den
Türken adoptirt worden.
18. Ton Rustschuk -Giurgewo nach Braila.
In Rustschuk veränderte sich unsere ganze Reisegesell-
schaft. Die Verdeckplätze wurden von Türken eingenommen,
von denen jeder sein Bett unter dem Arme trug. Die Türken
sind durchschnittlich wenig bemittelt, oder besser gesagt, sehr
genügsam ; ihre Bedürfnisse sind einfach und leicht befriedigt.
Für den ersten Platz kam eine griechische Familie auf das
Schiff, Herr Sterio Kaloudis aus Braila, ein reicher Kaufmann,
mit Frau und zwei Töchtern, von dem eine verheirathet war und
schon selbst Kinder nebst Bedienung mit sich führte. Bei
den griechischen Damen fiel uns die pose theatrale auf, mit
welcher wir uns später vertraut machten als mit einem cha-
rakteristischen Zuge der griechischen Nationalität. Jeder
Grieche, und noch mehr jede Griechin, ist eitel, sie will glän-
zen und bewundert werden. Die Hauptkoketterie dokumentirt
sich bei den Griechen und Griechinnen in der chaussure und
coiffure; die letzten Mittel werden aufgewendet, um Fussbe-
4
50
kleidung und Kopfbedeckung elegant auszuwählen und pikant
darzustellen.
Wir passirten die Doppelstation Tuturkan (türkisch) und
Oltenizza (walachisch). Die bulgarische Stadt Tuturkan ist
lieblich anzusehen, ihre rothen Ziegeldächer zwischen grünen
Bäiimen laden zum Besuche ein: der Ort ist aber ohne allen
Verkehr; obgleich er 6000 Einwohner zählen soll, ist noch nie
von dort ein Passagier auf das Dampfschiff eingestiegen. Die
Türkei stirbt ab und aus. Ganz anders ist es mit Oltenizza.
Grössere Segelschiffe und viele Platten (Schleppkähne) zeigen
hier den massenhaften Getreide -Export der Donauf ürstenthü-
mer an. Es sind dies gesegnete Länder, welche nur der Ver-
vollkommnung ihrer Kommunikationen und einer festen inneren
Organisation harren, um einen ungeahnten Wohlstand zu ent-
wickeln, wahre Kornkammern für den durch Boden und Klima
weniger begünstigten Occident zu werden und uns Uebe.rfluss
an Mundvorrath zuzuführen.
Zwischen Inseln und Wald -bekränzten Ufern (die Inseln
sind meistens mit üppigen Weidenbäumen bepflanzt, welche das
Material für das vielfache Flechtwerk liefern, welches man in
der Türkei so mannigfach verwendet) setzen wir die Reise
fort und gelangen nach der berühmten Festung Silistria. Auch
sie ist heruntergekommen von ihrem früheren Glänze, die Ein-
wohnerzahl hat sich von 20,000 auf 9000 verringert in Folge
von Belagerungen und Verheerungen durch die Pest. Betrach-
tet man heute die verfallenen Befestigungen, so sollte man
kaum vermuthen, dass Silistria so oft den russischen Belage-
rungsarmeen einen erfolgreichen Widerstand geleistet hat.
Unterhalb Silistria gelangen wir an die Grenze von Bul-
garien und der Dobrudscha.
Bevor wir von Bulgarien scheiden, wollen wir unseren Lesern
noch einige Winke geben über die Bedeutung dieser Provinz
für die Türkei. Bulgarien ist eine fruchtbare Provinz. Zu
dem Reichthum an Getreide kommen herrliche Waldungen,
ausgedehnter Weinbau, Ueberfluss an Schlachtvieh (Ochsen
und Büffel), an Pferden, Eseln u. s. w. Bulgarien bringt über
24 Millionen Franken an Steuern auf, welche grösstentheils
von den Rajahs (Nichtmuselmännern) erhoben werden. Noch
wichtiger ist Bulgarien in strategischer Beziehung. Früher
j
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war es die Basis für alle aggressiven Unternehmungen gegen
den Norden, so lange im Süden der Donau in römischer, by-
zantinischer und türkischer Zeit die expansiven Kräfte noch
nicht erlahmt waren. Seit dem Ermatten der türkischen Na-
tionalkraft ist die Bulgarei der Hauptwall des osmanischen
Reiches gegen alle Angriffe von Norden her geworden. Seit-
dem Serbien sich frei und unabhängig von der türkischen
Botmässigkeit gemacht hat, ist die Bedeutung der Bulgarei
noch gestiegen. Aber die Ereignisse in Serbien wiederholen
sich in der Bulgarei, die slavische Bewegung macht täglich
Fortschrittö , das Feuer des Aufstandes und der Auflehnung
glüht unter der Asche und wird bald hell auflodern. Die
Bulgarei ist nach unserer Ueberzeugung für die Türkei un-
rettbar und unwiederbringlich verloren. Der Islam verliert in
Bulgarien die Donau- und Balkanlinie, und jeder ernsthafte
Kampf wird vor den unmittelbaren Thoren von Stambul be-
gonnen werden, dessen dreifache Mauerumgürtung einen ohn-
mächtigen Schutz gegen gezogene Kanonen bietet. Von der
Geschichte der europäischen Türkei ist schon das letzte Blatt
aufgeschlagen, es ist aus mit dem Islam in Europa, er wird
bald nur noch in der Erinnerung fortleben.
Wir gelangen nach Rassowa, wo sich noch Ueberreste der
Mauern vorfinden, welche von den römischen Kaisern bis zum
Schwarzen Meere gebaut waren. Die Donau hat sich bis auf
8 deutsche Meilen dem Schwarzen Meere genähert, macht aber
jetzt eine Biegung nach Norden und verzögert ihre Einmündung
noch durch einen unteren Lauf von gegen 30 deutschen Meilen.
Wir erreichen Czemawoda, von wo eine Eisenbahn in kürze-
ster Entfernung die Donau mit dem Schwarzen Meere bei
Kustendje verbindet. Diese Eisenbahn hat eine mächtige Rivalin
in der Bahn von Rustschuk nach Varna erhalten, die gegen-
wärtig schon den grossen Weltverkehr an sich gerissen hat, so
dass die Eisenbahn Czemawoda-Kustendje nur noch eine lokale
Bedeutung behalten hat. Wir freuen uns, nicht in Czernawoda
übernachten zu müssen, indem man uns Schrecken erregende
Dinge von einem Aufenthalte in dem dortigen ersten und ein-
zigen Gasthofe erzählt, wo man vom Ungeziefer ungefähr auf-
gefressen werden soll. Wir fühlen uns um so wohler auf
unserem komfortablen Dampfer.
4*
I
[
52
Am rechten Donauufer laufen kahle Berge längs des
Flusses, während endlos scheinende Ebenen das linke Ufer kenn-
zeichnen. Wenig Abwechselung, grosse Einförmigkeit. Wir
passiren bei der Stadt Hirsova, oder besser gesagt, bei ihren
Ruinen, an einer tiefen Schlucht, wo die Ueberreste eines
türkischen Kastells uns den gegenwärtigen Verfall der früheren
türkischen Glorie versinnlichen.
19. Braila.
Wir gelangen nach Braila, wo die Mastbäume von Hun-
derten von Segelschiffen uns die Grossartigkeit des dortigen
Handelsverkehrs vor die Augen stellen. Unser Schiff landet
an, wir verliessen dasselbe, nachdem wir von Dienstag Morgen
von Wien ab Tag und Nacht auf der Reise auf der Donau zu-
gebracht hatten. Es war Sonntag Nachmittag um 4 Uhr, am
20. September, als wir das vorläufige Ziel unserer Reise erreicht
hatten und uns jetzt von schweren Anstrengungen ein wenig
ausruhen konnten. Acht volle Tage haben wir uns dann in
Braila, Galatz und auf der türkischen Seite in der Dobrudscha
herumgetummelt und einen genaueren Einblick in die dortigen
Verhältnisse gewonnen.
Das schöne Sonntagswetter hatte ausser Hunderten von
Geschäftsleuten eine Anzahl müssiger Neugieriger an die Skala
(Landungsbrücke) des Dampfschiffs gelockt. Es war daher
schwer, sich durch das Gedränge einen Weg zu bahnen. Der
Ausgang war militärisch besetzt, die uniformirte und geheime
Polizei liess uns jedoch ungehindert passiren, unsere ehrbare
Erscheinung hatte sie jedes Verdachtes überhoben, wie uns
später der Chef der Sbirren bei einem Seidel deutschen Biers
näher auseinandersetzte, indem er uns umständlich seine Wahr-
nehmungen in Bezug auf unsere Persönlichkeit erzählte. Wir
erkannten daraus, welchen Gefahren wir unbewusst mit heiterer
Miene entgangen waren.
Jetzt galt es, eine Droschke zu erobern. Durch ein Miss-
verständniss wurden wir nämlich nicht am Laudungsplatze er-
wartet, und waren die Fuhrwerke sehr in Anspruch genommen.
Die Schwierigkeit war um so grösser, als wir der rumänischen
Sprache nicht mächtig sind. Wir waren an die Adresse eines
i
53
Architekten Albert Schwanhäuser, eines unserer früheren
Schüler in Kottbus, gewiesen, den aber Niemand am Hafen
kennen wollte. Später erfuhren wir, dass man den genannten
Herrn mehr nach seinem Vor- als Vatersnamen kannte. Es
kam uns jedoch der glückliche Gedanke, unsere elegante
Droschke, die wir einstweilen aufgetrieben hatten, nach dem
deutschen Bierhause zu dirigiren. Es war ein weiter Weg,
immer bergauf steigend auf schlecht gepflasterten und unge-
pflasterten, zum Theil kothigen Strassen, obgleich es seit Wochen
nicht geregnet hatte. Wir erreichten das deutsche Bierhaus,
wo uns Herr Ulrich Waibl, Brauhausbesitzer, schon ungeduldig
als längst verheissene Gäste erwartete und mit deutscher Freund-
lichkeit und Herzlichkeit aufnahm. Er kannte schon unsere
ganze Lebensgeschichte, Hess uns in das benachbarte Haus
von Albert Schwanhäuser führen, wo meine Begleitung Woh-
nung nahm, während ich es vorzog, bei dem Herrn Waibl
mich einzuquartieren; der Mann hatte mir zu gut gefallen.
Ein deutsches Bierhaus in Rumänien ist der Tempel der
guten Sitte, die Zufluchtsstätte der Solidität. Die rumänischen
Gasthöfe, als da sind in Braila: Hotel de Paris, de Lon-
dres u. s. w., vor allen Dingen aber Victoria-Hotel, sind prunk-
voll eingerichtet, im Grunde aber doch unsauber und sollen,
so erzählt man, Spiel- und Lasterhöllen sein. Im Brauhause
des Herrn Waibl war es aber vortrefflich ; gutes Logis, nahr-
hafte Kost, deutsches Bier, prompte Bedienung, honette Gesell-
schaft, z. B. eine Anzahl deutscher Ingenieurs, die Baumeister
der von Dr. Strousberg in Angriff genommenen Eisenbahnen,
gewährten einen behaglichen Aufenthalt und Hessen uns die
wilden ungeordneten Verhältnisse, die uns umgaben, vergessen.
Nach Säuberung und Erfrischung wurde unter Führung
des Herrn Schwanhäuser ein Spaziergang in die Stadt unter-
nommen, auf den grossen Platz, den Mittelpunkt des geschäft-
lichen und geselligen Verkehrs. Das prunkvoll eingerichtete
Kaffeehaus von Stonajovich und Marinesco fesselte zunächst
meine Aufmerksamkeit. Man glaubt sich versetzt nach Paris
in eins der grossen Kaffeehäuser am Boulevard des Italiens.
Man findet Spiegel und Marmortische im Ueberflusse, zahlreiche
Kunden im Freien vor dem Hause beschäftigt, Domino zu
spielen, dabei den Kaffee zu schlürfen oder Eis oder Sorbets
54
zu geniessen. Um die Aehnlichkeit zu vervollständigen, waren
die lebensgrossen Bildnisse des Kaisers Napoleon III. und
seiner Gattin Eugenie im Salon aufgehängt. Nur die mehr-
fach in grossen Lettern angebrachte Inschrift: Nu est e credit,
d. h. hier wird kein Kredit gegeben, ist in Disharmonie mit
Paris, wo man dergleichen Hinweisungen als gröbliche Unge-
zogenheit erklären würde. Ebensowenig würde die Zigeuner-
Musik einem kunstsinnigen Pariser Ohre schmeicheln; auch
die Beleuchtung mit Petroleumlampen in Ermangelung der
Gasbeleuchtung, wovon die Pariser Kaffeehäuser strahlen, würde
bald enttäuschen. Die aus Herren, namentlich auch Offizieren
mit ihren Damen bestehende Gesellschaft gab jedoch Paris
nichts an Eleganz nach.
Die Hauptmerkwürdigkeit in Braila ist das russische Denk-
mal; es ist an dieser Stelle ein russischer General begraben,
der dort 1825 am 6. Juni getödtet wurde. Das Denkmal ist
eine Pyramide aus Gusseisen mit Inschriften, es erinneii an
die Vertreibung der Türken, welche bis 1829 Braila als Festung
inne hatten. Die Spitze der eisernen Pyramide ist gekrönt
durch einen Halbmond, über welchen das christliche Kreuz
gewissermassen hervorragt und den Halbmond überwältigt.
Das Denkmal liegt eine Viertelmeile von der Stadt auf einer
künstlichen Anhöhe, ist umgeben mit Baumanpflanzungen und
Blumenbeeten und wird bewacht von einem daselbst wohnhaften
Invaliden, der Erfrischungen feil hält. Man hat von der An-
höhe eine weite Fernsicht über eine unermessliche flache Ebene,
die im Norden von den Abhängen der Karpathen begrenzt
wird, welche uns als die Gebirge von Buseo bezeichnet wurden.
Der Blick schweift hier über weite Strecken unbebauten Lan-
des, das nur zur Viehweide benutzt wird. Wir waren hier Zeugen
eines Sonnenunterganges, der sich auf dieser überall einförmigen
flachen Ebene wunderbar ausnahm.
30. Braila und Oalatz.
Die Städte Braila und Galatz, wo ich mich längere Zeit
aufgehalten habe, gehören gewissermaassen zusammen. Es sind
die Ausfuhrhäfen für die Erzeugnisse der Donaufürstenthümer.
Was die äussere Physiognomie betrifft, so steigen beide von
der Donau amphitheatralisch am Berge hinauf und imponiren
55
von Weitem gesehen. Ihre Entfernung beträgt nur 2^/2 deutsche
Meilen. Braüa gleicht mehr unseren Städten, während Galatz
ein überwiegend orientalisches Gepräge trägt. Braila hat
ungefähr 40,000 Einwohner, Galatz deren 90,000. Beide Städte
waren früher unter türkischer Botmässigkeit; nachher hatte
sich Russland ihrer (1829) bemächtigt, das Kreuz hat über
den Halbmond gesiegt ; jetzt gehören sie zu Rumänien, welches
unter türkischer Oberhoheit steht. Ausser den türkischen
Konsulaten leben aber nur wenig Türken (Muselmänner) in
Rumänien ; Muselmänner können sich wegen ihrer abweichenden
Sitten und Gebräuche immer nur in kompakter Masse er-
halten.
Braila und Galatz werden durch regelmässige Dampfschiff-
fahrt verbunden auf der hier tiefen Donau. Ein in jeder
Jahreszeit fahrbarer chaussirter Landweg zur Verbindung zwi-
schen beiden Städten ist nicht vorhanden. Bei Regenwetter
versinkt man in dem fruchtbaren fetten Erdreich, selbst mit
leichtem Fuhrwerk ist nur mit Ochsengespannen durchzu-
kommen. Im Herbste fährt das letzte Dampfschiff von Braila
Nachmittags um 3 Uhr, von Galatz um 5 Uhr. Hat man
später noch die Reise zu machen, so bleibt kein anderes Aus-
kunftsmittel, als sich ein Fuhrwerk zu miethen, das für diese
kurze Strecke mit zwei Dukaten bezahlt werden muss. Alle
Dienstleistungen, wozu Vieh oder Menschen gebraucht werden,
sind hier fabelhaft theuer. Dabei muss man durch eine Fähre
über den Fluss Sereth gesetzt werden, der zwischen Braila
und Galatz in die Donau mündet. Am Sereth finden sich
hier ergiebige Weinberge (leider findet gar keine Veredelung
der Weinstöcke statt, sie wachsen, so zu sagen, wild), wie er
überhaupt fruchtbare Gegenden durchfliesst, aber nicht schiff-
bar ist und nur zum Holzflössen benutzt werden kann.
In diesem gesegneten Lande sind die Lebensmittel billig,
weil im üeberfluss vorhanden. Ein Pfund Fleisch kostet nach
unserem Gelde wenig über einen Silbergroschen. Geflügel wird
gewöhnlich nur paarweise verkauft. Zwei fette Gänse werden
für 3 Silber-Zwanziger = 20 Sgr. verkauft. Im Jahre 1867
konnte man wegen Futtermangels eine Kuh mit ihrem Kalbe zu-
sammen für 1 Dukaten kaufen, während man jetzt 8 bis 9 Dukaten
für eine gute Kuh bezahlen muss. Englische Spekulanten hatten
56
daher zwischen Br. und G. eine grosse Schlächterei in gross-
artigem Maassstabe eingerichtet, um Fleisch einzusalzen, einzu-
pökeln und nach England zu versenden. Dieses Unternehmen
ist aber auch missglückt, und stehen die weitläuftigen Baulich-
keiten davon jetzt unbenutzt.
Interessant ist ein Besuch auf dem Wochenmarkte. Ganze
Berge von Wassermelonen sind dort aufgehäuft und werden zu
einem Spottpreise von 15 Zentimen oder Pfennigen ausge-
boten. Im vorigen Herbste gab es einen üeberfluss von Wein-
trauben. Auf dem Markte waren Weinpressen angebracht, und
wurde der frisch bereitete Most verkauft, woran sich die
Marktbesucher labten.
In Braila und Galatz fehlt es an gutem Trinkwasser, die
Quellen liefern brakiges Wasser. Es wird daher das Donau-
wasser filtrirt, namentlich mit Alaun geklärt, um es geniessbar
zu machen. Das Wasser wird durch einspännige Fuhrwerke
aus der Donau geholt und durch die Stadt vertrieben, auch
durch die Gefangenen und Sträflinge unter militärischer Es-
korte. Dagegen ist der Wein billig und gut, wenigstens un-
verfälscht, kein chemisches Präparat, wie bei uns in der Regel.
Man sieht daher viel Schilder mit der Inschrift: OlvoiroXeTov
(Weinverkauf). Ein theurer Artikel ist die Feuerung, am bil-
ligsten sind noch die englischen Steinkohlen, da der Land-
transport von den Abhängen des Gebirges, wo sich in Rumänien
ausserordenlich reiche Steinkohlengruben finden, wegen der
Unwegsamkeit des Landes viel theurer zu stehen kommt, als
der Transport zu Wasser von England aus. Holz ist unglaub-
lich theuer. Unsere Klafter kommt in den Städten auf 12 Duka-
ten zu stehen. Bei der luftigen Bauart der Häuser und der
strengen Winterkälte, die an den Mündungen der Donau wider
alles Erwarten eintritt, muss man oft 3 Mal am Tage heizen,
um eine erträgliche Temperatur im Zimmer herzustellen.
Braila hat noch ein einigermaassen europäisches Ansehen,
obgleich doch auch schon dort, noch mehr aber in Galatz, Pa-
läste mit Hütten, Ruinen, Misthaufen auf offener Strasse in
echt orientalischer Weise abwechseln. Die Schweine und Hunde
versehen die Funktionen des Schinders.
Es befinden sich in beiden Städten Braila und Galatz
grosse Judengemeinden, namentlich in Gälatz. Das gemeine
57
Volk ist in jenen Ländern noch so roh und ungesittet, dass
die Juden vielfacher Unbill und Misshandlungen ausgesetzt
sind. Dennoch sind die Zeitungsartikel über dortige Juden-
hetzen oft tendenziös übertrieben und zum Theil erlogen, wie
wenigstens der preussische Konsul in Galatz versichert.
In Braila und • Galatz ist das Getreidegeschäft vorherr-
schend. Es werden ungeheure Getreideverkäufe dort effektiv
und fingirt abgeschlossen, man spielt ä la baisse und ä la
hausse. Die Kommunal - Verwaltung in Braila besteuert ein
jedes solches Geschäft mit anderthalb Prozent und verzichtet
auf anderweitige Kommunalabgaben, wird dadurch aber reichlich
entschädigt. Die Stadt Braila weiss factisch nicht, wie sie
ihre Einnahmen verwenden soll. Es ist daher auf städtische
Kosten ein Volksgarten eingerichtet worden zum Vergnügen
der Einwohner; ebenso ist der grosse Platz in der Mitte der
Stadt in einen schönen Park verwandelt worden. Dabei sind
auf Kosten der Stadt eine Menge Schulen und Wohlthätigkeits-
anstalten gegiündet worden. Eine grosse Oekonomie soll je-
doch im städtischen Haushalt nicht beobachtet werden, noch
weniger eine strenge Kontrolle. Der Oberbürgermeister ist
bei allen städtischen Unternehmungen entweder Haupt-Entre-
preneur oder wenigstens Kompagnon und wird dadurch in kurzer
Zeit ein reicher Mann. Der Getreide-Export ist so bedeutend,
dass bei unserer Anwesenheit über 400 Segelschiffe zwischen
beiden Städten lagen, um Korn (Weizen und Mais hauptsäch-
lich) zu verladen und zu exportiren.
Im Jahre 1867 wurden 538,648 Wispel Weizen und Mais
aus den Donaufürstenthümem exportirt, wovon über Sulina
nach den Verbrauchsländern gingen 289,257 Wispel Weizen
und 142,250 Wispel Mais. Im Jahre 1868 hat man den Be-
trag des effectiven Getreidegeschäfts in Braila und Galatz auf
40 Millionen preussische Thaler berechnet. In Verbindung mit
dem Getreidehandel stehen die vielen Kornspeicher (granarium
oder granaio), die man in Braila und Galatz findet, auch wird
das Bäcker- und Müllergewerbe in grossartigem Maassstabe fa-
brikmässig zum Export betrieben.
Weder Braila noch Galatz haben Gasbeleuchtung, es bren-
nen in beiden Städten hier und dort vereinsamte Petroleum-
Lampen. In Braila giebt es wenigstens gute Nachtwächter, so
58
dass man bei nächtlicher Weile auf der Strasse für Sicherheit
der Person nichts zu fürchten hat. Der Zustand der Strassen
in Braila ist viel besser als in Galatz, wo man in dem Kothe
an einigen Stellen ertrinken kann.
In Galatz stecken die Häuser halb in der Erde, und sind
nicht die unangenehmsten Räumlichkeiten, . z. B. die Speisesäle,
selbst bei den Vornehmen, dort angebracht. Die eigentlichen
Keller sind tief in die Erde gegraben, es sind oft nur in Lehm
ausgehauene Gänge ohne alle Vermauerung und Verkleidung.
Wir haben eins der grössten Weinlager von Galatz so besucht,
wo wir mit brennenden Lichtern eine weite Wanderung durch
unabsehbare unterirdische Gänge mit den Ingenieuren des
Herrn Dr. Strousberg unternahmen, um die verschiedenen
Jahrgänge zu prüfen. Die Moldau liefert ungeheure Weinerträge,
trotz dieses Ueberflusses ist das Podagra dort unbekannt.
Um die Unsicherheit des Lebens und Eigenthums in Ga-
latz darzuthun, wollen wir nur einige Vorgänge aus der jüngst
vergangenen Zeit mittheilen. Es wurde die Frau eines Bäckers
Puhlmann (eines Schweizers, deren es in Galatz viele giebt,
die eine eigene Kolonie bilden) in der Nähe der evangelischen
Kirche in der Nacht in der Abwesenheit ihres Ehemannes, um
das Haus zu berauben, ermordet. Der Verdacht fiel auf einen
Lampenanzünder, indessen unterblieben geeignete Nachfor-
schungen, weil die Polizei zu lau ist. Vor einem halben
Jahre wurde aus der evangelischen Kirche ein silbernes Kru-
zifix und ein Leuchter gestohlen, Geschenke eines Berliner
Geheimsekretärs, im Werthe von 500 Thalern.
Das bedeutendste Exportgeschäft in Galatz ist das von
Secchiara Argenti mit Filialen in Konstantinopel und London.
Die grössten Norddeutschen Firmen sind Lüddemann und
Römer, Pauli und Jarchow {Getreideexportgeschäfte). Es ist
in Galatz eine Bank, jetzt Banque de Roumanie genannt, früher
Banque Ottomane, mit Kommis aus Berlin.
Die evangelische Kirche hat nebst Pfarrhaus 3000 Duka-
ten gekostet, welche von 300 Mitgliedern der Gemeinde auf-
gebracht worden sind. Das grösste Verdienst um diesen Bau
hat der preussische Konsul Blücher sich erworben. Wir haben
dort einem Sonntagsgottesdienste beigewohnt und so den evan-
gelischen Prediger Oskar von Kretschmann und den Lehrer
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Hornig kennen lernen ; in Braila heisst der evangelische Pfarrer
Hornemann.
Das preussische Konsulat in Galatz ist hier in der Callea
Trajan. Für den römischen Kaiser Trajan ist längs der Donau
ein wahrer Kultus.
Die Namen der Strassen sind in beiden Städten an den
Ecken angeschlagen. Unser Landsmann Ulrich Waibl wohnt
in Braila in der Strada Prusiana sub Urba St. Petru.
Jede Nationalität hat hier ihre eigene Postanstalt, die
Deutschen werden von der östreichischen Post bedient, sonst
giebt es eine französische, englische und russische Post. Alle
Hauptorte von Rumänien sind indessen durch Telegraphen-
Dräthe verbunden und findet eine geregelte Depeschen-Beför-
derung statt.
Die Musik wird von den Zigeunern besorgt, die in beiden
Städten eigene Stadtviertel bewohnen, in welche es nicht ge-
heuer ist, sich bei Dunkelheit hineinzuwagen. Ausserdem ist
fast in jedem grossen Hotel eine kleine italienische Sängerge-
sellschaft für den Winter engagirt, um allabendlich durch Ge-
sangvorträge die Gäste zu erheitern. In jeder der beiden
Städte geben auch ambulante Schauspielergesellschaften in
italienischer oder deutscher Sprache Vorstellungen, wo mei-
stens die niedere Posse blüht und Oflfenbach ein dankbares
Publikum für seine Operetten findet.
In Braila und Galatz wird ein bedeutender Handel mit
landwirthschaftlichen Maschinen getrieben, es sind dort Kom-
manditen von Clayton, Shuttleworth u. Comp, aus England,
geleitet von Walker und Hartmann, vorhanden.
Es ist nach Braila und Galatz, wo Geldüberfluss ist, immer
noch ein gutes Geschäft auch von hier aus zu machen. So
haben wir erfahren, dass die hiesige Firma Kronthal und Söhne
dorthin Möbel exportirt.
Unwillkürlich drängt sich uns der Gedanke auf, was wohl
aus so günstig gelegenen Städten, wie Braila und Galatz sind,
werden könnte, wenn Gesittung und Bildung dort auf derselben
Stufe, wie in Deutschland ständen: es müssten dort Gewerb
fleiss, Handel, Kunst und Wissenschaft blühen und allgemeiner
Wohlstand herrschen.
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31. Bumänien und die Rumänen.
Die Donaufürstenthümer umfassen in ihrem jetzigen Areal
ein Gebiet von 2100 rh. Quadratmeilen mit 4 Millionen Ein-
wohnern.
Der Rumäne ist im Allgemeinen träge und genügsam.
Das Unglück ist, dass er zu wenig Bedürfnisse hat, welche er
bei der üppigen Ergiebigkeit und dem milden Klima seines
Heimathlandes zu leicht befriedigen kann. Den ganzen Werth
des Anzuges eines gewöhnlichen Walachen kann man in der
guten Jahreszeit auf einen preussischen Thaler veranschlagen.
Auf Kleidung geben die Wulachen sehr wenig, ihre Körper-
konstitution ist stark genug, um ohne Schutz den Witterungs-
einflüssen Trotz zu bieten. Ihre Kleidung ist einfach; so sahen
wir selbst walachische Soldaten als Schildwachen auf Posten
in grünen oder rothen wollenen Kamisolen : helle Farben schmei-
cheln ihrem Geschmack, denn jeder Walache ist ein gebomer
Dichter mit ausschweifender Phantasie.
Die Natur hat den Rumänen reiche Hülfsquellen gespen-
det, deren Ausbeutung und Verwerthung sich leider noch in
der Kindheit befindet; z. B. fliessen an den Abhängen der
Karpathen in Rumänien reiche Petroleumquellen. Es existiren
in Bra'ila und Galatz Raffinerien von Petroleum, Fabriken ge-
nannt, in Braila eine französische und eine englische Unter-
nehmung. Das walachische Petroleum ist als Maschinenöl
dem amerikanischen vorzuziehen.
Der ganze Gewerbefleiss ist in den Händen fremder Na-
tionalen, der solide Handwerkerstand wird von evangelischen
Deutschen gebildet, die Fabrikindustrie meistens von Franzo-
sen und Engländern geleitet; die Handelsvortheile kommen
den Juden und Griechen zu Gute, die in grosser Anzahl hier
leben, und zwar betreiben die Griechen den Grosshandel. Der
landesübliche Zinsfuss ist zwölf vom Hundert. Die Rechnungs-
legung geschieht gewöhnlich auf dem Tische mit Kreide oder
auf dem Rücken der Brieftasche mit Bleistift.
Der wohlhabende Handwerker- und Baumeisterstand wird
in Rumänien von evangelischen Deutschen gebildet, welche
aus eigenen Mitteln sich Kirchen gebaut haben und ihre Geist-
lichen und Schullehrer besolden. Es sind neun deutsche evan-
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gelische Kirchsprengel in den Donaufürstenthümem und den
umliegenden damit in Verbindung stehenden Gebieten vorhan-
den und zwar in 1) Jassy, wo ein früherer Posener Lehrer,
Namens Wagner, den Kirchengesang leitete, 2) Bukarest,
3) Galatz, 4) Brai'la, 5) Ploesti-Piteschti, 6) Krajova, 7) Turn -
Severin, 8) Belgrad und 9) in der türkischen Dobrudscha. Diese
neun evangelischen Kirchsprengel stehen unter einem Oberkir-
chenrath, der sie alle zwei Jahre zu einer Konferenz versammelt.
Es giebt hier eine Menge religiöser Bekenntnisse:
1) Orthodoxe und Reform-Juden,
2) Lipowanen; sie zerfallen in zwei Klassen, nähern sich der
griechischen Kirche, wählen sich aus ihrer Mitte einen Geist-
lichen, haben keine eigentliche Popen; die orthodoxe Partei
hält starr an ihren Grundsätzen fest, wonach das Tabakrauchen
verboten ist, überhaupt die grösste Massigkeit und Enthaltsam-
keit vorgeschrieben, Umgang mit Fremden ausgeschlossen wird,
so dass das Gefäss, woraus ein Fremder getrunken hat, für
unrein gilt.
3) Armenische Christen, zerfallen in a. orthodoxe, b. ka-
tholische, c. evangelische.
4) Katholiken (Römische).
5) Evangelische Christen, darunter entschieden Reformirte
(Ungarn).
6) Griechische Christen, a. orthodoxe, b. walachische.
7) Baptisten. 8) Methodisten. 9) Muselmänner, aber ohne
Moschee, haben eigene religiöse Zusammenkünfte. 10) Micha-
laner, oder die Heiligen der letzten Tage, auch Stundengänger,
ist eine Sekte, gestiftet in Kronthal in Würtemberg von Hoflf-
mann, welche Jerusalem wieder aufbauen wollen.
Die Walachen haben wunderbare Gebräuche bei Todes-
fällen. Es wird 40 Tage nach dem Tode einer Person von
den Angehörigen ein Handtuch herausgehängt, womit sich der
Todte abtrocknen soll. Es finden Pomanen, d. h. Leichen-
schmausereien, statt, wo jedes Uebermaass im Essen und
Trinken gestattet ist. Das erste Festgelage findet statt 7 Tage,
das zweite 7 Wochen, das dritte 7 Monate und das vierte
7 Jahre nach dem Tode. Beim Begräbniss werden Klagewei-
ber bezahlt, die die Luft mit ihrem Wehegeheul erfüllen und
sich anstellen, als ob sie ins Grab hineinspringen wollten und
62
nur mit Gewalt davon zurückgehalten werden. (Reine Komö-
die !) Allgemein ist der Glaube an Vampyre (herumwandelnde
Leichen) verbreitet.
Die Interessen der Deutschen stehen unter dem Schutze
des Norddeutschen Bundes, der in Bukarest einen General-
konsul, in Jassy einen Konsul, in Galatz einen Vizekonsul
unterhält. Die preussischen konsularischen Agenten gemessen
auch hier ein hohes wohl verdientes Ansehen wegen ihrer Un-
bestechlichkeit, Rechtlichkeit und ihres Eifers, womit sie sich
ihrer Landsleute annehmen; ganz besonders geschieht dies in
Rücksicht auf den Herrn Blücher, der seit einer langen Reihe
von Jahren Preussen in Galatz vertritt und durch seine grosse
Unabhängigkeit und Energie, so wie durch seine zuvorkom-
mende Gefälligkeit und liberale Gastfreundschaft alle Preussen,
welche das Geschick in jene Regionen führt, zu Danke ver-
pflichtet.
Wie die verschiedensten Nationalitäten in den Donaufür-
stenthümern zusammenwohnen, kursirt auch alles mögliche
Geld. Die einheimische Münze ist der Frank, jedoch mehr
im idealen Sinne, da das alte Silbergeld in Zwanzigern (gleich
dem dritten Theile eines östreichischen Guldens im Werthe
von 20 Sgr.) am meisten im Umlauf ist. Die meisten Gold-
und Silberstücke, die einem vor Augen kommen, sind durch-
bohrt , weil sie von dem Landvolk auf Schnüren gereiht um
den Hals und Kopf als Schmuck und Zierrath getragen wer-
den. Sonst findet man ausser französischem Gelde noch tür-
kisches und russisches. Ein russischer Rubel (rubla russecca
de Argint) gilt 4 Franken (rumänisch). In Rumänien ist das
Metersystem mit allen seinen Konsequenzen gesetzlich einge-
führt, hat sich aber in dem niederen Verkehr noch nicht Bahn
gebrochen. Theorie und Praxis sind überhaupt in Rumänien
mehr noch wie in jedem anderen Lande in Zwiespalt begriffen.
22. Ein Ausflug in die Dobrudscha.
Die drei Tage vom 23. bis 25. September wurden einem
Ausfluge in die Dobrudscha gewidmet. Wir wurden dazu von
Braila abgeholt von dem uns befreundeten Dr. More, einem
Franzosen, der früher in Posen die Gasanstalt gebaut, jetzt
63
aber eine Besitzung in der Türkei und zwar in derDobrudscha
erworben hat. Er wollte uns seine häuslichen Einrichtungen
zeigen und eine Anschauung von seiner Lebensweise in diesen
wilden Gegenden geben.
Schon am Tage vorher hatten wir unsern Reisepass auf
dem türkischen Vizekonsulate in Braila visiren lassen. Da die
Türkei damals in Kriegsbereitschaft gegen Rumänien war, so
fand auf der türkischen Grenze eine genaue Prüfung der
Reisenden statt. Aber auch bei meiner Abfahrt von Braila
musste ich mich bei den moldauischen Grenzbehörden legi-
timiren.
Unsere üeberfahrt über die eigentliche Donau, in welche
Braila gegenüber auf türkischem Gebiete die sogenannte alte
Donau mündet, dauerte etwa 20 Minuten. Die Fährleute sind
ganz geschickt, namentlich die türkischen, und verstehen es,
das Boot gehörig zu lenken, um den vielen Segel- und Dampf-
schiffen, wodurch der Strom hier belebt ist, gefahrlos auszu-
weichen. Auf türkischem Gebiete musste ich mancherlei Pass-
formalitäten erfüllen, während Dr. More mit den türkischen
Beamten, weil er öfter passirt, gut befreundet ist. Ueberall
musste ein Backschisch (Trinkgeld) erlegt werden, in der Tür-
kei „nie ohne dieses". Die türkischen Beamten gleichen un-
verschämten Bettlern. Dabei waren sie bis an die Zähne be-
waffnet ; in ihrem Gürtel steckten geschliffene Dolche, ein lan-
ges Messer, Yatagan genannt, und gewöhnlich ein Paar gela-
dene Pistolen. Sie selbst sahen dabei ganz harmlos aus, na-
mentlich in einer Art Schenke, wo sie mit untergeschlagenen
Beinen auf dem sogenannten Divan, einer Art Bank rund um
das Zimmer die Wand entlang laufend, sassen uijd Tabak
rauchten aus Tschibucks und Narguiles (wo der Dampf durch
eine Karaffe Wasser gezogen und abgekühlt wird). Einzelne,
gegen die Vorschriften des Korans verstossende Türken,
stachelten auch durch Libationen von Mastick (eine Art
Wacholder-Ajiisette-Schnaps) ihre Lebensgeister an.
Die Dobrudscha ist die nordöstlichste Provinz der euro-
päischen Türkei, begrenzt westlich von der Bulgarei, nördlich
von der Donau, deren ganzes Mündungsgebiet dazu gehört,
und östlich vom Schwarzen Meere. Der Theil der Dobrudscha,
welchen wir besuchten, ist gesund gelegen; es erstrecken sich
64
bis an die Donau die Ausläufer des Balkan-Gebirges, und in
einer Entfernung von zwei Meilen von der Donau erheben sich
die Gebirge schon bis auf ein Tausend Fuss. Auch sind die
Abhänge dieser Gebirge etwas bewaldet, so dass die dabei
überaus fruchtbare Gegend nicht ohne landschaftlichen Reiz
ist. Ungesund dagegen sind die Landstrecken zwischen den
verschiedenen Armen, in welche sich die Donau spaltet, ehe
sie in das schwarze Meer mündet, z. B. von Tultscha ab bis
nach Sulina ; dort herrschen wegen der häufigen üeberschwem-
mungen fortwährend Fieber. Der von uns besuchte Theil der
Dobrudscha ist indessen in jeder Beziehung ein angenehmer
Aufenthaltsort für Menschen, und gewähren die felsigen Donau-
ufer an manchen Stellen einen angenehmen Anblick und eine
ausgedehnte Femsicht.
Hart am Rande der Donau entlang fahrend auf schwerem
Boden, der bei trockener Witterung, wie im vergangenen
Herbste, kunstlos eine vortreffliche Fahrstrasse liefert, gelang-
ten wir bald nach der türkischen Stadt Matschin, dem Arru-
bium der Römer. Es ist dies im Allgemeinen ein offener Ort,
nur einzelne Verschanzungen sind an den äussersten Ecken
aufgeworfen, die aber wohl für die heutige Kriegskunst nicht
viel bedeuten. Matschin wird über 6000 Einwohner zählen,
es wird dort ein lebhafter Handel betrieben, namentlich mit land-
wirthschaftlichen Erzeugnissen. Es residirt dort ein Unter-
pascha (Kaimakan). Gegenwärtig war die Stelle vakant, weil
der bisherige Inhaber bei einem Besuche, den ihm der tür-
kische Vizekonsul aus Bra'ila abstattete, erschossen worden ist.
Der Kaimakan war nämlich in den Besitz eines Revolvers ge-
langt, den sich der Vizekonsul besah, aus Unvorsichtigkeit
und Ungeschicklichkeit aber den Hahn losdrückte und so seinen
Gastfreund todt niederstreckte. Es ist ihm dafür nichts weiter
geschehen, er verwaltet noch heute das Vizekonsulat, wird sich
künftig aber wohl hüten, mit Schiessgewehren zu spielen.
Wir statteten in Matschin zwei Besuche ab. Unser erster
Besuch galt einer griechischen Kaufmannsfamilie, wo Vater,
Mutter, Neffe und zwei Töchter, letztere nach griechischer
Art kokett ausgeputzt, anwesend waren. Die Geschäftslokale
waren zur ebenen Erde, die Familienwohnung im ersten Stocke,
wozu die Treppe ausserhalb des Gebäudes auf dem Hofe an-
65
gebaut war. Es war auch noch ein äusserer überdachter
Gang in der oberen Etage angebracht, nach orientalischer
Sitte, wonach man mehr im Freien Lebt als bei uns. In der
Mitte des oberen Stockwerks befand sich ein grosser sechs-
eckiger Saal, wovon nach allen Seiten Thüren zu den Wirth-
schaftsräumen (Küche, Speisekammern und den Schlafzimmern)
führten. Die Betten waren bei Tage als Sophas hergerichtet.
An der Wand des Saales war eine Bank (Divan) mit Sitzen
aus geflochtenem Stroh angebracht. Das ganze Haus war
sehr reinlich gehalten. Dass die Photographie, auch bis Mat-
schin gedrungen ist, bewies uns das dortige Schaufenster eines
ausübenden Künstlers. Die Familienphotographien verzierten
die Ecken des Spiegels, waren aber noch sehr unvollkommen.
Wir wurden mit Wasser, Konfitüren und nachher mit Kaffee
bewirthet, mit liebenswürdiger Freundlichkeit und Theilnahme
behandelt und beim Abschiede begleitet.
Den zweiten Besuch statteten wir bei einer bulgarischen
Familie ab. Das Wohnhaus war schon mehr in die Erde
hineingebaut und hatte noch so etwas von einer Erdhöhle.
Man setzte uns Rosenkompot vor, das lieblich duftete und
ganz angenehm schmeckte.
Matschin wird grösstentheils von Türken bewohnt, es fehlt
daher nicht an Moscheen und Minarets; im Ueberflusse sind
natürlich Kaffeehäuser vorhanden, wo die türkischen Müssig-
gänger die Zeit in Gedanken- und Geschäftslosigkeit verträu-
men, während die türkischen Frauen, wenn auch verschleiert,
alle groben Arbeiten verrichten und sich gehörig plagen müs-
sen. Bei den Türken hat die Frau keine gesellschaftliche
Stellung, sie ist zugleich die Sklavin und die Buhlerin ihres
Mannes, ohne irgend welche Gleichberechtigung ; der Mann ist
nur verpflichtet, seine Frau zu ernähren. Fast alle Arbeiten
auf dem Felde werden von den türkischen Frauen verrichtet.
Man kann dreist behaupten, dass der ganze Fluch des Islam
in der Herabwürdigung der Frau besteht und er an diesem
Schaden zu Grunde geht: es ist dies sein wunder Fleck.
Unser Weg führte uns darauf nach einem von russischen
rechtgläubigen Christen (Lipowanen) bewohnten Kolonie-Dorfe
Karkali. Dasselbe kontrastirt wesentlich mit seinen nächsten
Umgebungen, Man beobachtet Ordnung, Reinlichkeit und
5
66
Wohlstand. Das Gotteshaus mit seinem stattlichen Thurm
versetzt uns in Gedanken in gut zivilisirte Länder. Die Sitt-
lichkeit der Lipowanen soll untadelig sein ; es sind nüchterne,
enthaltsame und arbeitstüchtige Menschen: man rühmte uns
an ihnen absolute Moralität. Mehrere Dutzend von Wind-
mühlen, welche das Dorf umgeben, erinnerten uns lebhaft an
unsere einheimischen kleinern Städte. Aber die Landwege
sind viel schlechter als bei uns. Dies empfanden wir auf eine
unangenehme Weise. Indem wir in Ermangelung einer Brücke
eine Fuhrt durch einen kleinen Nebenfluss der Donau passir-
ten, versanken wir bis über die Deichsel im schlammigen Bo-
den, und nur durch grosse Anstrengungen gelang es uns, uns
hinauszuarbeiten, um unsere Fahrt fortzusetzen.
So erreichten wir nach dreistündiger Fahrt den Wohnsitz
des Dr. More, der hier einen Landbesitz von gegen 20,000
rheinischen Morgen sein Eigenthum nennt, mit der ihm von
der türkischen Regierung auferlegten Verpflichtung, denselben
in gute Kultur zu bringen. Das ist leicht gesagt, aber schwer
ausgeführt. Boden und Klima sind überaus günstig, die Fahr-
strasse der Donau abwärts nach den Emporien Braila und
Galatz erlaubt auch eine gute Verwerthung der gewonnenen
Erzeugnisse, aber die Arbeitskraft ist dort selten und über-
mässig theuer. Dazu kommt, dass grosse Trockenheit, wie sie
seit mehreren Jahren dort geherrscht hat, namentlich auch
im verflossenen Jahre, die Getreideernte fast vernichtete. An
Heu sahen wir jedoch Ueberfluss, und wuchsen die Unkräu-
ter auf den unangebauten Aeckern mannshoch. Indessen hat
die Besitzung den grossen Vorzug, ausgezeichnete Kalkstein-
brüche, und zwar unmittelbar an der Donau gelegen, zu be-
sitzen. Der hier gebrochene Kalkstein eignet sich vorzüglich
zum Brennen und liefert vortreffliches Baumaterial, als welches
auch die Granitsteinbrüche nicht zu verachten sind (nament-
lich zu Wegebauten), welche sich auf dem Territorium des
Dr. More vorfinden.
Die Viehzucht wäre hier eine vortre£fliche Hülfsquelle,
und unterhält Dr. More in der That zahlreiche Viehheerden,
die sehr rentabel wären, wenn das Eigenthum hier nicht
so blossgestellt wäre. Um Iglitza, wie die Ortschaft heisst,
deren Besitzer Dr. More ist, wohnt aber sehr heterogenes Ge-
67
sindel (Bulgaren, Tscherkessen, Tartaren), denen das Verständ-
niss für Eigenthumsrechte abgeht.
Die Donau ist hier so fischreich, dass man sich beim
Baden beinahe fürchten möchte, indem sich die Fische von
allen Seiten in die Höhe über das Wasser schleudern, und
man geneigt ist, die Nähe grösserer Ungeheuer, wie Haifische,
zu argwöhnen, die Vergnügen daran finden könnten, die Arme
und Beine, wohl auch den Kopf des Schwimmers abzubeissen.
Dreimal habe ich mich jedoch hier in der tiefen Donau ge-
badet, deren Wasser wunderbar weich und fettig ist und die
Seife erspart; man empfindet ein sonst unbekanntes Böhagen
in diesem Wasser, das trotz der vorgerückten herbstlichen
Jahreszeit immer noch eine anständige Temperatur von 18^ R.
zeigte. Der Fischreichthum ist so gross, dass Dr. More oft
bei einem Zuge mit dem Netze deren über einen Centner fan-
gen lässt. Es werden Stierle (junge Störe), Hausen, Lachse
u. s. w. gefangen,, alle ganz schmackhaft; man sieht, dass
man hier nicht Gefahr läuft, zu verhungern.
Als geologische Merkwürdigkeit verdient ein abgerundeter
Fels erwähnt zu werden, der sich am anderen Ufer der Donau,
Iglitza gegenüber, mitten in der Ebene zu einer Höhe von
einigen Hundert Fuss erhebt. Das Gestein ist Gneiss. Der Fels
ist sichtlich durch vulkanische Kräfte emporgehoben worden.
Um einen Begriff von der hier herrschenden Rechtlosig-
keit zu geben, genüge es, eine Thatsache zu erzählen. Der
Pascha Soliman der Dobrudscha hat einen Bulgaren, der zu
' Beschtepeh (Fünf Hügel) bei Tultscha ansässig ist, zu 20 Jahr
Gefängniss verurtheilt, weil derselbe ein Goldstück aus den
Zeiten Alexanders des Grossen auf seinem Acker gefunden
hatte, der Pascha aber argwöhnte, der Bulgare habe einen
grossen Schatz entdeckt, den er ihm verheimlichen wollte.
Um die Umgegend kennen zu lernen, fuhr Dr. More mit
mir nach einer der wunderbarsten Ortschaften in Beziehung
auf die Verschiedenheit ihrer Bewohner, die mir je vorgekom-
men sind. Der Ort heisst Gretschi, liegt 1 1/2 Meilen von Iglitza^
nach dem Gebirge zu und fast an den Abhängen desselben.
Auf dem halben Wege fanden wir eine Zisterne (Ziehbrunnen)
mit vorzüglich gutem Quellwasser zum Vortheile der Reisen-
den, die den mit Wasser gefüllten Eimer an den Kopf nehmen,
5*
68
um zu trinken. Wir konnten nicht umhin, das Wasser zu
kosten, und fanden es deliziös. . In der Nähe dieses Zieh-
brunnens waren Gemüsegärten angebaut, worin wir eine sorg-
fältige Kultur wahrnahmen.
Die Ortschaft Gretschi besteht aus vier gesonderten Dör-
fern, wovon das eine von Türken, das andere von Tscherkes-
sen , das dritte von Bulgaren und das vierte von Tartaren
bewohnt wird. Am meisten gesittet davon sind die Bul-
garen, welche Ackerbau treiben. Die Tartaren beschäf-
tigen sich mit Viehzucht; wir sahen grosse Schaf- und
Ziegenheerden, die ihnen angehörten. Ihre Wohnungen sind
in die Erde gebaut. Es sind sanfte Leute, von denen man
nichts zu fürchten hat, weil sie wenig Bedürfnisse haben, ihre
Kinder lassen sie z. B. fast nackt herumlaufen. Die Türken
ergeben sich dem Müssiggange und verbringen ihre Zeit im
Kaifeehause; da dieselben stark mit Läusen infizirt sind, die
sie aus Thierfreundlichkeit nicht tödten, sondern nur wegwer-
fen, ist ihre Nähe zu vermeiden. Die schlimmste Sorte von
Leuten sind jedoch die Tscherkessen, die aus Russland haben
auswandern müssen und hier zum Schrecken der Bevölkerung
in der Dobrudscha einen Zufluchtsort gefunden haben. Die
Tscherkessen sind Diebe und Meuchelmörder, nur Mühlsteine
und glühendes Eisen lassen sie liegen, sonst sind sie massig,
rauchen nicht Tabak, trinken keinen Wein, begnügen sich
mit trocknem Mais als Nahrung, kleiden sich aber mit einer
gewissen Gefallsucht in grüne Gewänder. Ihr Auge ist
scheu und unstät ; sie sind gewöhnlich mit geladenen Pistolen
bewaffnet, tragen die Patronen dazu auf der Brust. Als wir
neugierig uns in ihrem Dorfe umsahen, versammelten sich
einige Tscherkessen um uns. Es erregte ihr Missfallen, dass
ich mir Aufzeichnungen in meinem Tagebuche machte, und
schon sah ich verdächtige Bewegungen, als ich auf einen Wink
des Dr. More meine Brieftasche einsteckte, und so vielleicht
der Erdolchung entging. Ein Menschenleben ist hier eine ge-
ringfügige Sache, zumal kaum eine gerichtliche Verfolgung
durch einen Mord veranlasst wird. Als Dr. More neulich an
einem Zaune im tscherkessischen Dorfe anfuhr, Hessen sich
sofort vier Flintenläufe aus verschiedenen Fenstern blicken.
Es ist eine grosse Unvorsichtigkeit von der türkischen Regie-
69
rung gewesen, diese aus Russland verbannten Tscherkessen
bei sich aufzunehmen und dadurch Eigenthum und Leben der
eigenen ünterthanen zu gefährden.
In Rücksicht auf die Tartaren wollen wir noch bemerken,
dass sie Leichen verzehren. So ist es neulich in Tultscha,
der Hauptstadt der Dobrudscha, vorgekommen, dass ein Kind
in Brod verbacken und aufgespeist worden ist.
um den Fleiss der bulgarischen Frauen zu bezeichnen,
wollen wir erwähnen, dass uns öfter Frauen begegnet sind, die
beim Gehen unterwegs auf einer Spindel Wolle spannen.
In Rücksicht auf den Bau der Häuser in Gretschi be-
merken wir, dass fast alle Häuser einen Vorbau haben, der
mit Stroh und Rohr überdacht ist.
Ausser den vier genannten Nationalitäten haben sich in
Gretschi noch Griechen und Juden angesiedelt und den Handel,
die Schenken und Kaffeehäuser übernommen. Der Handel mit
landwirthschaftlichen Erzeugnissen ist nicht unbedeutend und
sahen wir hier Vorräthe von rohen Schaffellen aufgespeichert.
Der Besuch eines Weingartens gewährte mir besonderes
Vergnügen. Die Natur ist hier so verschwenderisch mit ihren
Gaben und verlangt von den Menschen nur geringe Anstren-
gungen. Der gutmüthige bulgarische Eigenthümer, hoch in
den Achtzigern, gestattete uns gastfreundlich, eine reiche Pro-
vision der schönsten blauen und weissen Trauben zu machen,
womit wir unser Fuhrwerk beluden.
Unwillkürlich drängt sich dem aufmerksamen Beobachter
die Frage auf, was könnte aus diesem ergiebigen Lande wer-
den, wo Gottes Segen reichlich waltet, wenn es von einem
thätigen, einsichtsvollen und gesitteten Volke bewohnt wäre, wo
Rechtsschutz stattfände, Leben und Eigenthum gesichert wären.
Nach unserer Rückkehr machten wir noch beim Monden-
scheine einen Spaziergang an der Donau und besuchten einige
der zahlreichen türkischen Wachtposten, die in dieser kriege-
rischen Zeit die ganze türkische Grenze entlang, Rumänien
gegenüber, bivouakiren. In der unmittelbaren Nähe des Wohn-
hauses des Dr. More war eine grosse Hütte aus Baumstämmen
und Stroh zum Schutze eines aus etwa 16 Mann bestehenden
Wachtpostens aufgeschlagen. Die Baumaterialien hatten sie
natürlich genommen, wo sie sie hatten finden können, ohne
70
den Gnindeigenthümer zu fragen. Diese Wachtposten werden
aus einer Art Landwehr oder Landsturm gebildet, die wunder-
lich equipirt waren und, wochenweise abgelöset, zu ihren bür-
gerlichen Beschäftigungen entlassen werden. Sold erhalten
sie nicht, sie sind auf Raub und Plünderung angewiesen, nur
mit Waffen werden sie von der Regierung versehen. Dass es
keine Freude ist, in einem solchen Lande Gutsbesitzer zu sein,
ist erklärlich; er muss gute Miene zum bösen Spiele machen
und sich in ein gutes Einverständniss mit den Leuten setzen,
die freilich mehr einer Räuberbande, als einer Miliz ähnlich
sehen. Indessen akklimatisirte ich mich auch bei diesen Leu-
ten und habe in mitternächtlicher Stunde mich furchtlos un-
ter ihnen aufgehalten und ilir Treiben angesehen.
Bei den verschiedenen Wachtposten, welche wir besuch-
ten, haben wir uns nach der Konfession der Soldaten erkun-
digt, und können als Thatsache verbürgen, dass nur Muhame-
daner (eigentliche Türken) zum Kriegsdienst als allein zuver-
lässig verwendet werden.
Als Eigenthümlichkeit beim Reisen auf Landwegen in der
Dobrudscha können wir noch anführen die knarrende und
quietschende Musik, welche die ungeschmierteu Wagenachsen
bei jedem Fuhrwerk, dem man begegnet, verursachen.
23. Römische Bninen in der Dobrndsclia.
Dr. More ist Besitzer der Ruinen der römischen Stadt
Troesmis in der heutigen Dobrudscha, in der früheren römi-
schen Provinz Moesia inferior. Auf den Ruinen dieser Stadt,
die durch Brand eingeäschert worden ist, wie die Aschenhaufen
beweisen, die in vielfachen Schichten bei den Ausgrabungen
zum Vorschein gekommen sind, ist später ein befestigtes Lager
für die erste italienische und fünfte mazedonische Legion
erbaut worden. Diese Ruinen enthalten einen reichen Vor-
rath von Inschriften, die über militärische Verhältnisse
der alten Römer manche erwünschte Auskunft geben; auch
kann man daraus die Art der Römer, zu bauen, ihre Be-
festigungsmethode und Vertheidigungskunst erkennen. Die
französische Regierung, deren Kaiser Napoleon IlL sich mit
Vorliebe dem Studium der römischen Geschichte widmet, sich
71
selbst zum Vorbilde den grossen Julius Cäsar genommen und
als sein Doppelgänger in der modernen Geschichte glänzen
möchte, hat daher den Ruinen von Troesmis eine besondere
Aufmerksamkeit gewidmet und die werthvoUsten Monumente
und Inschriften nach Paris schleppen lassen, wo sie in der
k. Bibliothek aufbewahrt werden. Die französische Regierung
hat an den Donau-Mündungen einen Kriegsdampfer stationirt,
um rechtzeitig von allen Agitationen, die dort vorgehen, wo
bald die Fackel des Krieges in hellen Flammen auflodern
wird, unterrichtet zu sein *). Gegenwärtig kursirt das Aviso-
Schiff „Le Magicien" unter dem Kommando des Fregatten-Ka-
pitäns de la Richerie in jenen Gewässern; es hat Monate lang
bei Iglitza, der Besitzung des Dr. More, gelegen; an seinem
Bord waren mehrere französische Antiquare, die auf kaiserl.
Befehl die römischen Ruinen durchforschten und mit Erlaub-
niss des Grundeigenthümers die besten Spezimina einschifften.
Aus besonderer Vorliebe für Preussen hat Dr. More jedoch
auch der Berliner Akademie von dieser Fundgrube römischer
Alterthümer Kenntniss gegeben, und hat Professor Mommsen
sich der Sache angenommen, auch bereits eine Anzahl dortiger
Inschriften veröffentlicht.
Wer daran zweifeln sollte, dass die Römer eine grosse
Nation gewesen sind, mag von den zahlreichen Ueberresten
Kenntniss nehmen, welche mehr als 1600 Jahre alle Zerstö-
rungen überdauert und allen Witterungsverhältnissen wider-
standen haben. Er möge die Ufer der unteren Donau, nament-
lich das rechte, durchforschen und sich überzeugen von der
Grossartigkeit der Vertheidigung, welche die Römer auf einer
Strecke von über 100 deutschen Meilen gegen die nördlichen
Barbaren, denen sie doch schliesslich unterlagen, in Szene
gesetzt haben.
Die Gegenwart legt heute noch ein unwiderlegliches Zeug-
niss ab von dem gewaltigen Römerreiche. So finden wir z. B.
in Trier (Augusta Trevirorum) römische Monumente, wie die
Porta nigra, die uns in Staunen versetzen. In England hat
man in der Stadt Cirencester ein ganzes Museum hergerichtet
von dortigen Ueberbleibseln aus der Römerzeit. Am rechten
*) Zu gleichem Zweck sahen wir ein englisches Kriegsdampfschiff
zwischen Braila und Galatz vor Anker liegen.
\
72
Donauufer ist man noch heute im Stande, worauf wir oben
zu wiederholten Malen aufmerksam gemacht haben, die An-
strengungen der Römer für die Vertheidigung und Sicherstel-
lung ihres Landes nachzuweisen. Unter der Führung des
Dr. More haben wir nun die auf seinem Grundbesitz befind-
lichen römischen Ruinen einer näheren Exploration unterwor-
fen, von welcher wir jetzt Rechenschaft ablegen wollen.
Schon der alte römische Dichter Ovidius, der in diese
Regionen in die Verbannung geschickt war, erwähnt die Stadt
Troesmis in seinem beschreibenden Gedicht, Pontica betitelt-
Er singt im 4. Buche vom 75 — 80. Verse:
Praefuit Ms locis modo Flaccus; et ülo
Ripa ferox Istri sub duce tuta fuit.
Hie tenuit Mysas gentes in pace fideli,
Hie areu fisos terruit ense Getas.
Hie eaptam Trosmin celeri virtute reeepit
Infecitque fero sanguine Danubium.
In freier üebersetzung wiedergegeben, lautet diese Stelle :
„Flaccus hat vor Kurzem in diesen Gegenden den Oberbefehl
geführt, unter seiner Herrschaft war das rauhe Ufer des Ister
gesichert. Hier hielt er die mysischen Völkerschaften in getreuem
Frieden, hier schreckte er zurück durch sein Schwert die
Geten, welche ihrem Bogen vertrauen. Hier eroberte er wieder
durch Energie das schon den Römern entrissene Troesmis und
färbte den Danubius mit dem Blute wilder Völkerschaften."
Am Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christi Geburt
scheint Troesmis eine bedeutende Ortschaft gewesen zu sein,
an deren südlicher und nördlicher Seite auf dem hier hohen
felsigen Ufer der Donau zwei Zitadellen angebracht waren,
um die Stadt zu vertheidigen. Die Bevölkerung war vorherr-
schend eine militärische, indem es den römischen Soldaten ge-
stattet war, einmal eine fremde Frau zu ehelichen : ihre Nach-
kommenschaft erhielt das römische Bürgerrecht. Dies ist der
wahrscheinliche Ursprung aller älteren Ortschaften an der
unteren Donau, deren Geschichte wohl in die Zeit der römi-
schen Weltherrschaft zurückreicht: aus stehenden befestigten
Lagern sind Städte entstanden.
Aus den "vorgefundenen Inschriften ergiebt sich, dass
Troesmis ein Municipium war, d. h. eine Ortschaft mit allen
73
städtischen Rechten und Obrigkeiten, mit einem Kollegium von
Decuriones und einem Oberpriester (Sacerdos provinciae). Es
ist auch die Wasserleitung noch nachweisbar, welche auf
zwei Stunden Wegs aus dem Gebirge die Stadt mit Wasser
versorgte. Am Ende des zweiten Jahrhunderts scheint nun
Troesmis durch eine Feuersbrunst vollständig zerstört worden
zu sein. Ihre Trümmer, Gräber (elf vollständige Grabdenk-
mäler sind nach Paris geschickt worden), heidnischen Altäre,
Statuen, Säulen u. s. w. wurden verwendet bei dem Aufbau
eines stehenden befestigten Lagers für zwei römische Legionen.
Die Umgrenzungen und die Eintheilung dieses Lagers sind
noch heute deutlich erkennbar, ebenso wie die Heerstrasse,
welche dieses Lager mit anderen Befestigungen und Verschan-
zungen in Verbindung setzte, desgleichen die Stellen für die
Ordonnanzhäuser auf der Heerstrasse. Eine Menge erhaltener
roher Bildhauer-Arbeiten (z. B. ein Medusen-Haupt), welche
wahrscheinlich von Soldaten herrührten, die ihre Mussezeit
zu solchen Studien verwendeten, bezeugen den Verfall der
Kunst. Für Kunstkenner und Architekten sind hier keine
Studien zu machen. Die zahlreich erhaltenen Inschriften da-
gegen liefern ein kostbares Material zur Information über das
römische Heerwesen und militärische Antiquitäten.
Am Ende des vierten Jahrhunderts n. Chr. scheint das
befestigte Läger bei Troesmis aufgegeben worden zu sein;
keine Inschrift rührt aus einer späteren Zeit her. Dagegen
wurden im sechsten Jahrhundert die vorhandenen Ruinen be-
nutzt, um für die Herstellung einer byzantinischen Befestigung
zur Vertheidigung der Donau-Linie zu dienen. Wir sind nun
im Stande, die drei Perioden von Troesmis deutlich zu unter-
scheiden: 1) alt -römische bis etwa zum Kaiser Adrianus
(t 138), 2) spätere römische Zeit bis gegen das Ende des
vierten Jahrhunderts, 3) byzantinische, etwa beginnend vom
Kaiser Justinian (527 bis 565).
Indessen haben diese Ruinen noch einen zu Gelde zu
machenden Werth für den Eigenthümer. Es sind Hundert-
tausende von wohlerhaltenen römischen gebrannten Ziegeln
(flach und breit), Säulen für Häuser und Brückenbau u. s. w.
hier zu entnehmen, welche durch ihre bewiesene Widerstands-
kraft schon die Bürgschaft für ihre Haltbarkeit liefern.
74
Die grossartigsten römischen Ruinen in jenen Gegenden
sind aber die von Tomis, dem Verbannungsaufenthalte des
römischen Dichters Ovid. Tomis ist das heutige Kustendje,
der Endpunkt am Schwarzen Meere der Eisenbahn, welche von
Czernawoda (an der Donau) dorthin führt. Kustendje ist die
türkische Uebersetzung von Constantio, wie der Ort später ge-
nannt wurde, und war der Hauptort am Schwarzen Meere.
Die dortigen römischen Ruinen sind vorzüglich verwerthet
worden zu den Eisenbahnbauten und den Getreidemagazinen.
Die doli; ansässigen griechischen Kauf leute haben die Bausteine
benutzt, ohne Bildwerke und Inschriften zu zerstören, sie haben
dieselben in ihren Mauern vielmehr nach aussen angebracht,
so dass sie von der Strasse zu erkennen und zu lesen sind
und als Verzierung dienen*
24t. Abreise von Oalatz. Die Messageries Imperiales.
Am 26. September, Sonnabend Nachmittag, verliess ich
auf dem Dampfer „Cheliffe'', welcher der französischen Dampf-
schifffahrtsgesellschaft Messageries Imperiales angehört, deren
Direktion zu Marseille residirt, Braila. Ich war entzückt über
die Aufnahme, die ich auf diesem Dampfschiffe fand, sowohl
in Betreff der Unterkunft, wie der Verpflegung und der Be-
handlung. Nach einer Stande Fahrt waren wir in Galatz an-
gelangt. Unser Schiff sollte dort bis zum Montag früh blei-
ben, wodurch meine Ungeduld, Konstantinopel zu erreichen,
auf eine harte Probe gestellt wurde. Indessen war ich auf
dem preussischen Konsulate einer freundlichen Aufnahme ge-
wiss und hatte ich schon früher in Galatz angenehme Be-
ziehungen angeknüpft, so dass ich den Sonnabend Abend und
den ganzen Sonntag, wo ich auch den evangelischen Gottes-
dienst besuchte, auf die interessanteste Weise, mit Güte, Zu-
vorkommenlieit und mannigfacher Belehrung bevorzugt, verlebte.
Unser Konsul, Herr Blücher, war eine zweite Vorsehung für
mich, in seinem Hause und unter seiner Aegide war ich wohl
aufgehoben; ich kann ihm nur für die liebevolle Gastfreund-
schaft danken, womit er mich ausgezeichnet hat.
Von Galatz nach Konstantinopel wird der Reisende von
Dampfschifffahrtsgesellschaften , deren Schiffe Passagiere und
75
Güter in periodischem Dienste befördern, umworben» Es giebt
eine englische, eine östreichische (Lloyd Austriaco), eine russi-
sche über Odessa und eine französische Dampfschifffahrtsge-
sellschaft für die Tour nach Konstantinopel, eine griechische
Schleppdampfschifffahrtsgesellschaft, aber merkwürdiger Weise
keine türkische nach der eigenen Hauptstadt. Die Engländer,
Oestreicher, Russen und Franzosen streiten sich über die
orientalische Beute. Das Sprichwort: „Wo Aas ist, versam-
meln sich die Raben", findet hier volle Anwendung. Die Rus-
sen sollen den Passagieren grosse Erleichterungen und Vor-
theile bieten, um den übrigen Nationen den Rang abzulaufen ;
sie sind hier ebenso gefürchtet, wie gehasst; man räth jedem
Fremden ab, sich von den Russen ködern zu lassen. Dass ich
mich auf das französische Schiff begeben habe, hat mich nie
gereuet, und wäre für die nächste Reise meine Wahl schon
getroffen.
Die Schiffe der Messageries Imperiales, welche Galatz mit
Konstantinopel und letztere Stadt mit allen bedeutenden Häfen
des Schwarzen Meeres, z. B. Trebisonde, mit allen Häfen des
Mittelmeeres, namentlich auch Kleinasiens, dann mit Aegypten,
z. B. Alexandria, in Verbindung bringen, haben einen eigenen
Schiffsarzt, eine vollständig eingerichtete Apotheke am Bord. Auf
unserem Schiffe „Cheliffe" waren ausser dem Kapitän zwei
Steuermannsoffiziere, vierzehn Mann bei der Dampfmaschine,
neunzehn zur Bedienung des Schiffes, das auch zum Segeln einge-
richtet werden kann, und sieben mit der Oekonomie betraute
Personen angestellt, also ein ziemlich zahlreiches Dienstpersonal.
Es ist vielleicht nicht ohne Interesse, etwas Näheres über
Unterkunft und Verpflegung der Passagiere auf den Messa-
geries Imperiales zu erfahren. Es sind vier verschiedene Plätze
vorhanden. Nur die Passagiere der ersten und zweiten Klasse
haben eigene Schlafgemächer mit Betten und werden an der
Wirthstafel verpflegt mit Wein ad libitum, die Verpflegung
ist in dem Passagegelde einbegriffen. Die Passagiere der ersten
Klasse speisen mit dem Kapitän, die der zweiten Klasse mit
den Offizieren; die Passagiere der dritten Klasse haben einen
Saal als Herberge, für die Nacht aber keine Betten; die Ver-
deckpassagiere müssen im Freien die Nacht zubringen. Den
Passagieren der beiden ersten Klassen ist es gestattet, überall
]
76
auf dem Schiffe herumzugehen, nur bei Tische und für die
Schlafsäle findet eine Trennung statt; die Bewirthung ist auf
den beiden ersten Plätzen ziemlich dieselbe. Die Passagiere
des dritten und vierten Platzes dürfen ihre Stelle nicht ver-
lassen. Im Oriente werden meistens die vierten Plätze beliebt
wegen ihrer Billigkeit, so dass auf drei Passagiere für den
ersten Platz etwa sechs für den zweiten, dreissig für den dritten
und einige Hundert für den vierten Platz kommen. Die Pas-
sagiere des vierten Platzes sind einer strengen Disziplin und
grossen Beschränkungen unterworfen.
26. Der Pruth und der Pariser Frieden (1866).
Bald hinter Galatz passirten wir den Einfluss des Pruth.
Die Mündung des Flusses, welche nicht 200 Fuss breit ist,
blieb weit hinter unseren Erwartungen zurück. Dieser Fluss
war uns bei unseren geographischen Studien immer so bedeu-
tend vorgekommen, und nun lag er vor uns in öder, verlasse-
ner Gegend, kaum war eine Ansiedelung an diesem Zusam-
menfluss mächtiger Strome wahrzunehmen, denn der Ort Reni,
welcher mit einer Einwohnerzahl von 7000 Seelen angegeben
wird, liegt doch in einiger Entfernung. Bis an den Pruth
und „nicht weiter" hiess die Parole der Westmächte gegen
Russland vor dem Krimmkriege. Der für ßussland unglück-
liche Ausgang desselben hat durch den Pariser Frieden vom
30. März 1856 und die weitere Vervollständigung desselben
durch das Protokoll vom Januar 1857 Eussland weit jenseits
des Pruth zurückgeworfen.
Betrachten wir ein wenig genauer die Konsequenzen die-
ser Friedensschlüsse, welche für die bevorstehende Lösung der
orientalischen Frage erstaunlich ins Gewicht fallen. Russland
hat 205 geographische Quadratmeilen Gebiet verloren, was
für ein so unermessliches Reich, das in den letzten Jahren
am Amur und in den Turanischen Ebenen mindestens 30,000
Quadratmeilen erworben hat, ganz unverfänglich erscheinen
sollte. Allein diese Gebietsabtretung Russlands hat den Zweck
erfüllt, jene Macht aus dem Bereich der Donaumündungen
ganz zurückzudrängen. Die Donau ist aber der Hauptstrom
von Zentral-Europa, -seine Adern gehen aus von dem Herzen
77
des südlichen Deutschlands, an ihm liegen Oestreichs und
Ungarns Hauptstädte. Kussland hat durch den unglücklichen
Ausgang des Krimmkrieges eine furchtbare Schlappe erhalten,
sein Nimbus ist geschwunden, es wird diese Scharte in seiner
Ehre schwer wieder auswetzen. Das Zurückziehen der russi-
schen Grenze von der Donau ist in merkantiler, diplomatischer
und strategischer Hinsicht für die Lösung der orientalischen
Frage von unberechenbarer Tragweite.
26. Die europäische Donau-Begnlirungs-Kommission.
In Folge des Pariser Friedens hat Russland an die Mol-
dau denjenigen Theil von Bessarabien zurückgegeben, welcher
westlich vom Pruth, südlich von der Donau und dem St.
Georgs- Arm, östlich durch das Schwarze Meer und gegen das
Innere Bessarabiens durch eine Linie begrenzt wird entlang
des Buma-Sola, der Strasse von Akkermann zum Trajans-
Walle u. s. w. Dieses Gebiet ist an die Moldau zurückgege-
ben worden, welche unter der Oberhoheit der Türkei steht.
Die Hauptsache ist aber, dass die Donaumündungen einer
europäischen Kommission zur Regulirung anvertraut sind, in
welcher alle Uferstaaten ihre Bevollmächtigten haben. Diese
Kommission ist unter dem Schutz der garantirenden West-
mächte mit einer souveränen Gewalt bekleidet, und die Exe-
kutive derselben nur nominell der Oberhoheit der Türkei un-
terstellt worden. Die ausübende Gewalt ist dem Herrn von
Drigalski anvertraut, sein offizieller Titel ist: Inspecteur de
la navigation du Bas Danube, oder wie Herr v. Drigalski
selbst uns diesen seinen Titel übersetzt hat: „General-Inspek-
tor der Regulirungs-Kommission der Donau." Herr v. Dri-
galski war früher (1846) Offizier in der Garnison Posen, später
ist er bis zum Obersten befördert worden und hat dann seine
jetzige europäische Mission übernommen. In seiner Gesell-
schaft bin ich von Tultscha (Tulcia), seiner jetzigen Residenz
(worüber später), bis Sulina gefahren und verdanke seinen
mündlichen Mittheilungen die interessanteste Belehrung. Er
hat die Leitung und Beaufsichtigung für die Vertiefung und
Instandhaltung des Sulina -Fahrwassers. Er hat eine grosse
Verantwortlichkeit in seiner fast unabhängigen Stellung über-
78
nommen, nur dem Namen nach steht er unter türkischer
Oberhoheit. Er hat ein eigenes Dampfschiff mit Namen
„Mustik" zu seiner Verfügung, das in Dresden gebaut und
per Eisenbahn nach Wien befördert worden ist, von wo es
die Donau heruntergekommen ist. Herr v. Drigalski ist ein
eben so unterrichteter, wie liebenswürdiger und thätiger Mann,
der grosse Erfolge in seiner jetzigen wichtigen Stellung er-
reicht hat.
27. Ton der Mttndnng des Prnth bis Tnleia.
Bald hinter der Mündung des Pruth, dessen Reichthum
an Fischen wir hier noch erwähnen wollen, passirt man das
am linken Ufer gelegene weitläuftige Lazareth, welches als
Quarantäne- Anstalt gegen die Verschleppung der Pest von den
Russen gebaut und eingerichtet war und jetzt in Ruinen zer-
fällt, indem das Einbringen der Pest nicht mehr gefürchtet
wird, da sanitäts-polizeiliche Beaufsichtigung in der Türkei
Eingang gefunden hat. I^ie Türken kommen allmälig zurück
von dem Blödsinn ihres Fatalismus.
Die Stadt Reni in Bessarabien, unterhalb der Mündung
des Pruth, ist anmuthig zwischen Bäumen ganz im Grünen
gelegen und weitläuftig zerstreut.
Bei unserer Weiterfahrt interessirten uns die Bewässe-
rungsanstalten für 'die Niederungen , die im vorigen Sommer
so sehr von der Dürre gelitten hatten. Das Wasser wird
durch Schöpfwerke, die von Ochsen getrieben werden, in die
Höhe gehoben.
Wir gelangten bald zu der sogenannten Kilia- Mündung,
welche sich nordöstlich abzweigt, während die Sulina-Mündung
eine östliche Richtung verfolgt. Wir gewahrten in dieser Ab-
zweigung ein kreuzendes türkisches Kriegsschiff. Die Türken
überwachen nämlich den ihnen von Russland zurückgegebenen
Gebietsantheil des Donau-Delta mit ängstlicher Sorgfalt. Die
Donaufahrt von Galatz bis zur Mündung ist auf dem linken
Ufer durch hohe Pfähle bezeichnet, um den Abstand zu mes-
sen. Diese Pfähle tragen auf ihrer Spitze kolossale Nummern.
Wo das türkische Kriegsschiff lag, war die Nummer 54 auf-
gehisst. Ebenso fiel uns die am Ufer entlang gehende Tele-
79
graphenleitung auf, indem die Telegraphenverbindung überall
in der Türkei hergestellt ist. Ausserdem bemerkten wir die
im Sulina-Kanal angebrachten Wasserstandsanzeiger, um an
den gefährlichen Stationen vor Untiefen zu warnen. Durch
Dampfbagger und Uferdämme hat man eine solche Wassertiefe
hergestellt, dass wir ISFuss ungefähr als niedrigsten Wasser-
stand vorfanden, während im vorigen Herbst in Folge anhal-
tender Trockenheit die Donau unerhört wenig Wasser hatte.
Es ist dies schon eine herrliche Errungenschaft, welche wir
der bevormundenden europäischen Donau-Mündungskommission
verdanken, da unter russischer Vernachlässigung die Sulina-
Mündung auf 7 Fuss Tiefe versandet war *).
Wir gewahren aus der Ferne die Thürme der Doppelstadt
Ismail -Tutschkow, wohin von Galatz aus eine regelmässige
Dampfschifffahrt unterhalten wird. Ismail ist einer der her-
vorragendsten Handelsplätze von Bessarabien, dessen jährliche
Ausfuhr an Weizen den Werth von einer Million Thalern
übertrifft.
Bald gelangten wir in Sicht der Stadt Tultscha, wo 99
auf den Anhöhen zerstreute Windmühlen uns anheimeln, als
ob wir uns Rawicz näherten. Tultscha ist in Form eines Halb-
mondes an der Donau erbaut. Es ist die Hauptstadt der
Dobrudscha und zugleich die Residenz des diese Provinz als
Statthalter regierenden Pascha. Wir sehen die k. k. östreichi-
sche und k. preussische Flagge an hohen Mastbäumen wehen,
als Beweis, dass diese Mächte hier konsularische Agenten un-
terhalten. Herr Oberst von Drigalski, mit der Exekutive für
die europäische Donauschifffahrts - Kommission betraut, hat
ebenfalls seinen Wohnsitz in Tultscha. Es ist Tultscha auch
Lootsenstation und hat Schiffswerften; es liefert alljährlich,
namentlich für griechische Rhederei, eine nicht unbeträcht-
liche Anzahl wohlgebauter Schiffe.
Unser Schiff legte für 1^/2 Stunden in Tultscha an, welche
ich zu einer Promenade durch die Strassen der bergan stei-
*) Vergleiche: Memoire sur les travaux d'amelioration executes
aux embouchures duDanube par la Commission Europeenne iiistituee en
vertu de Farticle 16 du Traite de Paris du 30 Mars 1856. Accompagne
d'un atlas de 40 planches. Galatz. Imprimerie de la Commission« Euro-
peenne du Danube 1867. Gr. 4.
80
genden Stadt benutzte, die wie Rom, Konstantinopel, Gnesenu. s.w.
auf den unvermeidlichen sieben Hügeln gebaut ist. Es herrschte
auf den Strassen ein reges Leben und ein unruhiges kauf-
männisches Treiben: namentlich fielen uns viele Bäckereien
zur Verproviantirung der zahlreichen Schiffe, welche hier an-
landen, auf, mit offenen Vorderfronten nach der Strasse. In
einem Kaffeehause fanden wir ein Billard mit Kegeln nach
ganz moderner Weise. Die Wände waren mit Landkarten
vom Orient behängt in griechischer Schrift und Sprache. Eine
lustige deutsche Handwerkerfamilie sass im Garten und er-
frischte sich mit Kaffee und Wein, sie wollten mir Empfeh-
lungen nach Konstantinopel aufdringen.
28. Yon Tulcia nach Sulina. Delta der Donanmündang.
Gegen Mittag wurde die Fahrt fortgesetzt. Wir passirten
unterhalb der Stadt den „Stein" von Tultscha, eine weit in den
Strom hineinspringende Felsklippe, welche den normalen Lauf
desselben in eine andere Richtung lenkt und der Schifffahrt
ernste Hindernisse bereitet. Wir gelangten bald an die Bifur-
kation des Tultscha- Armes, wo die Sulina in östlicher, der
St. Georgs -Arm in südöstlicher Richtung sich abzweigt. In
einer Doppelmündung, Chidrillis und Olinska genannt, welche
eine Insel umschliessen, ergiesst sich der St. Georgs-Arm ins
Meer. Es ist eigentlich unbegreiflich, warum die europäische
Kommission die Sulina vor dem St. Georgs-Arm bevorzugt
hat. Man hat nämlich berechnet, dass die Sulina nur 2^271
der St. Georgs -Arm 8/27 der sämmtlichen Wassermasse der
Donau dem Schwarzen Meere zusendet. Der St. Georgs-Arm
hat eine durchschnittliche Breite von 1400 Fuss, die Sulina
von 500 Fuss. Die Absperrung und Vernachlässigung des
St. Georgs - Kanals kann nur aus politischen Gründen ge-
schehen sein.
Der Sulinakanal macht viele Kurven, so dass die Dampf-
schiffe sich in Acht nehmen müssen, nicht gegen das Ufer
anzufahren, was uns einmal passirte und nicht ungefähr-
lich war.
Herr Oberst v. Drigalski machte uns auf die Methoden
aufmerksam, deren man sich bedient, um eine grössere Tiefe
hervorzubringen. Es geschieht dies einmal durch das Veren-
guugssystem, nach welchem Dämme (piers) in den Fluss hin-
eingebaut sind; dann durch Dampf bagger, welche an den
Stellen, wo eine Versandung befürchtet wird, fortwährend in
Thätigkeit sind. Wir passiiien auch einen Durchstich, der
wenige Tage vor unserer Fahrt eröffnet worden war, und durch
welchen die Fahrt um zwei Meilen verkürzt wird, während
dadurch zwei gefahrliche Kurven vermieden werden. Die
Stromkorrektion wird mit grosser Energie weiter verfolgt.
Die Ufer sind hoch mit Rohr bewachsen, ohne Kultur, als
bisher bestrittenes Terrain.
An den Ufern der unteren Donau sind die Wechselfieber
endemisch, weil das sonst sehr fruchtbare Land jährlich den
Ueberschwemmungen ausgesetzt ist und einen grossen
Theil des Jahres unter Wasser steht. Es liesse sich durch
Anlegung von Deichen sicher stellen und dadurch ein üppiges
Weide- und Getreideland gewinnen. Indessen wäre der Kosten-
aufwand bedeutend, da der tägliche Arbeitslohn hier auf 13
bis 14 Piaster, etwa 25 Sgr. pro Kopf, berechnet wird und
die Arbeiter, welche hier in dieser Wildniss kaum sich schützen
und verpflegen können, bald am Fieber dahinsiechen und ent-
kräftet werden. Die europäische Kommission hat daher ein
eigenes Krankenhaus für ihre Arbeiter gegründet, welches
vorzugsweise von Fieberpatienten frequentirt wird.
Bei einbrechender Dunkelheit ging unser Schiff bei dem
Städtchen Ssulinsk (Sulina) vor Anker. Hier verliess uns Herr
V. Drigalski, um dort Geschäfte zu ordnen ; seine x\bsicht war,
das in der Nacht von Odessa ankommende Dampfschiff zur
Heimkehr zu benutzen. Als einflussreicher Persönlichkeit in
diesen Regionen steht es ihm frei, jedes beliebige Schiff bei
seinen Reisen gratis zu benutzen.
Unser Schiffsarzt musste ans Land gehen, um, wie es bei
jeder Station üblich ist, ein Gesundheitsattest von der Obrig-
keit für den Landungsplatz zu extrahiren. Es war in dem
engen, ganz mit Schiffen belegten Hafen ein ungeheures Ge-
wirre, die Beleuchtung mit Fackeln und Laternen nur man-
gelhaft, so dass beim Besteigen des Landungsorts es gar nicht
zu verwundern war, dass unser liebenswürdiger Schiffsarzt
durch Unvorsichtigkeit eines Bootführers im Gesicht durch ein
G
^ I
1
82
Tau verletzt wurde. Der Doktor stiess einen lauten bchmerzens-
ruf aus. Sogleich fanden sich willige Hände unserer Schiflfs-
mannschaft, um dem ungeschickten Inkulpaten durch Begiessen
mit einigen Eimern Wasser vom Verdecke aus eine derbe Lek-
tion zu ertheilen.
Das frühere russische Städtchen Ssulinsk bestand vor
20 Jahren nur aus wenigen Privathäusern, Buden, Kafifeehäu-
sern und Erdhütten. Jetzt ist es ein sehr belebter Ort, der
einer grossen Zukunft entgegen geht; der Hafen ist von 8'
auf 18' Wassertiefe gebracht worden. Zwei lange Molen
reichen weit ins Meer hinein und halten die Strömung zusam-
men, um die Bildung einer dem Hafen vorliegenden Sandbarre
zu verhindern ; die nördliche Mole ist über 4000 preuss. Fuss
lang, die südliche über 3000 Fuss. Beide sind beendet wor-
den am 31. Juli 1861. Die Kosten der Dämme beliefen sich
auf 178,000 Dukaten. Es sind 12,000 Pfähle und 68,000 Ku-
bikmeter Felsblöcke vom Stein von Tultscha verwendet wor-
den. Die Tannenhölzer sind aus den Waldungen bei Galatz,
das Eichenholz aus den Wäldern der Dobrudscha geliefert
worden. Das Holz hat beiläufig gesagt in diesen Regionen
einen fabelhaft hohen Preis, es kommen daher ganze Flotten
von Flössen die Donau hinab.
Man giebt die Anzahl der Schiffe, welche im letzten Jahre
(1867) in Ssulinsk angelegt haben, auf nahezu 6000 an. Es
herrscht hier ein sehr reger Schiffsverkehr , wie in wenigen
anderen Häfen des Schwarzen Meeres. Es heisst, dass Ssulinsk
von der Pforte zum Freihafen erklärt werden soll. Es ist
die Einfahrt aus dem Schwarzen Meere mit einem Leucht-
thurm versehen, und das linke Ufer der Sulina durch Schan-
zen befestigt.
Das grosse Deltagebiet der Donaumündungen wird von
Alluvialboden gebildet, es gleicht jetzt einer grossen Wildniss,
in welcher sich der Wasserüberfluss der Donau in ein Laby-
rinth von Flussarmen, Seen, Teichen und Lachen verliert.
Einige erhabenere Strecken sind mit Wald bewachsen. Früher
war das Land besser kultivirt, unter der russischen Herrschaft
ist es systematisch verwahrlost worden und Alles verwildert.
Frühere Obsthaine und Gemüsegärten werden von Schilfrohr
83
überwuchert. Wildpret aller Art (Hirsche, Hasen), ganze
Kudel wilder Schweine, Füchse, Wölfe und zahllose Sumpf-
vögel haben sich hier niedergelassen; das Thierreich übt eine
ziemlich unbeschränkte Herrschaft aus. Bei rechtlich geord-
neten Verhältnissen und Aussicht auf Frieden könnte ein that-
kräftig betriebsames Volk durch Kanalisation, Entwässerung
und Schutzdeiche aus diesen versumpften Wildnissen üppige
Getreidefluren schaffen: es würden reiche Handels- und Hafen-
städte entstehen, und eine zweite Lombardei, ein zweites Hol-
land an den Gestaden des Schwarzen Meeres emporblühen.
29. Von Sulina über das Schwarze Meer bis Varna.
Reisegesellschaft.
Am 29. September 1868, Abends gegen 10 Uhr, liefen
wir aus dem Hafen von Sulina ein in das Schwarze Meer,
dessen Nähe uns schon seit längerer Zeit durch ein gewalti-
ges donnerähnliches Brausen verkündet war. Bei der finsteren
Nacht verdiente es diesmal seinen Namen in der That, indes-
sen scheint wirklich die Farbe des Wassers in das Schwärz-
liche hinüber zu spielen.
Das Schwarze Meer ist berüchtigt; obgleich es ein Areal
einnimmt gleich dem des Norddeutschen Bundes, umschliesst
es nur eine einzige kleine Insel nicht fern von der Sulina-
Mündung, die sogenannte Schlangeninsel, umgeben von steilen
Felsen, wo es von Schlangen und Eeptilien wimmelt. Das
Schwarze Meer (Pontus euxinus) hiess bei den Alten das
„gastliche" per Euphemismum, sie meinten eben damit, es sei
„ungastlich" und bereite den Schiffen den Untergang. In der
That ist die Anzahl der Schiffbrüche auf dem Schwarzen
Meere schaudererregend, z. B. am 22. November 1856 war die
Barre von Sulina nach dem Berichte des östreichischen Gene-
ralkonsuls zu Konstantinopel Dr. Beke mit den Wracks von
17 gescheiterten Schiffen gespickt. Furchtbar sind die Schnee-
stürme, die im Winter auf dem Schwarzen Meere toben. Es
tritt dabei plötzlich eine so eisige Kälte ein, dass die unglück-
lichen Verdeckspassagiere sich nicht erwärmen können. Unser
Schiffsarzt erzählte mir, wie sie bei einer Eeise von Trebi-
6*
84
sonde (Trapezunt), durch einen solchen Schneesturm in der
Nacht überrascht, am Morgen unter 400 Verdeckspassagieren
21 Leichen zählten, die dem Froste als Opfer erlegen waren.
Die Winter im nördlichen Theile des Schwarzen Meeres sind
grausig streng, 20 Grad unter Null nach Keaumur ist gar keine
Seltenheit. — Entsetzlich ist die Seekrankheit auf dem Schwar-
zen Meere, nur ein gesunder Magen, wie der des Berichter-
statters, behält hier die Contenance. In der That verschwand
der grösste Theil unserer Schiflfsgesellschaft bei dem ersten
Schaukeln auf den Wogen des Schwarzen Meeres, um erst
wieder aufzutauchen bei der Einfahrt in den Bosporus; die
zahlreiche Gesellschaft des vierten Platzes, welche das ganze
Verdeck einnahm, war grösstentheils sehr miserabel und störte
alle Illusionen.
Das Schwarze Meer wird auf drei bis fünf Meilen von
der Donau gelb gefärbt; die dunklen Meereswogen vermischen
sich nur spät und widerstrebend mit dem hellen Wasser der
Donau.
Die Fahrt von Sulina nach dem Bosporus geht bei
ruhigem Wetter in geringer Entfernung von der Küste vor sich.
Wir benutzten den 30. September, welchen wir auf dem
Schwarzen Meere zubrachten, um uns über unsere Schiffsgesell-
schaft zu Orientiren. Die französischen Offiziere und die Schiffs-
mannschaft waren, wie dies auf der ganzen französischen
Marine der Fall sein soll, enthusiastisch orleanistisch, begei-
stert für den Prinzen Joinville. Das aufrührerische Journal,
„Lanterne de Rochefort", wird auf den Schiffen vorgelesen und
alle französischen Konsulate sollen darauf abonnirt sein. Die
französischen Seeleute führen eine zügellose Sprache. Z. B.
hörten wir den Einnehmer (coUecteur) unseres Schiffes sich
wörtlich äussern, wie folgt: Je n'ai plus de principes, je suis
comme Nap. III. (Ich habe keine Grundsätze mehr, ich bin
wie N. III)..
Die interessanteste Gesellschaft für mich war ein oberer
Geistlicher, Vorstandsmitglied der Klöster auf dem Berge Athos
ayiov opo? (heilige Berg) in Mazedonien (Archimandrit). Er
war in offizieller Sendung, um den jährlichen Tribut, den
seine Genossenschaft (ein tributärer Mönchsstaat) dem Sultan
zahlen muss, zu überbringen. Es war ein ältlicher Herr in
85
der Mitte der Sechziger von höchst angenehmem Umgange. Er
war von feinster geselliger Bildung, seine Muttersprache war die
griechische, er drückte sich aber auch geläufig in italienischer
und französischer Sprache aus, und hat mir die interessan-
testen Aufschlüsse über sein Klostergemeinwesen gegeben, das
den Zentralpunkt des oströmischen Glaubens, den Vatikan des
Orients, den Freihafen und letzten Zufluchtsort aller Weltsat-
ten des ehemaligen byzantinischen Reiches bildet. Der heilige
Berg wird von 6000 diesem klösterlichen Gemeinwesen ange-
hörigen männlichen Individuen bewohnt, die ein völlig abge-
grenztes Territorium bebauen und ihre eigene freie Selbstver-
waltung besitzen; es ist eine geschlossene Körperschaft mit
aller im Säkularverbande herkömmlichen Ungleichheit an
Vermögen, Macht, Ansehen, Erwerbsfähigkeit und Lebens-
praxis. Weibliche Wesen sind von ihrem Gebiet ganz ausge-
schlossen. Da dieser Geistliche öfter die Reise nach Konstan-
tinopel macht, war er im Stande, mir die beste Information
für meine Reisezwecke zu ertheilen.
Es wurde diesem Ordensgeistlichen allgemeine Ehrerbie-
tung gezollt, namentlich von den Nonnen eines moldauischen
Klosters, welche auf unserem Schiffe (auf dem vierten Ver-
deckplatze) sich befanden, um eine Wallfahrt nach Jerusalem
zu unternehmen; sie waren der Oberaufsicht einer älteren
Oberin untergestellt, welche die von der Seekrankheit jämmer-
lich heimgesuchten Nonnen zu pflegen und zu trösten ver-
suchte.
Indem wir längs den Küsten des Schwarzen Meeres ent-
lang fuhren, umschifften wir bald das Vorgebirge von Kali-
Akra (wo der Balkan ausläuft), das mit einem Leuchtthurm
und mit Ueberresten von venetianischen Wachtthürmen ver-
sehen ist. Wir erreichten dann die Rhode von Varna. Ein
Kloster, hart am Meere auf hohen Felsen gelegen, von Wein-
bergen umgeben, präsentirte sich zuerst den Blicken. Varna
macht, von der Rhode aus gesehen, einen freundlichen Ein-
druck. Es steigt amphitheatralisch vom Meere auf, und hat
von Weitem ein ganz modernes Ansehen, wozu die von Stein
gebauten hellfarbig angestrichenen Häuser in dem Vorder-
grunde viel beitragen. Dazwischen erheben sich schlanke
Minarehs und zwölf Moscheen. Dabei ist es stark befestigt
I
_ 86
und hat schon schwere Belagerungen ausgehalten. Da das
Wasser nach dem Lande zu seicht ist, so können grössere
Schiffe nur in der Entfernung von einer Viertel Meile vor
Anker gehen. Bei meiner Rückkehr bin ich ans Land gesetzt
worden, und in ganz passablem Wagen, deren einige zwanzig
für die Passagiere bereit gehalten wurden, nach dem eine
halbe Stunde vom Landungsplatze entfernten Eisenbahnhofe
auf holperigem Wege um die Festung befördert worden. Es
verbindet diese Eisenbahn Vama mit Rustschuk und führt
bei der Bergfestung Schumla vorbei. Die Bahn hat eine
Länge von einigen zwanzig deutschen Meilen und führt durch
ziemlich gut angebaute Gegenden. Der Betrieb geschieht
durch eine englische Gesellschaft und sind die Einrichtungen
ziemlich europäisch; der Luxus der Bahnhofsgebäude fallt
jedoch fort, ebensowenig ist für Verpflegung der Reisenden
gesorgt.
Während wir zwei Stunden auf der Rhode von Vama
vor Anker lagen, entwickelte sich auf unserem Schiffe ein
lebhaftes Treiben. Es wurden Depeschen des französischen
Konsulates an Bord gebracht durch den Kawas (die Ordon-
nanz) des Konsuls. Dieser Kawas war ein wahres Pracht-
stück theatralischer Ausschmückung. Seine Kleidung war
überladen von Gold- und Silberstickereien, im Gürtel trug er
zwei Pistolen, deren Lauf und Griff reich mit Silber ausge-
legt war, dann einen blanken scharf geschliffenen Dolch, zur
Seite hing ihm ein Yatagan (ein langes Messer). Mit ihm
wetteiferte an äusserer Ausstattung der Kawas des französi-
schen Konsuls von Rustschuk, der nach Konstantinopel De-
peschen überbringen sollte; es war ein Albanese, seine Pisto-
len waren geladen, und seine Patrontasche gefüllt. Es stiegen
hier über 200 türkische Soldaten auf, die ihre Zeit abgedient
und nach Hause (Kleinasien) entlassen wurden, wohin sie über
Konstantinopel zurückkehren wollten. Ihre Anzüge waren
meistens zerrissen, sie selbst sahen unsauber aus. Sie wur-
den von einem eigens dazu angestellten Beamten des Dampf-
schiffes untersucht, der ihnen die Waffen (Gewehre, Pistolen,
Säbel, Dolche, Messer) abnahm zur Verwahrung und ganze
Berge davon anhäufte. Efe fiel uns die Resignation auf, mit
welcher diese Soldaten sich jeder Anordnung willig unter-
87
warfen. Es wurde jedem seine Stelle auf dem Verdeck ange-
wiesen, die er nicht verlassen durfte und wo er die Nacht
unter freiem Himmel zubringen musste, ohne sich zu rühren,
selbst wenn die Passagiere des ersten Platzes über seinen Leib
wegspazierten, was bei der Ueberfüilung des Verdecks nicht
zu vermeiden war. Ueberhaupt schien mir der unbedingte
Gehorsam des niederen Volkes in der Türkei ausgeprägter zu
sein, als bei uns. Die absolute Nüchternheit bei gänzlicher
Enthaltung von allen Spirituosen erleichtert ausserordentlich
den Verkehr mit der unteren Klasse, wozu noch ihre sprich-
wörtliche Ehrlichkeit kommt. Diese beiden Grundzüge der
Türken: „Nüchternheit und Ehrlichkeit" des gemeinen Volkes
machen einen sehr wohlthuenden Eindruck und geben dem
Volkstreiben eine charakteristische Physiognomie.
Unter den Passagieren befand sich eine armenische Fa-
milie, die auf der Pilgerschaft nach Jerusalem begriffen war;
es fiel mir besonders ein armenischer achtjähriger Knabe da-
von auf, mit intelligentem Aussehen und funkelnden Augen.
Meteorologisch interessant war bei unserer Fahrt über
das Schwarze Meer die Feuchtigkeit, mit welcher die Luft
bei ganz heiterem Himmel gesättigt war.
30. Die Delphine.
Als wir uns der Einfahrt in den Bosporus bei Sonnen-
aufgang näherten, gesellten sich zu uns die hier unvermeid-
lichen Delphine, die fortan zu beiden Seiten unseres Schiffes
geräuschlos umherschwammen mit rapider Schnelligkeit: ko-
lossale Fische, die sich zuweilen mit dem halben Leibe aus
dem Wasser emporschnellen. Diese Riesen unter den Fischen
scheinen nur für die Poesie geschaffen zu sein, indem ihr
Fleisch unschmackhaft ist und sie sonst auch dem Menschen
keinen Nutzen gewähren. Doch nein! Die Delphine des
Bosporus versehen dieselben Dienste, wie die herrenlosen Hunde
von Stambul. Sie verzehren alle Auswürfe und ünreinigkeiten,
die von allen Seiten in den Bosporus geworfen werden und
ihm zufliessen. Besondere Liebhaberei haben die Delphine
für Aas und Leichen, worauf sie Jagd machen, weswegen
sie auch die Schiffe begleiten, weil sie Menschenfleisch
88
wittern. Da man in früheren Zeiten zu Dutzenden täglich
bei lebendigem Leibe die untreuen Frauen oder sonstige
Uebelthäter ins Meer versenkte, oflfen oder in einen Sack ge-
näht und mit Steinen beschwert, so fanden die Delphine reich-
liche Nahrung: in wenigen Stunden waren die Leichen ver-
zehrt, und jede Spur des unglücklichen Opfers war verschwunden.
Ein Teleologe fände hier reichen Stoff zum Nachdenken über
die Zweckmässigkeit in der Natur. Ohne die Hülfe der Delphine
wäre sonst der Meeresstrand mit Leichen besäet gewesen,
während nie eine Leiche hier je wieder an das Tageslicht
gelangt, sondern im finstern Bauch des Delphins stückweise
seine Ruhestätte findet. Aber jetzt, wo die unblutigen Exeku-
tionen bei den Islambekennem seltener geworden sind, werden
die Delphine in die allgemeine Klage über schlechte Zeit und
in das Lob der Vergangenheit einstimmen.
31. Die Fahrt durch den Bosporus.
In der Nähe der Einfahrt in den Bosporus schwammen
von beiden Seiten Delphine um unser Schiff und schnellten
sich mit wunderbarem Schwünge halb ausserhalb des Wassers,
um uns ihre Gestalt zu zeigen. Das Schwarze Meer war trotz
Windstille unruhig gewesen, wir ver3pürten daher an der
gleichmässigeren Bewegung und den geringeren Schwankungen
des Schiffes, dass wir in ein ruhigeres Binnenwasser einge-
laufen waren.
Leuchtthürme an beiden Ufern bezeichnen die Einfalirt.
Wir fuhren bei den Symplejaden oder Kyaneischen Inseln
vorbei, die einst im Wasser herumtanzten und jedes vorbei-
segelnde Schiff durch Zusammenstoss zerschmetterten. Wir
freuen uns darüber, dass Orpheus vor uns gelebt und durch
sein Flötenspiel beim Argonautenzuge dem tollen Treiben ein
Ende gemacht und die Inseln festgebannt hat.
Wir gewahren darauf an beiden Ufern verfallene Befesti-
gungen, deren Kanonenschlünde auf die Meerenge gerichtet sind;
die Besatzungen sind in weitläuftigen Kasernen untergebracht.
Die schönste Operndekoration entfaltete sich im herrlichen
Sonnenschein vor unsern entzückten Blicken. Die Reisegesell-
schaft versammelte sich auf dem Verdeck, um die Schönheiten
89
dieses durch gewaltsame Erderschütterungen durchbrochenen
Kanals zu bewundern. Eine gewaltige Strömung beschleu-
nigte unsere Fahrt. Das Schwarze Meer strömt seinen Ueber-
fluss hier aus, es würde ohne diesen Abzugskanal durch die
ungeheuren Wassermassen, welche die Ströme: Kuban, Don,
Bug, Dnieper, Donau, und zahlreiche Küstenflüsse in ununter-
brochener Strömung ihm zuführen, bald überlaufen.
Der Leuchtthurm Asiens zeigt uns Jasons Felsen und der
Medea grosse Erinnerungen. Vom Winde geschwellte Segel,
Dampfer und Remorqueurs, zahlreiche Kaiks beleben den
Kanal. Am Ufer erblicken wir alle Bauarten vom sphärischen
Kiosk bis zu den konstantinißchen viereckigen Mauern; von
den Palästen der europäischen Gesandten, der griechischen
und armenischen Handelsfürsten bis zu den trotzigen Kastel-
len der Genueser.
Auf der asiatischen Seite zeigt man uns einen 1200 Fuss
hohen Berg, an welchen sich Sagen von Josua knüpfen; dicht
dabei das Riesenbett des Herkules, einen sechszig Fuss langen
und fünf Fuss breiten Grabhügel. Wir wenden uns nach dem
europäischen Ufer und erblicken Bujukdere mit seinem pracht-
vollen Quai, an welchem der Sommerpalast des russischen Ge-
sandten prangt, gegenwärtig des Grafen Ignatiefif. Vor seinem
Palast liegt im Hafen ein russisches Kriegsschiff, bestimmt für
das Privatvergnügen des Gesandten, um durch Pracht und
Machtentfaltung den Türken zu imponiren. Hinter dem russi-
schen Gesandtschaftspalast steigt terassenförmig am Gebirge
hinauf der dazu gehörige weitläuftige Park mit seinen riesigen
Pinien, die wie Regenschirme ihr Zweigwerk weit ausbreiten.
Die Natur umgiebt hier die Schöpfungen der Baukunst mit
einem Zauber reizender Gärten. In der Nähe befindet sich
der noch übrige kolossale, jetzt abgestorbene Stamm der Rie-
senplatane, in deren Schatten einst Gottfried von Bouillon
seine getreuen Kreuzritter - W^affengefährten musterte, ehe er
nach Asien übersetzte.
Als wir eine Verengung des Bosporus passirten, theilte
man uns mit, dass hier der Perserkönig Darius, des Hystaspis
Sohn, sein grosses Kriegsheer übersetzte, um Griechenland
zu erobern. Sage und Geschichte verherrlichen jeden einzel-
nen Punkt des Ufers; Natur und Kunst wetteifern, um diese
90
bevorzugte Stelle der Erde aoszuschmücken. Die Erinnerungen
von Jahrtausenden sind hier verwebt mit der reizendsten Um-
gebung, bei deren Bildung der Zauber der Natur sich fast
erschöpft zu haben scheint. Die Luft ist erfüllt von dem
Dufte der zahllosen Blumengärten am Bande des Bosporus,
während an den zurücktretenden Bergen die Wein- und Obst-
gärten sich emporschlängeln.
Wir passirten Therapia, wo die Botschafter von Frank-
reich und England ihre Sommerresidenzen aufgeschlagen haben.
Es drängt sich an beiden Cfern Dorf an Dorf, Villa an Villa,
die Höhen sind mit schwebenden Kiosks geschmückt, die Thal-
einschnitte mit dichten Baumgnlagen bedeckt. Man kann
nicht mehr alle Einzelheiten unterscheiden, sie verweben sich
in ein Riesengemälde, das sich in wachsender Schönheit vor
uns aufrollt, eine Feenszene zur Berauschung der Sinne er-
schaffen.
Bosporus bedeutet Kuhfuhrt. Die durch die Eifersucht
der Juno in eine Kuh verwandelte Jo warf sich, von einer
Bremse verfolgt, welche sie unaufhörlich quälte, in diese
Meeresenge, durchschwamm sie und ertheilte ihr den Namen.
Der Bosporus ist eine Meerenge, welche auf einer Strecke
von drei deutschen Meilen zwei Erdtheile, Europa und Asien,
Rumili und Anatoli, trennt und zwei Meere, das Schwarze
und Weisse (wie allgemein hier das Marmora-Meer genannt
wird), verbindet. Siebenmal steigen die asiatischen Gebirge
herab und zwingen die Meeresfluthen , nach der thrazischen
Küste auszuweichen. Siebenmal streckt der Haemus seine
Felsenarme nach seinen asiatischen Brüdern am Gestade von
Anatoli aus. So bildet die Wasserstrasse eine Schlangenlinie von
sieben Krümmungen oder vielmehr sieben verbundenen Seen, deren
Ufer in wechselnder Entfernung mit jedem Ruderschlage vor-
wärts sich neu gruppiren. Die Breite des Stromes beträgt
oft nur ^/g Meile, zuweilen das Dreifache. Auf der europäi-
schen Seite reiht sich in ununterbrochener Reihenfolge Ort
an Ort, entweder im Halbkreise eine Bucht umkränzend, wie
z. B. Jeni-Makalu und Bujukdere, oder im ausspringenden
Winkel den Abhang eines Vorgebirges umgürtend (Therapia).
Dazwischen stehen liebliche Landhäuser und Kiosks, von
Hainen, Gärten und Weinbergen umgeben, indess Burgen und
91
Ruinen aus einer ereignissreichen Vergangenheit die Höhen*
krönen. Die Abfälle der Berge, auf denen sie sich erheben,
sind oft schroff und gewähren den Ansiedelungen kaum Platz,
sich an die grauen Felswände anzuheften, während sie ander-
wärts zurücktreten und anmuthige Wiesen, mit buntem Blu-
menflor geziert, den Blick überraschen. Die höchsten Ufer
sind an der asiatischen Seite. Zu den Berggipfeln ziehen sich
tiefe Schluchten hinauf, bewachsen mit Pinien, Platanen, Fei-
genbäumen, Pawlonien und Kirschbäumen in gigantischer
Entwicklung, über deren Laubkuppeln die schlanken Zypressen
gleich Minarehs emporstreben, während murmelnde Quellen
und schäumende Giessbäche ihre Fluthen dem Meere zuwälzen.
üeber jede Beschreibung lieblich aber ist der Zauber von Tin-
ten und Farbentönen, von Duft und Wohlgeruch, welche die
Natur nirgends so reich, wie hier, über Himmel, Wasser und
Land in gleicher Verschwendung ausgegossen hat.
Ehe die Osmanli am Bosporus ihre Zwingburgen aufführten,
befanden sich an beiden Ufern mehrere dem heiligen Michael
geweihte Kirchen, welchem die Byzantiner die Hut des Bospo-
rus gläubig überantwortet hatten. Eine dieser Kirchen thront
noch heute am europäischen Ufer unmittelbar bei der Einfahrt
in den Bosporus; sie ist wohl erhalten und thut gerade an
dieser Stelle dem christlichen Bewusstsein wohl. Später ge-
wahrten wir am asiatischen Ufer die Ruinen eines dem heili-
gen Georg gewidmeten Klosters.
Die fünfte Kanalenge wird überwacht von den festen
Schlössern von Europa und Asien, Rumili und Anatoli-Hissar,
deren weisse Mauern schon von weitem von den grünen Höhen her-
ableuchten. Das Schloss von Asien blickt mit seinen mittelalter-
lichen Mauerzinnen ernst auf das Thal des himmlischen Wassers
(die süssen Wasser von Asien, den Lieblingsaufenthalt der
türkischen Damenwelt) herab. Gegenüber erbaute Mohammed H.
an der thrakischen Küste zwei Jahre vor der Erstürmung von
Konstantinopel das Schloss von Europa mit seinen gewaltigen
Thürmen und weitläuftigen Mauern.
Das Mastengewimmel auf- und absegelnder Schiffe wird
immer dichter. Es sind dies vorzugsweise griechische, italieni-
sche und englische Handelsschiffe, wenig französische, welche
den Bosporus beleben; auch gewahrten wir einige türkische
92
'Kriegsschiffe. Die aus dem Schwarzen Meere einfahrenden
Segelschiffe werden von der gewaltigen Strömung mitgerissen,
wogegen die hinausfahrenden gegen dieselben ankämpfen müssen
und nur mit Hülfe von Schleppdampfern (Remorqueurs) die
Schwierigkeit überwinden. Diese Schleppdampfer, deren Preis
auf 15,000 Thlr. pro Stück angegeben wird, sollen sich hier
vorzüglich rentiren, indem sie in einem Jahre schon die Hälfte
dieser Summe als Brutto-Ertrag liefern und nur einen geringen
Betriebskosten-Aufwand erfordern.
Die Lusthäuser und Paläste des grossherrlichen Hofes
treten zahlreicher an das Gestade und verbinden die am Ufer
gelegenen Orte zu einer fortlaufenden Reihe zusammenhängen-
der Gebäude. Man macht uns aufmerksam auf den am asia-
tischen Ufer gelegenen Palast des Mehemet A'ali Effendi, auf
den Kiosk des Vizekönigs von Aegypten, auf das Schloss von
Kiamil Pascha, Schwiegersohn des Vizekönigs, welchem auf
dem europäischen Ufer das Schloss von A-ali-Pascha (des Gross-
veziers) gegenüber liegt. Ein dunkler Schatten befindet sich
jedoch in diesem lichten Gemälde, die Fenster sind überall
mit Jalousien verhängt; diese glänzenden Häuser scheinen von
ihren Bewohnern verlassen und ausgestorben zu sein. Nirgends
gewahrt man am offenen Fenster ein lebendes Wesen, das
freundlich sich sonnte und auf die belebte Meerenge hinaus-
blickte. Die geschlossenen Fensterladen und hinabhängenden
Jalousien sind sehr monoton, sie verbergen die Geheimnisse
des Harems, stiller Glückseligkeit und Familienzurückgezo-
genheit.
Auf dem asiatischen Ufer erblicken wir Beylerbey, das
grossherrliche Sommerserai (Sera'i bedeutet Schloss), ein lan-
ges Gebäude, weniger ausgezeichnet durch seine Bauart, als
durch seine lange Front und die Weitläuftigkeit und Schönheit
der dahinter gelegenen Gärten, die aber von hohen Mauern
umgeben sind, um die darin wandelnden Frauen neugierigen
Blicken zu entziehen.
Am europäischen Ufer gewahrten wir die Paläste einzelner
Sultaninnen, dann die grossherrlichen Serais von Beschicktasch
und Dolmabadsche mit unabsehbaren Fronten und langen ver-
zierten und vergoldeten Eisengittern nach der Wasserseite und
hochstrebendeu Thoren. In Thorwegen ist die türkische Bau-
93
kunst grossartig, es sind eigentlich bei allen öflfentlichen und
Prachtgebäuden hohe Pforten. Bei jedem Palast ist eine
Moschee für die Andacht des zahlreichen Hofgesindes.
Aber so blendend diese Palastlinie ist, sie fesselt nicht
mehr die Aufmerksamkeit, denn schon erblickt man durch den
sich öffnenden Kanal den vordersten der sieben Hügel, welche
die Kaiserstadt tragen. Schon leuchtet uns der kolossale ver-
goldete Halbmond von der majestätischen Kuppel der Agia
Sophia entgegen. Wir wenden ein in den Hafen (das goldene
Hörn) und gehen im Angesicht* aller orientalischen Herrlich-
keit vor Anker.
33. Der erste Eindruck von EonstantinopeL
So wäre ich endlich in Konstantinopel, so hätte ich er-
reicht, was mir in jugendlichen Jahren als ein heiss ersehnter,
unausführbarer Wunsch vorschwebte. Ich bin fern von meiner
Heim^th, in der Hauptstadt der Türkei, welche einst Europa
mit seinen wilden Horden zu überschwemmen und der
christlichen Welt ein hartes asiatisches Joch aufzulegen
drohte, von wo aus aber noch heute der ganzen muhame-
danischen Welt in drei Erdtheilen Gesetze vorgeschrieben
werden.
Ich fühle mich jedoch den Schwierigkeiten einer pragma-
tischen Darstellung eines Gemäldes der türkischen Hauptstadt
nicht gewachsen. Die übrigen europäischen Hauptstädte haben
so viel mit einander gemein, dass, wenn man eine davon
kennt, man sich in jeder leicht zurecht findet. Ganz anders
ist es mit Konstantinopel. Hier sind die Vorstellungen, die
man von anderen Kapitalen erlangt hat, kaum anwendbar.
Alle Analogien damit hören auf. Konstantinopel ist einzig in
seiner Art. Es drängen auf den Beobachter so viele neue Er-
scheinungen ein, dass er alle seine geistigen Kräfte zusammen-
nehmen muss, um sich in diesem Labyrinth nicht zu verlieren.
Nur Fragmente und einzelne zusammenhangslose Skizzen dür-
fen Sie daher von mir erwarten. Sie glauben kaum, wie sehr
man mit sich zu kämpfen hat, ehe man das Ueberraschende
der ersten Eindrücke überwindet; man ist wie betäubt in
dieser fremden Welt, diesem wirren Treiben, diesem Markte
I
94
des Luxus und der Sinnlichkeit, der Selbstsucht und des Ei-
gennutzes,
Bei der Ankunft in Konstantinopel hat man keine Polizei-
formalitäten zu erfüllen. Die Polizei nimmt in Konstantinopel
keine Notiz von dem Fremden, er wird weder nach Namen
noch nach Pass noch nach Reisezweck gefragt. Er kann thun
und lassen, was er will, wenn er nur immer baar bezahlt.
Das erste türkische Wort, welches der Reisende lernt, ist
Backschisch (Trinkgeld), es wird ihm überall, wo er in die
Oeffentlichkeit tritt, entgegengerufen mit nach ihm ausge-
streckten geöffneten Händen. Dennoch ist es gut, sich bei
seiner Gesandtschaft zu melden^ zumal bei der preussischen,
die durch so liebenswürdige und gefallige Persönlichkeiten re-
präsentirt wird. Es ist dies zweckmässig, theils der Belehrung,
theils des möglichen Schutzes wegen, da sich die Gauner, unter
denen am meisten die Italiener zu fürchten sind^ an ihn her-
andrängen, um ihn auszubeuten. Wenn man Newyork als den
„Spucknapf" von Europa kennzeichnet, kann man Konstantinopel
den Spucknapf der ganzen alten Welt (Europa, Asien, Afrika)
nennen, deren Abenteurer und Schwindler hier zusammen-
strömen.
Lord Byron sagt: „Ich sah Athens geheiligte Räume, Ephe-
sus' Tempel, ich war in Delphi ; ich habe Europa durchstreift
von einem Ende zum andern und Asiens schönste Länder be-
sucht, aber niemals erfreute mein Auge ein Anblick, dem
von Konstantinopel vergleichbar." — Man muss jedoch dazu
nicht von der Landseite kommen, um Konstantinopel allmälig
aus dunklen Zypressen wäldern erscheinen zu sehen, wo die
alten zerschossenen, mit Epheu umrankten Mauern Zeugen
grausamer Vergangenheit sind. Es erfüllt mit Wehmuth zu
wissen, dass jene Zypressen aus der Verwesung ganzer be-
grabener Nationen keimen, und dass jene grün bewachsenen
Steinhaufen die Mauern des alten Byzanz waren.
Stambul ist einer grossen Blume vergleichbar, welche
von der einen Seite mit einem unscheinbaren Deckblatt um-
geben ist, mit welchem sie an den Felsgestaden von Rumili
im Norden anklebt, während sie der südlichen Sonne und
den glänzenden Spiegeln, welche zwei Meere vor ihr ausbreiten,
das glühende Antlitz darbietet. Man muss in einem Boote
95
nach Skutari hinüberfahren, wie man vor einem Gemälde zu-
rücktritt, um es besser zu würdigen; manmuss sich auf einem
anderen Welttheile niederlassen, um das grossartige Bild, das
sich vor unseren erstaunten Augen entfaltet, mit seiner vollen
Schönheit in sein Herz aufzunehmen. Schiller sagt vom Sänger :
„Er breite es lustig und glänzend aus, das zusammengefaltete
Leben ; er drücke ein Bild des unendlichen All in des Augen-
blicks flüchtig verrauschenden Schall," Danach ist Konstan-
tinopel der grösste Dichter oder vielmehr das grösste Gedicht,
denn es ist das mit einem einzigen Blick zu umfassende,
glänzendste, farbenreichste Bild des unendlichen All.
Wie Rom ist Konstantinopel auf sieben Hügel erbauet,
deren Abgrenzung deutlich erkennbar ist. Der äusserste Hügel
ist dem Marmora-Meer zugekehrt und wird von ihm unmittel-
bar bespült. Auf seiner ins Meer hineinragenden Spitze, auf
einer Landzunge, Skutari gegenüber, lag das alte Serai, welches
abgebrannt ist, und an dessen Stelle Gärten eingerichtet sind,
die zuweilen dem Publikum geöffnet werden. Dahinter steigen
empor die weitläuftigen Anlagen des neuen Serai mit buntver-
zierten mannichfachen Gebäuden, grösseren Palästen und klei-
neren Kiosks.
Was der Stadt einen so wunderbaren Reiz verleiht, sind
die Hunderte von schlanken Minarehs und die Haufen glän-
zender Kuppeln auf Moscheen und Grabmälem, die über den
gewöhnlichen Wohnhäusern hervorragen.
So glänzend Konstantinopel von aussen anzusehen ist, so
sehr es den Reisenden anlockt, sich zu beeilen, bald unter
den grünen Baumgruppen zu lustwandeln, die malerisch zwi-
schen den Gebäuden hervorsehen: um so mehr bedauert er,
sobald er in der Stadt angelangt ist, sich nicht mit der blossen
Fernsicht begnügt zu haben. Alle Strassen Stambuls sind
enge, krumm, winklig und finster, da . das obere Stockwerk
meist über das untere hinausgebaut ist. Viele Häuser wen-
den der Strasse nur eine blosse Mauer zu, indem die Fenster
auf den Hof gehen; oder wenn Fenster nach der Strasse an-
gebracht sind, so sind sie verhängt und gewähren einen
traurigen Anblick. Entweder ist das Strassenpflaster defekt
oder es fehlt ganz.
Unzertrennlich von der Physiognomie der Strassen von
96
Konstantinopel sind die Schaaren herrenloser Hunde, welche
auf der Strasse geboren werden, leben und sterben. Sie
gleichen in Gestalt am meisten unsern Schäferhunden, haben
kurze Haare von schmutzig gelbbrauner Farbe. Viele sind
räudig. Sie schleichen faul und träge umher und liegen mit-
ten im Wege, ganz ausgestreckt, sich sonnend und schlafend,
unbekümmert um das rege Strassengetümmel. Oft stehen sie
wartend vor den Häusern, haufenweise vor Fleischläden und
Garküchen, oder sie durchwühlen einen Müllhaufen, der eben
auf die Strasse geschüttet worden ist, dessen Inhalt sie disku-
tiren. Sie reinigen die Strassen und versehen das Amt unserer
Scharfrichter, z. B. ein gefallenes Pferd oder Rind verzehren
sie mit Haut und Knochen. Der Türke geht behutsam und
schonend bei den Hunden vorüber; er ist unfähig, einem Thiere
ein Leid zuzufügen, selbst seine Haut- und Kopfparasiten liest
er nur ab und wirft sie fort, ohne sie zu tödten. Sogar die
Pferde üben gegen diese Hunde Diskretion, sie schreiten vor-
sichtig über sie fort. Jeder Hund hat sein begrenztes Revier,
wie in manchen grossen Städten jeder Bettler seinen Standort ;
wehe dem unglücklichen Hunde, der sein Gebiet überschreitet,
er wird zur Strafe zerbissen und zerrissen. Fremde Hunde
werden von Revier zu Revier begleitet und Obacht gegeben,
dass sie nichts Fressbares anrühren. Die konstantinopolitani-
schen Hunde bilden eine organisirte Republik. Bei Tage wird
man nicht von ihnen belästigt. Wehe aber dem Franken, der
sich in Stambul nach Sonnenuntergang verspätet. Die Be-
stien machen Kreis um ihn und gestatten ihm nicht, einen
Fuss vorwärts oder rückwärts zu setzen, nur türkische Gut-
müthigkeit oder der Revolver kann ihn retten, wenn er nicht,
Sonnenaufgang abwartend, im Freien kampiren will.
Die stolze Kaiserstadt hält nicht, was sie von aussen
verspricht. Es ist wahr, man findet Anziehendes genug, um seine
Aufmerksamkeit zu beschäftigen, indem Alles, was man antrifft,
von unseren Gewohnheiten und unserm Geschmacke abweicht.
Das bunt gekleidete Volk, die grünen, gelben nnd rothen Do-
minos, mit denen die Frauen umhängt sind, die gelben Pan-
toflFeln, auf denen sie einherschlottern, erscheinen phantastisch,
so dass man sich in ein Ballet versetzt glaubt; namentlich am
Freitag sind die Türken in schreienden Farben ausgeputzt.
97
Das Volk drängt sich in den engen, schmutzigen, steil anstei-
genden Strassen in einem Gewühle, welches an das Gedränge
von London in seinen belebtesten Stadttheilen erinnert. Da-
zwischen beengen und versperren die Lastthiere, auf. beiden
Seiten mit gefüllten Marktkörben oder Holzscheiten beladen,
den Weg. Indessen glaubt man dies Alles vielfach schon ge-
sehen zu haben, es sind die Erinnerungen an die Bilder aus
dem Orient und Italien, die man in seiner Jugend mit so viel
Theilnalime betrachtet hat, und welche wirklich sich oft durch
grosse Naturwahrheit auszeichnen, weil ihre Züge zu charak-
teristisch und leicht darstellba.r sind.
Die aus Brettern gebauten, oft hell übertünchten Häuser
mit einem über den Unterbau vorspringenden Söller, dessen
eng vergitterte Fenster die Geheimnisse des Harems verbergen,
gewähren für kurze Zeit noch ein Interesse. Schauder erre-
gen die vielen Brandstätten und Trümmerhaufen, welche we-
nigstens den fünften Theil der Oberfläche von Stambul be-
decken und in allen Quartieren wiederkehren: sie erinnern an
die verheerenden Feuersbrünste, von denen Konstantinopel so
oft heimgesucht wird, üeberall, wo die Strasse sich ein wenig
erweitert, haben Kaufleute ihre Waaren ausgelegt; dabei ist
in den Verkebrsstrassen in jedem dritten Hause ein Tabaks-
verschleiss. In nicht zu grossen Zwischenräumen trifft man
Geldwechsler, die in irgend welchem Winkel der Strasse auf
der Erde gekauert, ihre in Fächer getheilten Kästen, die mit
verschiedenen Gold-, Silber- und Kupfermünzen gefüllt sind,
ausstellen und daraus Dukaten und Napoleonsd^or in Piaster um-
wechseln. Die Bretzel-, Zuckerbäcker, Obstverkäufer, Wurst- und
Kaviarhändler schreien ihre Waare mit gellender Stimme aus.
Der Eindruck des Grossartigen aber, den man in den
ersten Tagen in Konstantinopel empfängt, verschwindet in
einem wehmüthigen Gefühle, wenn man innerhalb dieser Mauern
wandelt, wo so viel Grösse untergegangen ist ; wenn man diese
Hügel hinansteigt, welche die Gräber von Nationen bedecken.
Nicht nur liegen die Begräbnissstätten innerhalb des Bezirks
der Vorstädte und sind von den Wohnungen nicht geschieden,
sondern man stösst auch fast in jeder Strasse, bei jeder Mo-
schee auf Privatkirchhöfe, welche, gleich Gärten von Mauern
umgeben, durch vergitterte Oeffnungen ihre Leichensteine
7
1
98
zeigen, indess melancholische Zypressen über die Einfriedigung
emporragen. Ueberall triflft man auf Grabsteine und Zypressen.
Man kann Konstantinopel die Leichenstadt nennen — es ist
ein grosses Grab der Geschichte, in welchem auf die Dauer
sich kein Lebendiger wohl fühlt.
33. Geschiehtliches.
Byzas, König von Megara, hat* Konstantinopel gegründet
im Jahre 658 v. Chr., es erhielt den Namen Byzanz. Konstan-
tinopel ist von altem Adel. Die Byzantiner behaupteten ihre
Unabhängigkeit bis auf den persischen König Darius, des
Hystaspis Sohn, welcher, als er Griechenland mit Krieg über-
zog, diese Stadt unterwarf. Auch während der Durchzüge des
Xerxes, seines Nachfolgers, hatte Byzanz viel zu leiden. Nach-
dem die Perser bei Plataeae besiegt worden waren, kam
Byzanz unter die Herrschaft der Spartaner, deren Feldherr
Pausanias es in Besitz nahm; nachher unter die Herrschaft
der Athener unter der Anführung des Alcibiades. Später
machten sich die Byzantiner frei und gründeten eine Demo-
kratie. In den späteren Kriegen der Römer gegen Antiochus,
Perseus und Mithridates waren die Byzantiner stets auf Seiten
der Römer, als Belohnung Hessen ihnen die Römer ihre Unab-
hängigkeit, welche aber von den römischen Kaisern nicht ge-
achtet wurde. Schon Kaiser Vespasian entriss den Byzantinern
alle Privilegien. Kaiser Severus zerstörte Byzanz, baute es
aber besser wieder auf.
Endlich machte Kaiser Konstantin, entzückt über die
Lage von Byzanz, es zu seiner Residenz, indem er es ganz
neu wieder aufbauete und nach seinem Namen benannte. Er
ging dabei gründlich zu Werke und folgte alten Gebräuchen,
indem er im Jahre 324 n. Chr. mit der Pflugschaar eigenhändig
von der Landzunge, die von dem Hafen (dem Goldenen Home)
nördlich und dem Marmara-Meer südlich begrenzt wird, an
dessen Spitze sich der Bosporus in das Marmara-Meer er-
giesst, ein gleichseitiges Dreieck begrenzte, dessen jede Seite
etwa eine deutsche Meile lang ist. Die an den Pontus Euxi-
nus grenzenden Wälder, ebenso die Marmorbrüche der Insel
Prokonnessus der Propontis, lieferten vorzügliches Baumaterial.
Prachtbauten wurden durch geschickte Baumeister hergestellt.
99
Die Kunstwerke, welche die Städte Griechenlands und Klein-
asiens schmückten, wurden nach Konstantinopel geschafft:
Säulen, Statuen der Götter, Helden und Dichter, Trophäen
u. s. w. Kaiser Konstantin tiberredete viele vornehme Römer,
nach seiner neuen Residenz überzusiedeln. Die günstige Lage
des Ortes und die Munifizenz der Kaiser verlockte viele Leute,
dort ihren Wohnsitz aufzuschlagen. So geschah es, dass Kon-
stantinopel an Grösse und Glanz bald mit der stolzen Roma
wetteiferte, ja dieselbe übertraf.
Mannigfach waren die Schicksale von Konstantinopel im
Mittelalter. In den Kreuzzügen bildete es die Hauptstation
und den Stützpunkt aller militärischen Operationen. Lange
Zeit widerstand Konstantinopel den Angriffen der Türken, es
bedurfte der blutigsten Kämpfe, die fast ein volles Jahrhun-
dert dauerten, um, nachdem fast schon alles Gebiet rings
umher erobert war, endlich diese festeste aller Positionen zu
überwinden. Am 29. Mai 1453 wurde Konstantinopel von der
Landseite mit Sturm genommen. Der letzte griechische Kaiser
Konstantin Dragoses fand einen ruhmvollen Tod an der
Spitze seiner Truppen mit dem Schwerte in der Hand bei
der Vertheidigung der vom ersten Konstantin erbauten
Mauern der Hauptstadt des von diesem gegründeten tausend-
jährigen byzantinischen Reiches. „Ich will lieber sterben als
leben!" rief er, sich den Stürmenden entgegen werfend. Als er
sich von den Seinigen verlassen sah, brach er aus in die
Worte: „Ist denn kein Christ vorhanden, der mir den Kopf
spalte!" So fiel er unter den Schwertstreichen zweier Türken,
deren einer ihm ins Gesicht, der andere vom Rücken einhieb.
Sein Kopf wurde an die Porphyr-Säule angeheftet, welche der
erste Konstantin der Grosse seiner Mutter Helene zu Ehren
errichtet hatte, nachher in die asiatischen Städte als Sieges-
botschaft zur Schau versandt.
Doch scheint die letzte Stunde türkischer Herrschaft auf
ehemaligem christlichen Gebiete bald schlageü zu wollen.
Die Türken sind von trüben Ahnungen bevorstehender Ver-
geltung erfüllt. Nach alter Prophezeiliung wird ein nordischer
Herrscher mit blondem Barte Konstantinopel wiedererobem.
Das Thor, durch welches er bestimmt ist, von der Landseite
einzuziehen, haben sie fürsorglich vermauert.
7*
100
34. Orientirnng.
Wir wollen zum Verständniss der folgenden Berichte ver-
suchen, den Leser in einigen starken Strichen über die Lage
und Disposition von Konstantinopel zu orientiren. Es mag
kaum eine Localität in der Welt geben, die so plastisch aus-
geprägt wäre, dabei so mannigfaltig gegliedert und in ihren
Einzelnheiten so ausgemalt, wie die von Konstantinopel.
Der Bosporus ist im Wesentlichen vom Schwarzen Meere
aus von Norden nach Süden mit einer Ablenkung nach Westen
gerichtet. Das vorhin beschriebene Dreieck, welches das alte
Stambul enthält, wendet seine abgerundete Spitze, die vom
Serai (dem alten abgebrannten, in Gärten verwandelten, und
dem neueren Jeni Serai* mit seinen drei Höfen) eingenommen
wird. Den Schlussstein des Serai bildet gewissermaassen, ob-
gleich ausserhalb seiner Ringmauern gelegen, von dort aber
unmittelbar zugänglich, die Agia Sophia, die Kirche der gött-
lichen Weisheit, auf hohem Bergesrücken gelegen, von allen
Punkten sichtbar, sich im Marmara-Meer spiegelnd. Gegenüber
der Serai-Spit^e liegt am asiatischen Ufer Skutari (Uesküdari),
das alte Chrysopolis, nach Norden, und Kadikjöi, das alte
Chalcedon, nach Süden.
Das Goldene Hom ist eine Einbuchtung des Bosporus,
die in Form des Bornes eines Stieres sich über fünf Viertel
Meilen tief ins Land erstreckt, eine Meile lang das alte Stam-
bul begrenzend, nachher nach seiner Umbiegung die Vorstadt
Ejub trennend von den Depots der Artillerie und Marine und
dem jüdischen Friedhofe, endigend in eine stark gekrümmte
Spitze, wo zwei unversiegbare Bäche Kydaris und Barbyses
(die süssen Wasser von Europa) einströmen.
Das Wasser des Bosporus dringt bei der Serai- Spitze in
einer starken Strömung in den Hafen, welcher das Goldene
Hörn genannt wird, ein und umkreiset dasselbe, es so aus-
spülend, dass nie Flussschlamm sich darin ansammeln kann,
daher immer die gehörige Wassertiefe für die grössten Kauf-
fahrtei- und Kriegsschiffe erhalten wird, die zu vielen Hun-
derten dort eine bequeme, vor allen Stürmen gesicherte Unter-
kunft finden.
101
Auf der anderen Seite des Goldenen Hornes, nach Norden
zu gelegen, aber immer auf der europäischen Seite, liegen die
Vorstädte Galata, darüber auf dem Berge Pe^-a (izipa heisst
jenseits, d. h. jenseits des Hafens) Kassim- Pascha, Hasskjoi
u. s. w. Man kann daher von Pera nach Stambul zu Lande
kommen, indem man das Goldene Hörn umgeht, über die
süssen Wasser von Europa. Leichter ist es freilich von Ga-
lata aus, welches der Serai- Spitze gegenüberliegt, über eine
der beiden Schiffsbrücken (die neue und die alte Hafenbrücke,
jede eine Viertelstunde lang, ähnlich der alten Brücke, welche
Deutz und Köln verbindet) oder über die fast am Ende des
Goldenen Hernes gelegene dritte Brücke den Hafen zu über-
schreiten.
Zwischen der neuen und alten Hafenbrücke ist der Han-
delshafen befindlich, während die Rhede von Galata der Serai-
Spitze vorliegt; hinter der alten Hafenbrücke, nach der Spitze
des Goldenen Homes zu, ist der Kriegshafen mit weitläuftigen
Schiffswerften.
Galata bildet eine eigene, mit Mauern und Thoren um-
gebene Stadt, es ist der Tummelplatz der Matrcfeen, die Resi-
denz der Schiffsmakler und Agenturen, des Zollamts, der
Quarantaine u. s. w. Von Galata aus nach Norden aufwärts
dem Schwarzen Meere zu gelangt man in die Vorstädte
Tophane, Fyndykly, Dolma-Bagtsche (mit dem jetzigen Resi-
denzschlosse des Sultans), Beschick- Tasch mit Tschiragan-
Serai (dahinter die weit ausgedehnten grossherrlichen Lust-
gärten), Ortakjöi u. s. w., wo am europäischen Ufer Ortschaft
an Ortschaft bis zur Mündung des Bosporus sich in ununter-
brochener Folge reiht.
Der Serai- Spitze und dem Zollamte von Galata gegen-
über auf dem asiatischen Ufer des Bosporus steigt nun die
grösste Vorstadt von Konstantinopel Skutari (Uesküdari, das
alte Chrysopolis) mit seinem Zypressenwalde wieder in sieben
getrennten Hügeln den Berg hinan. Zwischen Galata und
Skutari befindet sich eine Felseninsel mit dem Leanderthurm.
Dann folgen von Skutari aus nach dem Marmara-Meere zu in
der Ebene am Meere gelegen die Exerzierplätze, Kasernen,
das grosse militärische Lazareth, die Vorstadt Haider-Pascha,
102
das ganz modernisirte Kadikjöi mit hohen steinernen Häusern
am prachtvollen Meeres- Quai entlang dem Strande des Mar-
mara- Meeres, den Prinzen -Inseln gegenüber.
Konstantinopel mit allen seinen Vorstädten und dazu ge-
hörigen Ortschaften hat sicherlich eine Einwohnerzahl von
über eine Million. Der Verkehr von Stambul mit allen am
Bosporus auf seinen beiden Ufern gelegenen Ortschaften wird
durch ein halbes Hundert Dampfschiffe bewirkt, die von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang regelmässig nach dem
Fahrplan von der neuen Hafenbrücke aus fahren. Die Schiffe
sind erkennbar durch kolossale, auf hohen Stangen befestigte
Nummern, sonst würde man sich gar nicht zurechtfinden in
diesem Gewirre. Die Stunden auf dem Fahrplan sind aber
nach türkischer Zeit angegeben, wo der Tag mit Sonnenunter-
gang beginnt, so dass man also seine Uhr auf zwölf stellen
muss; sonst wird der Tag von einem Sonnenuntergang bis
zum nächsten in zweimal zwölf Stunden eingetheilt. Da sich
die Zeit des Sonnenunterganges ändert, ist man gezwungen,
seine Uhr täglich zu stellen. Ausserdem giebt es zahllose
Kaiks (lange,! schmale Boote mit einer Vertiefung in der
Mitte, worüber ein Teppich gebreitet ist für die Passagiere),
welche den Lokalverkehr unterhalten: man schätzt die Anzahl
der auf dem Bosporus kursirenden Mieths- und Privat -Kaiks
auf achtzig Tausend.
Konstantinopel hat nach London, Liverpool, Antwerpen
und Hamburg sicherlich den grössten Schiffsverkehr in Europa,
ein Masten wald entwickelt sich vor den erstaunten Blicken auf
der Rhode und im Goldenen Hörn, das sein Beiwort erhalten
hat von dem Ueberfluss an Waaren, die seit dem grauen Alter-
thum hier verschifft wurden. Konstantinopel ist die belieb-
teste Skala (echelle oder Landungsplatz) des Orients.
Die orientalische Frage wäre viel weniger schwer lösbar,
wenn es sich blos um eine Theilung des türkischen Gebiets
handelte; Konstantinopel ist aber untheilbar. Es hat die be-
günstigste Lage für eine Haupt- und Residenzstadt auf der
ganzen Erdkugel, es wird daher dereinst das Zentrum der
Universalmonarchie werden, welche alle Erdtheile umfassen
soll, so dass ein Hirt und eine Heerde alle Völker vereint.
103
Keine Stadt ist leichter zu verproviantiren als Konstantinopel,
es kann sich den Ueberfluss einer fruchtbaren Küstenentwicke-
lung von Hunderten von Meilen an zwei Meeren, welche die
grösste Mannigfaltigkeit der Produktion aufweisen, in wenigen
Tagen, selbst Stunden, aneignen, seitdem die Dampfschifffahrt
im Gange ist. Keine Position ist leichter zu befestigen und
zu vertheidigen, als die von Konstantinopel. Vom Schwarzen
Meere aus ist eine über drei Meilen lange schmale Meerenge
zu passiren; vom Mittelmeere aus die enge Strasse der Dar-
danellen. Ebenso geschützt ist es von der Landseite durch
das unübersteigliche Balkan-Gebirge im Rücken, das eigentlich
nur durch zwei leicht zu vertheidigende Pässe für eine Armee
zu überschreiten ist. Konstantinopel liegt an den Grenzen
von drei Erdtheilen, sein Klima ist mild, seine Lage macht es
zu den gesundesten Aufenthaltsorten für Menschen, durch seine
Scenerie ist es der bevorzugteste Ort auf dieser Erde.
35. Die Moscheen.
Der erste Gegenstand, welcher die Aufmerksamkeit eines
' Reisenden in der Fremde auf sich zieht, sind d5e der Gottes-
verehrung gewidmeten Gebäude. In ihnen ist der Geist des
Volkes plastisch dargestellt, zugleich die ganze Innerlichkeit
des Volkes nach aussen gekehrt und die Stufe der Gesittung
und Bildung, auf welcher sich das Volk befindet', bezeichnet.
Der Reisende, welcher nach der Türkei kommt, sieht sich zu-
erst nach den Moscheen um: mein erster Ausflug in Konstan-
tinopel war nach der Moschee gerichtet, welche dem andern
Ende der neuen Hafenbrücke, die Galata mit Stambul ver-
bindet, gegenüber liegt. Es war dies die Dscheni Dschami,
d. h. die neue Moschee, welche von der Sultanin Valide, der
Mutter des jetzigen Sultans, erbaut ist. Die Moschee war von
Andächtigen umlagert, die vor ihrem Eintritt in das Heilig-
thum sich durch Waschungen säuberten. Ein gutmüthiger
Türke erkannte in mir den Fremden, der mit den Gebräuchen
des Islam unbekannt war. Er bedeutete mir, die Stiefel aus-
zuziehen, und auf den Strümpfen einzugehen; half mir dfen
schweren, doppelten Vorhang bei Seite legen, welcher ge-
wissermaassen die Stelle der Hauptthür vertritt, um jedes
104
Geräusch zu vermeiden. Es war fast UnbesonneDheit von
meiner Seite, als Giaur (Ungläubiger) die Moschee ohne be-
sondere Autorisation zu betreten. Man bedeutete mir später
auf der Gesandtschaft, dass ich mich dabei jeder Misshand-
lung ausgesetzt hätte, wofür man keinerlei Genugthuung hätte
fordern dürfen, indem noch damals der Besuch einer Moschee
jedem Ungläubigen streng untei-sagt war.
Der Eindruck, den ich beim Eintritte in diese hohen
Räume empfing, war überwältigend. So wie man die Schwelle
überschritten hat, befindet man sich fast unter der erhabenen
Kuppel, doch davon werden wir später bei Gelegenheit der
Agia Sophia reden, welche als Muster bei dem Bau aller
grossen Moscheen zu Konstantinopel zu Grunde gelegt worden
ist. Vorerst wollen wir zum besseren Verständniss der folgen-
den Beschreibungen uns mit den Moscheen im Allgemeinen
beschäftigen.
Die Grundform einer Moschee ist das Viereck. Ursprüng-
lich bestand eine Moschee aus einem viereckigen oben offenen
Hofe, umgeben von überdachten Säulengängen.
In jeder Moschee befindet sich in der Direktion nach
Mekka l)der Mihrab, d. h. eine in der Mauer angebraclite Nische,
in grossen Moscheen oft verziert mit Säulen von kostbarem
Marmor, aber nie Gemälde oder Bildwerke enthaltend, welche
überhaupt von den Moscheen ausgeschlossen sind. Es hat
der Mihrab die Bedeutung des Hauptaltars unserer christlichen
Kirchen. Neben dem Mihrab ist 2) der Minber, eine Kanzel
zum Predigen, überragt von einem pyramidalen oder kegel-
förmigen Schalldeckel. Auf diesen Minber führt eine steil an-
steigende Treppe, oft mit einem verzierten Geländer geschmückt.
Vom Minber wird an hohen Feiertagen das Gebet für den
Sultan verlesen.
Auf der anderen Seite der Mihrab, dem Minber gegenüber,
ist 3) die Maksoura, ein umschlossener erhöhter Chor für den
Sultan, welcher den Gläubigen das gute Beispiel giebt und
wenigstens jeden Freitag mit Pomp eine der grossen Moscheen
besucht. Zu den mannigfachen religiösen Verpflichtungen,
welche dem Sultan obliegen, gehört auch die, während seiner
Regierungszeit einmal den ganzen Koran mit eigener Hand
abzuschreiben, welche Abschrift später wie ein Heiligthum in
seinem Begräbnisstempel (Turbe) aufbewahrt wird, welcher
Turbe sich neben der von ihm erbauten Moschee befinden
soll. Es liegt nämlich eigentlich jedem Sultan ob, eine neue
Moschee zu bauen, welche Pflicht freilich von den letzten Sul-
tanen häufig unerfüllt geblieben ist.
Vor dem Mihrab ist oft noch 4) eine Art Erhöhung
(Tribüne), Kliout balli genannt, angebracht, wo der Iman sein
Gebet verrichtet, und 5) der Mahfil, eine Terrasse von massi-
ger Erhöhung für die Koran -Vorleser und Erklärer. Ausser-
dem bemerkt man 6) eine viereckige erhöhete Plattform, Ma-
stalah genannt, von wo die Ausrufer zum Gebete einladen.
Der Gottesdienst der Moslemin besteht mehr in frommen
Gebeten der Gläubigen, als in Zeremonien der Priester, er ist
frei von äusserlichen Ueberschwenglichkeiten. Ebenso ist die
Predigt einfach, sie beschränkt sich auf Vorlesung und Erklä-
rung einzelner Kapitel (Suren) des Korans. Das weibliche Ge-
schlecht ist vom Besuch der Moscheen ausgeschlossen.
Der Fussboden der Moscheen ist im Sommer mit gefloch-
tenen Strohmatten, im Winter mit gewirkten Teppichen belegt.
Bänke und Tische fehlen, der Totaleindruck und die Ueber-
sichtlichkeit des harmonisch gegliederten Baues wird dadurch
weder geschwächt noch gestört. Eine eigenthümliche Dekora-
tion bietet der Erleuchtungsapparat, welcher in den grossen
Moscheen aus Kry stall- und Glaskronen , zahllosen Laternen
und I^ampen, vielfach aus ausgehöhlten Strausseneiern besteht.
Bei festlichen Gelegenheiten, z. B. dem Bairamsfeste, werden
die Moscheen und Minarehs glänzend erleuchtet, was einen
magischen Effekt hervorbringen soll.
Um die Moschee befindet sich gewöhnlich ein Hof mit
überdachten Säulengängen, auf dem Hofe sind Brunnen ange-
bracht für die Abwaschungen, gewöhnlich auch um die Moschee
Wasserbehälter mit Hähnen, wo die Gläubigen vor dem Gebet
ihre Reinigungen vornehmen.
Getrennt von der Moschee sind die Minarehs, wie in
Italien die Glockenthürme (Campanili) von den Kirchen. Nur
den kaiserlichen Moscheen sind vier Minarehs gestattet, an
jeder Ecke einer. Eine einzige Moschee, die Achmedieh in
Konstantinopel, hat deren sechs, die Kaaba in Mekka jedoch
deren sieben (das non plus ultra). Die Minarehs sind schlanke
106
weisse Thürme mit zwei oder mehr Etagen, auswendig mit
kreisförmigen Gallerien umgeben, von wo die Ausrufer (Muezzin)
die Gläubigen mit kreischender Stimme zum Gebete rufen.
Der Minareh ist gewöhnlich gekrönt mit einem kegelförmig
spitz zugehenden Schieferdache, so dass ein Minareh das An-
sehen eines Leuchters mit einem darauf gesteckten Lichtaus-
löscher gewinnt.
Die grossen Moscheen sind gewöhnlich mit einem Platze
umgeben, der mit Bäumen bepflanzt ist, sie liegen im Grünen.
In den Bereich der Moschee gehören die Amtswohnungen der
Ulemas, Imans und der geistlichen Unterbedienten (Teppich-
ausbreiter, Lampenanzünder u. s. w.); ausserdem Khans (zur
Aufnahme von Reisenden), Medresses (Parochialschulen), Bi-
bliotheken, Imarets (Zufluchtsstätten für Obdachlose, Nacht-
herbergen), Volksküchen, öffentliche Bäder, Springbrunnen u. s. w.
Jeder Sultan hat neben der von ihm gebauten Moschee sein
Erbbegräbniss (Turbe), wo er, seine Frauen, Kinder u. s. w.
ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Deswegen sind die
Turbes oft mit kleinen Kirchhöfen umgeben, die aus reizenden
Rosengärten bestehen. Man macht in Konstantinopel Parade
mit Begräbnissstätten, ausgeschmückten Särgen, Leichensteinen,
Grabdenkmälern und umgiebt sie mit heiteren Einfassungen,
um dem Tode seine Schrecken zu nehmen. Wenn auch nicht
jeder Grossherr die Mittel besessen oder aufgewendet hat, eine
Moschee zu bauen, so hat er doch wenigstens einen Turbe
gestiftet. Am Katafalk des Stifters ist am Kopfende ein
Turban, am Fussende eine ungeheure Kerze angebracht. Ein
solcher Katafalk hat kolossale Dimensionen und ist oft mit
kostbaren Gewändern überdeckt, die nicht selten mit werthvollen
Edelsteinen verziert sind.
Die Moscheen pflegen reich dotirt zu sein durch Schen-
kungen und Vermächtnisse. Von ihren Einkünften werden die
Ausgaben für die mit der Moschee verbundenen Wohlthätig-
keits- Anstalten (als da sind für Reisende, Arme, Kranke,
Obdachlose u. s. w.), Unterrichtsanstalten (Schulen, Bibliothe-
ken) bestritten.
Zugleich dienen die Moscheen zur Aufbewahrung und
Sicherstellung von Werthsachen, Schätzen u. s. w. Z. B. wenn
ein Muselmann verreist, vertraut er seine Kostbarkeiten der
107
Moschee an und erhält sie unangetastet zurück. Die Moscheen
ersetzen unsere gerichtlichen Depositorien; ihre Priester ver-
walten das Vermögen der Minorennen, daher von den Geist-
liehen verlangt wird, dass sie rechtskundig sind. In den Höfen
der Moscheen sieht man Waarenballen, Kisten, Reisekoffer u. s. w.
aufgestapelt, die dort unbewacht und aufsichtslos sich unan-
gefochten und ungefährdet in voller Sicherheit befinden.
Ausser den grossen Moscheen, welche Dschami (Versamm-
lungshäuser) heissen, giebt es eine Unzahl Bethäuser, Mesdjid,
woraus die Spanier Mesquida, die Italiener Mesquita gemacht
haben, die Franzosen Mosquee, die in allen Stadtvierteln von
Konstantinopel zerstreut liegen.
36. Die Agia Sophia.
Es giebt vielleicht kaum ein Gebäude auf der ganzen
Erde, das geeignet wäre, eine solche Theilnahme in Anspruch
zu nehmen, als die frühere christliche Metropolitankirche,
jetzige Moschee Agia Sophia in Konstantinopel. Es ist viel-
leicht das älteste und zugleich das schönste Gebäude auf der
Erde, zugleich knüpfen sich daran die bedeutungsvollsten hi-
storischen Erinnerungen. Die Agia Sophia liegt auf einer
Anhöhe, sie ist von allen Seiten weithin ersichtlich. Der auf
ihrer Kuppel angebrachte vergoldete Halbmond, welchem das
christliche Kreuz hat weichen müssen, spiegelt sich in zwei
Meeren (dem Marmara-Meer und dem Bosporus).
Berichterstatter war mit einem grossherrlichen Ferman
versehen, es war ihm dadurch volle Freiheit gewährt, die Agia
Sophia in allen ihren Theilen zu besichtigen, auch selbst wäh-
rend der Gebetsstunden. Nach einigen historischen Bemer-
kungen, die für das weitere Verständniss vorauszuschicken er
für nothwendig erachtet, wird er seine eigenen Wahrnehmun-
gen mittheilen.
Kaiser Konstantin , welcher Konstantinopel zur Haupt-
und Residenzstadt des oströmischen Reiches erwählte, hatte
dort im Jahre 325 der ewigen göttlichen Weisheit (oocpta) eine
christliche Kirche erbauet, welche im Jahre 532 in Folge
eines Aufstandes (des Nike -Aufstandes) zerstört wurde. Die
Christen in Konstantinopel erkannten bald mit Bedauern, wie
108
verderblich die Folgen blinder Leidenschaft sind. Der Kaiser
Justinian beschloss daher den schleunigen Wiederaufbau des
zerstörten Gotteshauses. Er fasste den Vorsatz, eine Kirche
zu bauen, welche würdig sei, die erste der Christenheit ge-
nannt zu werden. Er beauftragte daher den bedeutendsten
Architekten seiner Zeit, Anthemios, mit der Anfertigung des
Bauplanes, und 40 Jahre nach dem Brande, am 23. Februar
532, wurde der Grundstein zum Neubau gelegt.
Alle Behörden der Provinzen erhielten den Befehl, an
werthvoUen Materialien herbeizuschaffen, was zu erlangen war.
Die heidnischen Tempel in Griechenland und Kleinasien wurden
geplündert, um die Kirche der Sophia zu schmücken. i
Alle verfügbaren Einkünfte des weitläuftigen Reiches wur- ;
den auf den Bau verwendet, und sogar neue Taxen auferlegt, |
um die enormen Kosten zu bestreiten. Der Kaiser Justinian
besuchte selbst täglich den Bau, um die Arbeiter anzufeuern
und das Werk durch Lob und Tadel zu fördera. Auf diese
Weise gelang es, mit mehr als 10,000 Arbeitern, die Tag und
Nacht sich ablöseten, den grossen Bau mit aller seiner Pracht
in fünf Jahren elf Monaten und zehn Tagen vom Tage der
Grundsteinlegung an wiederherzustellen. Die Einweihung erfolgte
am 26. Dezember 537. Aber schon 22 Jahre später stürzte in
Folge eines Erdbebens der östliche Theil der Kuppel ein.
Justinian schritt sofort zur Wiederherstellung, er liess die
Widerlagen verstärken, die Kuppel selbst um 25 Fuss höher
aufführen und die innere Pracht erneuern. Am 24. Dezember
563 wurde die Kirche von Neuem eingeweiht. Als der Kaiser
darin einzog, rief er aus: „Gepriesen sei Gott, ich habe dich
besiegt, Salomo." Justinian hatte Feuersicherheit seinen Bau-
meistern zur ersten Bedingung gemacht, und die konsequent
durchgeführten Gewölbe -Konstruktionen haben ddn Bau gegen
die so häufigen Feuersbrünste in Konstantinopel gesichert..
Wenn man die vielen und heftigen Erderschütterungen
in Betracht zieht, welche im Verlauf von dreizehn Hundert
Jahren Konstantinopel mit ihren zerstörenden Wirkungen heim-
gesucht haben, so erscheint es als ein Wunder, dass die Sophia -
mit ihren gewagten Konstruktionen alle diese Stürme über-
dauert und in diesem langen Zeiträume nur wenig Hauptre-
paraturen erfordert hat.
109
Am 29. Mai 1453 nahmen die Türken Konstantinopel mit
Sturm. Mohammed IL hielt gegen Mittag seinen Einzug in
die eroberte Stadt. Er ritt gerade zur grossen Kirche hin,
welche auch auf ihn die grösste Anziehungskraft übte, wie
noch heute auf jeden Reisenden. Er sprang vom Pferde und
ging in die Kirche zu Fuss. Bewundernd schaute er die 107
Säulen aus Porphyr, Granit, Serpentin, vielfarbigem Marmor
(rosenfarbig gestreiftem, grünem von Lakonien, blauem von
Lybien, schwarzem celtischen, weissem bosporischen) und
saitischem Porphyr: darunter die acht Porphyrsäulen aus dem
Sonnentempel zu Baalbeck (Palmyra), die sechs grünen Mar-
morsäulen (verde antico) aus dem Dianentempel zu Ephesus,
die Säulen aus dem Tempel des Zeus zu Cyzikus, aus den
Tempeln von Alexandria, Athen und den griechischen Inseln,
wie wir sie noch heute bewundern. Mit Erstaunen hing sein
Blick an den luftigen Gallerien und Gewölben, an den kolossa-
len Bildern der Evangelisten und Apostel, der Jungfrau und
des Kreuzes mit den Worten: „In diesem siege!" Alles war
und ist Mosaik von farbigen und vergoldeten an einander ge-
fügten Glaswürfeln. Je höher sein Blick stieg, desto grösser
war sein Erstaunen, bis er im kühnen Fluge des Baumeisters
mit der so niedrig gewölbten Kuppel hoch in den Lüften
schwebte.
Mohammed IL war tief ergriffen; er befahl, das Gebäude
zu verschonen. Die prophetische Inschrift auf den kreide-
weissen, auf Rhodus gebrannten Ziegeln: „Gott hat sie ge-
gründet, und sie wird nicht erschüttert werden, Gott wird ihr
beistehen im Morgenroth", ging nun, soweit sie die Erhaltung
des Gebäudes durch den östlichen Eroberer betraf, in Erfül-
lung. Mohammed liess einen seiner Gebetausrufer von der
Estrade vor dem Heiligsten zum Gebet und zum Bekenntniss
des Islam auffordern, und verrichtete zuerst als Nachfolger
des Propheten das Gebet auf dem Hochaltare. Wie die grie-
chischen Kaiser ihre Triumph -Züge mit Gebet in der Agia
Sophia beschlossen, begann Mohammed die Besitzergreifung
der Stadt durch Gebet auf dem Hochaltare. Noch heute be-
steigt hier am Freitag beim Gebet der Priester den Minber
(die Kanzel) mit einem blanken Säbel in der einen Hand, um
die Besitzergreifung mit dem Schwerte zu konstatiren.
1
110
Der christliche Tempel der göttlichen Weisheit wurde
fortan in eine Moschee umgewandelt. Die prachtvollen Male-
reien aus Mosaik, darstellend Scenen aus der heiligen christ-
lichen Geschichte, wurden mit Kalk übertüncht und unkennt-
lich gemacht. Die Aussenseite des Gebäudes wurde entstellt
durch Strebemassen und Stützpfeiler, welche gegen die Um-
fassungsmauern aufgethürmt sind.
Es mag an dieser Stelle eine Legende erwähnt werden,
welche vielen gläubigen Christen noch heute als Wahrheit
gilt. Als die Türken Konstantinopel eroberten, flüchtete eine
Menge Volk in das Heiligthum, um ihr Leben zu retten. Die
Agia Sophia wurde mit Menschen angefüllt und die Thore
wurden geschlossen, von den Türken aber mit Beilen erbrochen,
und das geflüchtete Volk niedergemetzelt oder in die Sklaverei
fortgeführt. Ein Priester feierte am Hochaltare das Mess-
opfer, er wurde in der Mitte des Hochamtes von Soldaten ge-
stört, die mit erhobenen Schwertern auf ihn eindrangen. Er
ergriff die Flucht, es öffnete sich die Mauer der Kirche vor
ihm und schloss sich hinter ihm, er verschw^and. Man glaubte
an einen geheimen Ausgang, eine verdeckte Thür, fand aber
eine dichte undurchdringliche Mauer. Man bezeichnet noch
heute die Stelle, wo der Priester seinen Verfolgern sich ent-
zogen hat. Zuweilen ertönen hier aus der Dicke der Mauer
feierliche Kirchengesänge. Der Priester soll noch leben und
auf den Augenblick warten, wo er seine Zufluchtsstätte ver-
lassen kann, um das unterbrochene Messopfer am Hochaltare
zu vollenden. Mehr als 400 Jahre sind seitdem verflossen,
der Priester harrt noch immer auf seine Erlösung. Dass die*
Agia Sophia indessen bald dem christlichen Bekenntniss zu-
rückgegeben wird, ist eine Ahnung, welche selbst die Musel-
männer erfüllt. Die Gegenstände des christlichen Gottesdienstes,
z. B. das Weihbecken, sind erhalten und unter den Fussboden
. versenkt , von wo sie bald wieder an das Tageslicht zurück-
kommen werden.
In der Agia Sophia befindet sich eine mit Bronze beklei-
dete Marmor -Säule, welche aus Betrübniss der Umwandlung
der christlichen Kirche in eine Moschee an einer bestimmten
Stelle Thränen ausschwitzt. Berichterstatter hat selbst seine
111
Finger in eine kleine in der bronzenen Umhüllung angebrachte
Oeffnung gelegt und in diesen Thränen gebadet.
Im Jahre 1847 ordnete der Sultan Abdul -Medschid die
nothwendige Reparatur der Agia Sophia durch den italieni-
schen Architekten Fossati an. Der Marmorschmuck im Innern
wurde gereinigt und öein früherer Glanz wiederhergestellt; die
goldglänzenden Mosaikflächen wurden von der verhüllenden
Kalkkruste befreit, die fehlenden Stellen durch Blattvergoldung
und Ornamentik in Oelfarbe ergänzt. Die durch den Koran
verbotenen figürlichen Darstellungen überzog man von Neuem
mit einem deckenden Stuk, um sie zukünftigen Geschlechtem
aufzubewahren.
Die zu dieser Reparatur errichteten Baugerüste, welche
bis zu dem höchsten Punkte der Kuppel reichten, boten die
seltene Gelegenheit dar, dieses merkwürdige Gebäude in allen
seinen Theilen und Konstruktionen genau zu untersuchen. Der
hochselige König Friedrich Wilhelm IV. schickte zu diesem
Zweck den Geh. Oberbaurath Salzenberg nach Konstantinopel.
Auf königliche Kosten wurde ein Prachtwerk herausgegeben,
das die Sophia in allen ihren Theilen darstellt.
Trotz der üebertünchung ist oben in der Kuppel nach
Süden die kolossale Figur eines Christus durch das Fernrohr
deutlich erkennbar, wie wir uns selbst durch den Augenschein
davon überzeugt haben, der segnend seine Hände über die
Kirche ausbreitet. Ebenso ist im Fond "der Kuppel eine
griechische Inschrift lesbar: „Gott ist das Licht des Himmels
und der Erde." Sonst sind die wundervollen Mosaikbilder,
von denen wir in dem Werke von Salzenberg saubere Kopien
finden, alle übertüncht. Um die Blossen zu verdecken, sind
grosse grüne runde Tafeln aufgehängt, die mit vergoldeten
Buchstaben Sprüche aus dem Koran enthalten. Ebenso ist,
wie in allen Moscheen, eine solche Tafel aufgehängt, welche
den Namenszug des Sultans in vergoldeter Schrift darstellt.
Eine andere Tafel fiel uns auf, deren Inhalt uns folgender-
maassen übersetzt wurde:
„Es ist mir trotz allen Bemühungen nicht gelungen,
„Euch zur Vernunft zu bringen: wegen der Folgen
„wasche ich meine Hände in Unschuld."
1 12
Diese Tafel rührt vom Sultan Mahmud her, er hat sie
anbringen lassen nach der von ihm angeordneten Niedermetze-
lung der Janitscharen am 15. Juni 1826.
Bei unserem Besuche der Agia Sophia wurden wir von
Imans (Kirchendienern) empfangen, die uns zunächst auf einem
gewundenen chaussirten Wege, der auch für Wagen passirbar
ist, aber noch breiter und bequemer wie die Wendeltreppe im
königlichen Schlosse zu Berlin ist, in die oberen Gallerien,
das frühere Gynaeceum (Frauenchor) führten. Von der Balu-
strade dieses Chors, welches die ganze Kirche umgiebt, hat
man einen herrlichen Ueberblick über das ganze Gebäude.
Die meisten Reisenden müssen sich mit dieser Ansicht be-
gnügen, während es uns gestattet war, die Agia Sophia nach
allen Richtungen in Müsse zu durchwandern.
Die flache Kuppel, welche das Gebäude krönt, hat die
Form eines Kugelsegments, nicht einer Halbkugel, sie scheint
in der Luft zu schweben, indem sie nicht durch Pfeiler ge-
halten, sondern nur von der Umfassungsmauer getragen wird,
an welche sie sich anlehnt. Das Wunder dieser Kuppel be-
steht darin, dass, weil der innere Raum ganz frei ist und die
Säulenreihen nur am Umgänge der Kirche sich hinziehen, man
sogleich, nachdem man die Schwelle des Eingangs überschritten
hat, den Totaleindruck empfängt und unter der Wölbung der
Kuppel zu stehen glaubt.
Alle inneren Wölbungen und Wandflächen der Agia Sophia
sind mit Verzierungen aus farbigen Glasstiften ausgestattet,
wovon nur die Bilder der Heiligen als dem Koran zuwider
mit Kalktünche überzogen sind. Die Markuskirche in Venedig
ist gewissermaassen eine Nachahmung en miniature der Agia
Sophia. Glasflüsse in kräftigen schönen Farben sind in Würfel
von ein und mehreren Quadratlinien Oberfläche gespalten und
werden durch einen festen Kitt zusammengehalten; sie sind
dicht aneinander an den Gewölbflächen befestigt. Die solide
Art der Malerei in Mosaik (musivische Kunst), in deren Her-
stellung die Byzantiner wohl als Lehrmeister gelten können,
ist eine wahrhaft monumentale, auf ewige Dauer berechnete.
Noch heute glänzen die mit Hülfe derselben geschaffenen
Werke in einer Farbenfrische, als ob sie eben aus der Hand
des Künstlers hervorgegangen wären. Nicht der Staub von
di
113
Jahrhunderten, nicht die Kalktünche der Moslim, noch die
Drahtbürste und kaustische Lauge der letzten Restauration
hat ihren Glanz vermindert.
Fenster in übergrosser Zahl sind in den Umfassungs-
mauern rings herum angebracht, auch die Kuppelgewölbe sind
damit versehen. Die Hauptkuppel z. B. ist mit 40 hohen
Fenstern am unteren Kranze durchbrochen, so dass von allen
Seiten Licht in die Kirche strömt, dieselbe in einem Lichtmeere
schwimmt und die Marmorbekleidungen der Wände, sowie der
Mosai'kschmuck der Gewölbe in hellem Glänze strahlen.
Die Grundform des Kreuzes ist in der Agia Sophia er-
kennbar, ist aber in Widerstreit mit der sonstigen Anordnung
der Moscheen, wo die Hauptrichtung nach Mekka festgehalten
wird. Die MihraB, welche dorthin weist, sowie die Gruppirung
des Minber (Kanzel), der Loge für den Sultan und die Paschas,
die schiefe und verquere Richtung, in welcher die Teppiche
ausgebreitet sind u. s. w., stehen in Disparität mit der ursprüng-
lichen Anlage. Dieser Uebelstand findet sich natürlich nicht
in den übrigen grossen Moscheen, z. B. in der Sulimanieh,
welche sonst ganz nach dem Muster der Agia Sophia von den
Türken gebaut sind.
Wir wollen noch einige Merkwürdigkeiten erwähnen, welche
in der Agia Sophia gezeigt werden. Es befindet sich darin
eine Zisterne mit geweihtem Wasser. Ein Block von ausge-
höhltem Marmor soll die Krippe sein, worin das Jesuskind
geboren ist. Sie soll von Bethlehem herstammen, zugleich
mit einem Gefässe, worin das Christuskind von seiner Mutter
gewaschen wurde. Rechts von der Mihrab hängt ein alter ab-
genutzter Teppich, welcher von den Türken als Reliquie ver-
ehrt wird, indem der Prophet Mahomet darauf sich niederzu-
werfen pflegte, um seine Gebete zu verrichten. Es giebt vier
solcher heiligen Teppiche. Man sieht, dass die Mohamedaner
inkonsequent sind, sie verwerfen den Bilderdienst und ver-
ehren dabei Lumpen.
Der Tempel der göttlichen Weisheit war ein Jahrtausend
hindurch der Stolz der Christen des Orients, seit vier Jahr-
hunderten ist er das verehrte Heiligthum des Islam. Die Agia
Sophia war die Hauptkirche des byzantinischen Patriarchats
und der Schauplatz der grössten und heiligsten Staatshand-
8
1.14
lungen, der Krönungen, der Vermählungen und der öÄfent-
lichen Kirchenaufzüge der griechischen Kaiser, sie ist daher für
die Geschichte des byzantinischen Reiches von hoher Bedeu-
tung. Wenig Bauwerke haben einen so weit verbreiteten Ein-
fluss auf die Kunst geübt, als dieser Prachtbau des sechsten
Jahrhunderts, der an Kühnheit der Wölbungen, an Wirkung
und Pracht der inneren Ausschmückung jedes andere Kirchen-
bauwerk übertrifft.
Der Dom des Pantheons zu Rom hat 130 Fuss Durch-
messer, ruht jedoch auf der Erde; die Sophienkuppel hat nur
etwas über 100 Fuss Durchmesser, aber sie schwebt in der
Luft. In St. Peter zu Rom muss man bis unter die Kuppel
vorschreiten, um sie zu schauen, und die Stützflächen betra-
gen die Hälfte des freien Raumes: unter der Eingangspforte
der Sophia überschauet man den grössten Theil des inneren
Raumes, sowie die Kuppel mit einem Blick, und die Stütz-
flächen betragen kaum ein Zehntel des freien Raumes. St, Peter
hat im Schiif nur Ein Stockwerk, das Detail ist ermüdend; die
Sophia ist zweistöckig, ihr Detail ist einfach. Die Sophia er-
scheint gross auf den ersten Blick, die Peterskirche wird es
erst durch Reflexion. Die Marmorbekleidung des Innern der
Sophia ist reicher, als die des Pantheon, und der Mosaikglanz
der Gewölbe überstrahlt weit den von St. Peter.
Der Gesammteindruck, den dieser viel gegliederte Bau auf
den Eintretenden macht, ist der der Grösse, der Erhaben-
heit und Pracht: die Raumentfaltung ist überraschend.
Zuerst eilt der Blick über das weite Schiff, dringt tief in die
Seitenhallen, steigt auf zum Gynaeceum, erhebt sich dann,
von Bogen zu Bogen aufsteigend, bis zum erhabenen Dom,
dessen Christus-Scheitelbild schon von der Schwelle der Mittel-
thür aus ganz sichtbar war und allmälig wieder zum Vorschein
kommt trotz aller muselmännischen Vorkehrungen. Jeder Schritt
vorwärts eröffnet neue Seitenblicke, und die Fülle von glän-
zendem Material, so wie die Harmonie der Verhältnisse er-
wecken in dem Beschauer die Empfindungen des Wohlbehagens
und der Befriedigung. Denkt man sich nun noch die ehe-
malige reiche Ausstattung als christlicher Kirche, den Glanz
von Edelsteinen und Metallen, von kostbaren Gefässen und Ge-
räthen, die reichen Gewänder und eine Unzahl von Ampeln
115
und Kandelabern hinzu, so ist das Entzücken der alten Schrift-
steller bei Beschreibung der Schönheiten der Sophia erklärlich.
Hoffen wir, dass der Tempel der ewigen göttlichen Weisheit
bald seiner ursprünglichen christlichen Bestimmung zurückge-
geben werden wird.
37. Das Serai.
Es ist der Ausdruck Serail uns von unserer Jugend an
geläufig, wir denken dabei an Wunderdinge, welche der Wirk-
lichkeit aber nicht entsprechen. Bei den Türken bedeutet
„Serai" soviel wie „Palast" und vorzugsweise denjenigen des
Sultans oder Padischa Chan, Nachfolgers des Kalifen, des
Stellvertreters des Propheten, des Beherrschers der Gläubigen,
oder wie sonst seine Ehrentitel lauten. Serai ist das
eigentliche Residenzschloss des Sultans. Indessen haben
die letzten Sultane es vorgezogen, ihren gewöhnlichen Aufent-
halt in anderen Lustschlössern zu nehmen, deren sie sich
zahlreiche am Ufer des Bosporus erbaut haben. Der ge-
genwärtige Sultan weilt gewöhnlich in Dolmabadsche, wo er
sich einen wundervollen Palast gebaut hat, der nach dem
Bosporus eine Front von mehreren Hundert Schritten bietet,
in welchem Palast alle modernen Bequemlichkeiten angebracht
sind, z. B. eine eigene Gasanstalt, die allein für den auf der
Pariser Ausstellung (1867) angekauften kolossalen Kronleuch-
ter zehn Tausend Flammen liefert, üebrigens sind die Sul-
tane unermüdlich im Bau neuer Lustschlösser und Pavillons
und verschwenden dafür grosse Summen. Nach einem türki-
schen Sprichworte stirbt man nämlich so lange nicht, als man
noch an seinem Hause baut. Diesen Aberglauben ihrer Sul-
tane müssen die Türken theuer bezahlen.
Unter dem Serai oder Schloss des Sultans muss man sich
nun nicht ein grosses Residenzschloss vorstellen, wie beispiels-
weise das Berliner. Das Schloss zu Konstantinopel ist viel-
mehr ein Aggregat von niedrigen Häusern, Kiosks, weitläufti-
gen, mit hohen Platanen u. s. w. bewachsenen Höfen, einge-
schlossenen Gärten, welches das Areal einer gewöhnlichen mitt-
leren Stadt von der Grösse wie z. B. Lissa bedeckt. Das Serai
wird von einer mit Schiessscharten versehenen hohen Mauer
8*
116
eingeschlossen und besteht im Wesentlichen aus drei von ein-
ander wieder durch Mauern getrennten Höfen, welche durch
hohe Eingangsthore verbunden sind.
Das Serai* liegt auf dem Abhänge eines Hügels, der auf
der östlichen Seite vom Goldenen Home, auf der westlichen
vom Marmara-Meer bespült wird, dessen Wellen sich hier
brechen und hochaufschäumen an einem gepflasterten Ufer-
damme, der von der Umfassungsmauer des Serai einige Schritte
lang nach dem Meere abfällt. In der Umfassungsmauer sind
vielfach Thüren angebracht, um den Ausgang nach dem Meere
zu gestatten. Die Ansicht des Serai* von der See ist wunder-
voll. Die vergoldeten Kuppeln der zahlreichen Kiosks, welche
namentlich nach dem Meere zu liegen, die hohen Zypressen
und gewaltigen hundertjährigen Platanen, die auf den Höhen
wachsen, stellen ein anmuthiges Bild zusammen.
Vor der hohen Eingangspforte von der Strasse aus ist
eine Hauptwache, wo wir uns melden und unseren Ferman
niederlegen mussten, der uns die Erlaubniss der Besichtigung
gewährte. Es wurde uns ein Ordonnanzoffizier zugeordnet,
der uns fortan unter seinen Schutz nahm. Auf sein Geheiss
wurde ein kolossales Schlüsselbund in Bewegung gesetzt, um
das hohe Thor zu öifnen.
Wir hielten unseren Einzug in die weitläuftigen Bauten
der kaiserlichen Residenz. Wir wurden indessen nur in wenig
Häuser geführt, nur in die Staats- und Empfangszimmer des
Sultans, seine Bibliothek, sein Museum, seine Waffensammlung,
seine Kiosks und Gartenanlagen, während selbstverständlich
die Familienwohnungen, die Badehäuser u. s. w. für Frenjde
unzugänglich sind. Man zeigte uns von aussen den Palast
des verstorbenen Sultans und unten nach dem Meere zu die
Residenz der pensionirten Sultaninnen. Dagegen öffnete man
uns verschiedene Kiosks, um uns die wundervolle Aussicht auf
das Marmara-Meer und die asiatische Küste bewundern zu
lassen. Es wird wohl keine fürstliche Residenz geben, wo dem
Genüsse einer schönen Natur so Rechnung 'getragen ist, wie
in dem Serai* zu Konstantinopel.
Heiter ist der Anblick nach aussen, unheimlich nach
innen. Man wird erschreckt durch die düsteren Gesichter der
schwarzen und weissen Leibwachen und Wächter (Eunuchen),
117
die sich zu Hunderten auf den Höfen herumtreiben; es treten
einem vor die Seele die Schatten der hier Gemordeten, wäh=r
rend die Erinnerung an die hier verübten Gräuelthaten mächtig
auf uns einstürmt. So gewahrt man schon im ersten Vor-
hofe einen ungeheuren, umgekehrten steinernen Mörser, in
welchem sonst die Ulemas (d. h. die rechts- und gesetzkundi-
gen Geistlichen), die das Leben verwirkt hatten, zu Tode ge-
stampft wurden.
Beim Eintritt in die Staatszimmer müssen wir unsere
Stiefeln ausziehen, indem es nicht gestattet irt, ein Gotteshaus
oder die kaiserlichen Gemächer mit dem Staub an den Füssen
zu betreten, den man von der Strasse aus mitgebracht hat.
Es soll auch wohl das geschmackvolle Parquet von kostbaren
Holzarten geschont werden, das in den Staatsgemächern überall
ausgelegt ist. Die beiden Damen, zwei östreichische Majors-
frauen aus Siebenbürgen, die mit ihren Männern sich unserer
Gesellschaft angeschlossen hatten, waren erstaunt über die
prachtvollen venetianischen Spiegel aus einem Stück, worin sie
sich von Kopf bis zu Fuss beschauen konnten, noch mehr aber
über die Sauberkeit und Ordnung, welche überall herrschte,
sowie über die Sorgfalt, womit die Möbeln vor Sonne und
Staub geschützt werden. Dagegen fällt es uns auf, dass alle
Gemächer klein ^ und niedrig sind, nirgends hohe weite Pracht-
gemächer, wie wir sie z. B. im neuen Palais zu Potsdam oder
in anderen europäischen Residenzen bewundern. Das hat aber
seinen guten Grund. Hoffeste und Gesellschaften sind am
grossherrlichen Hofe in Konstantinopel gänzlich unbekannt,
dafür wären auch die Lokalitäten des Serai ganz ungeeignet.
Zu den Sehenswürdigkeiten, welche den Fremden gezeigt
werden, gehört der Kiosk von Bagdad. Er ist von Mahmud IV.
gebaut worden zum Andenken an die Eroberung von Bagdad.
Er gewährt eine unvergleichliche Aussicht. Wir traten hinaus
auf eine Terrasse, unter uns rauschten die Fluthen des Weissen
Meeres, die Hügel und Paläste von Pera lagen uns links ge-
genüber, rechts der Zypressenwald von Skutari, vor uns öffnete
der Bosporus eine Fernsicht bis nach Beilerbey. Innen be-
sahen wir die kunstvollen Mosaiks, die Rüstkammer und ein
Wasserbassin von Marmor. Unser Staunen erregten die präch-
tigen mit Perlmutter ausgelegten Thüren.
118
Dann wurden wir in den Kiosk des Sultans Achmed III.
geführt, von dort in die Privatbibliothek des Sultans, wo ein
Teppich ausgebreitet war, in den die Bilder der letzten Sultane
eingewirkt waren. Es ist dies eine Anomalie, wie überhaupt
sich der Sultan auf der abschüssigen Bahn der Neuerungen
befindet. Es kontrastiren dazu einige in den Prachtgemächern
aufgestellte landschaftliche Oelbilder, ohne menschliche Bele-
bung, weil eigentlich der Islam jede bildliche Darstellung von
Personen verbietet, während anderseits der Sultan und seine
Angehörigen sich gegenwärtig alle Monate von AbduUa in der
grossen Strasse von Pera photograpliiren lassen. Nichts als
Widersprüche !
In dem Bibliothekzimmer des Sultans, das uns durch seine
geschmackvolle elegante Einrichtung imponirte, konnten wir
uns gemüthlich auf bequemen Sesseln niederlassen, um uns
mit Müsse umzuschauen. Wir nahmen das französische Buch
in die Hand, worin der Sultan den Tag vorher geblättert hatte,
das aufgeschlagen geblieben war. Es behandelte dasselbe eine
solche medizinische Spezialität, dass wir uns gemüssigt sahen,
den Titel der Sonderbarkeit wegen zu notiren. Wir sahen
kostbare Prachtwerke in den Sprachen des Orients auf Metall-
papier geschrieben und mit reichen Goldverzierungen über-
laden, sonderbarer Weise aber mit dem Schnitt nach vorn
aufgestellt.
Ein entsetzlicher Schrei von benachbarten Minarehs unter-
brach unsere bibliographischen Studien. Die Stunde des Ge-
bets wurde verkündet, unsere türkische Begleitung warf sich
auf die Erde nieder und vollzog seine Verbeugungen. Das-
selbe geschah von der gläubigen kaiserlichen Dienerschaft auf
den Höfen, die sich dort sonst einem süssen Nichtsthun hin-
zugeben schien; es ist dies übrigens eine unheimliche Gesell-
schaft: willenlose Werkzeuge in der Hand ihres Grossherm.
Das Geschrei der Muezzin ist so kreischend, dass sie sich
selbst die Ohren verstopfen, um einander nicht zu hören.
Wir wurden in den Grossherrlichen Thronsaal geführt, der
als Audienzsaal bei feierlichen Anlässen dient und früher vor-
zugsweise zum Empfang der Gesandten bestimmt war.
Es war den Gesandten jedoch nicht gestattet, sich den
Stufen des Thrones selbst zu nahen und dem allerhöchsten
L\
119
Hen*scher ins Gesicht zu schauen, der, nachlässig auf seinem
gelben Schlafsopha hingestreckt, nur sich gegen seinen Gross-
vezier wandte und durch dessen Vermittelung die von den
Dollmetschem übersetzten Huldigungen der Gesandten entge-
gennahm. Die mit einer Audienz begnadigten Personen mussten
in den vergitterten Verschlag eintreten, welcher noch heute
einen grossen Theil des Thronsaals einnimmt. Vorher hatten
sie in einer besonders dazu hergerichteten Abtheilung des
Schlosses, die man uns ebenfalls zeigte, türkisches Kostüm
anlegen müssen und waren dort auf türkische Weise gespeiset
worden. Die europäischen Gesandten haben längst gegen eine
solche Insolenz protestirt und lassen sich jetzt in ihrer eige-
nen Landestracht vorstellen, ohne zu antichambriren. Der
Sultan, weit davon entfernt, die europäischen Gesandten zu
maassregeln, steht vielmehr jetzt unter ihrer Vormundschaft
und fügt sich ihren Launen. Die Diplomaten in Konstantinopel
bilden ein Regentschaftskollegium, das den Sultan überwacht,
der seine Selbstständigkeit eingebüsst hat. Wir promeniren im
Thronsaal und überzeugen uns, dass man aus den Fenstern des
Palastes Alles sehen kann, ohne von aussen selbst erkannt zu
werden, nämlich durch die mit Oeffnungen versehenen Jalousien,
womit die Fenster verhängt sind. So sollen die türkischen Damen,
mit Pariser Operngläsern bewaffnet, das auswärtige Treiben
verfolgen, ohne sich selbst neugierigen Blicken bloszustellen
und die Eifersucht ihres Gebieters zu reizep.
Ueberraschend ist der Thronsaal durch seinen kleinen
Umfang, seine Unregelmässigkeit und das geringe Licht, das
ihm nur durch Ein Fenster zukommt. Der Thron, eine Art
Schlafsopha mit gelber Seide überzogen, steht unter einem
Baldachin, der von vier kleinen silbernen kostbaren Säulen
gestützt wird. Nur die beiden vorderen Säulen erhalten so
viel Licht, dass man die Menge geschmacklos eingelegter Edel-
steine und Perlen bewundern kann; die beiden anderen ver-
lieren sich geradezu im Dunkeln, wie der Thron selbst. Die
Ehrerbietung, womit die uns begleitenden Türken vor diesem
Herrschersitz standen, glich einer abgöttischen Andacht oder
dem Gefühl armer Sünder. Mit Recht, denn die zweite den
Stufen gegenüberstehende Thür ist von grausenerregender Be-
deutung, sie enthält eine Vorrichtung zur Erdrosselung. Sobald
120
die Ungnade des Sultans von dem düsteren Throne herab über
einen Pascha ausgesprochen war, blieben dem Unglücklichen
nur noch zwei Schritte zu thun übrig bis an jene Thür; so-
bald mit dem dritten die Schwelle überschritten war, fühlte
er schon seinen Hals in der seidenen Schnur, die seinem Leben
ein Ende machte. Thron und Henkerstätte sind hier neben-
einander, ganz im Geiste der älteren türkischen Geschichte,
die nur von Thronbesteigungen und Thronentsetzungen, von
Gnade und Ungnade des Grossherrn, vom blutigen Schwerte
der Erobeining und Hinrichtung meldet.
Nach dem Besuch des Thronsaals, der uns eher traurig
als heiter gestimmt hatte, kehrten wir in die freie frische
Meeresluft zurück.
Nachdem wir uns in den weitläuftigen Höfen umgesehen
und die hundertjährigen Platanen, deren eine so umfangreich
ist, dass zehn Männer ihren Stamm nicht umspannen, ange-
staunt haben, nähern wir uns der Porta Kapussu. Auf den
Spitzen dieser hohen Pforte, denn hier ist Alles hohe Pforte,
wurden die Köpfe der Hochverräther und Majestätsbeleidiger
zum abschreckenden Beispiel aufgespiesst , um die Beschauer
anzugrinsen.
Es wurde uns die Waffensammlung aufgeschlossen , wozu
die frühere Irenenkirche umgewandelt worden ist. Neu war
uns die Deckendekoration. Zur Raumersparung sind nämlich
auch die gewölbten Decken dazu verwendet worden, viele Tau-
sende von Gewehren anzubringen, welche so befestigt sind,
dass sie in senkrechter Richtung dem aufwärts gewandten
Blicke des Beschauers entgegenstarren; selbst die Kuppel ist
so benutzt worden. Ausser älteren Waffen gewahrten wir hier
einen reichen Vorrath von Hinterladungsgewehren. Es "fielen
uns die vielen Säbel, namentlich Kavalleriesäbel, auf. Eigen-
thümlich ist der wunderthätige Brunnen in der Mitte der
Kirche. Einen schauerlichen Eindruck machten die mit Blut
getränkten, mit dem christlichen Kreuze gezierten Fahnen,
welche den Bewohnern von Montenegro vor fünf Jahren abge-
nommen worden sind; eine andere Fahne zeigte noch ganz
frische Blutflecke, sie war vor einigen Monaten einer insurrek-
tionellen Bande in Bulgarien entrissen worden.
121
Jetzt ging es ins Museum. Wir unterstellen dem Aus-
drucke Museum gewöhnlich eine andere Bedeutung, wie die
Türken es zu thun scheinen. Wir verstehen unter „Museum"
eine nach gewissen Prinzipien wohl geordnete Sammlung von
Kunstschätzen oder Naturkörpern, seien es Gemäldegallerien
(Pinakothek), Sammlungen von Statuen u. s. w., reden auch von
einem egyptischen oder zoologischen, anatomischen u. s. w.
Museum. In dem bei dem Sera'i befindlichen grossherrlichen
Museum ist Alles durcheinander, z. B. ein kolossales Medusen-
haupt in Marmor, eine in Staub zerfallende egyptische Mumie,
die Glocke der früheren Irenenkirche, eine kolossale Pauke
der weiland Janitscharen-Musik, ein Glied der eisernen Kette,
welche die Griechen über den Bosporus von Galata nach dem
Goldenen Hörn gespannt hatten, um die Einfahrt Mahmud des
Zweiten im Jahre 1453 zu verhindern u. s. w.
Der Besuch des Serai hat mancherlei Gefühle in uns er-
weckt. Wir dachten zunächst an: Sic transit gloria mundi,
oder : „Das ist der Lauf der Welt, das ist das Loos des Schönen
dieser Erde, alles Irdische ist vergänglich und wird zuletzt in
den Staub getreten." Man empfängt überall in Konstantinopel
den Eindruck: „Es geht zu Ende." Man denkt auch unwill-
kürlich an die Theorien von J. J. Rosseau: „Gott hat die
Welt als Paradies geschaffen, die Menschen haben sie mit
ihren medrigen Leidenschaften in eine Hölle umgewandelt."
Der gegenwärtige Inhaber des Serai ist der Sultan Abd-ul-
Aziz, geboren am 8. Februar 1830. Aller europäische Luxus
steht zurück hinter dem Glanz, womit der Sultan aus einem
seiner zahlreichen, vorstädtischen Schlösser in Stambul einzu-
ziehen pflegt. Welch eine märchenhafte Pracht von Gold und
Edelsteinen, vielfarbigen Chäles, blitzenden silbernen Streitäxten,
mit Juwelen besetzten Dolchen und langen , herabhängenden
Yatagans. Schwarze Dienerschaften in farbigen Gewändern
reiten stolz auf edlen Rossen, die. mit gestickten Schabracken
bedeckt sind, voraus. Die den Sultan begleitenden Paschas
sind förmlich mit Diamanten besäet, und selbst die elenden
Sklaven strotzen von Schmucksachen mit echter Vergoldung.
Zwischen diesem Gefolge reitet der Grossherr, eine stattliche
Erscheinung, mit edlem schwermüthigem Gesichtsausdruck, in
dessen Augen eine ganze Welt von Empfindungen zu schwimmen
122
scheint. Wir haben uns mehrfach in seine Augen vertieft.
Er ist von den besten Absichten für die Beglückung seines
Volkes beseelt. Seine Energie hat er bethätigt durch die
Unterdrückung des griechischen Aufstandes und die stolze
entschiedene Stellung, welche er gegenwärtig dem Khedive
von Aegypten gegenüber, seinem Vasallen, nach der Eröffnung
des Kanals von Suez eingenommen hat.
Der Thronfolger ist der Neffe des Sultans, Sohn seines
verstorbenen Bruders, Mohamed Murad Effendi, geb. am
21. September 1840, eine sehr stattliche Persönlichkeit, welche
namentlich auch bei Gelegenheit des Besuchs der Pariser Welt-
Ausstellung besonders imponirt hat. Der älteste Sohn des
Sultans ist Youssouf Ized-din Effendi, geboren am 9. October
1857, ein besonders intelligent aussehender Knabe, dem wir
öfter bei unseren Wanderungen diuxjh Konstantinopel be-
gegnet sind.
38. Mekteb-i-Sonltani^
oder kaiserliches ottomanisches Lyzeum von Galata-SeraY.
Der gegenwärtige Sultan, Abd-ul-Aziz, hat auf Anrathen
des jetzt leider verstorbenen Fuad Pascha sich um den
Orient ein grosses Verdienst erworben durch Gründung einer
Schulanstalt, die in dem Abendlande kaum ihresgleichen haben
möchte, sowohl was die zweckmässige äussere Einrichtung
betrifft, als die leitenden Ideen, die dabei ihre Verwirklichung
gefunden haben.
Wahrscheinlich giebt es in der Welt kein so umfang-
reiches Schullokal, wenigstens kein so vortheilhaft gelegenes,
das eine so weite und so wundervolle Aussicht beherrscht.
Mekteb-i-Soultani liegt so ziemlich auf dem höchsten Punkte
von Pera. Das drei Stock hohe Gebäude diente früher als
Kaserne für zwei Infanterie- Regimenter und war später eine
medizinische Hochschule. Es ist in Form eines Vierecks mit
innerem Hofe gebaut, und hat eine kolossale hohe Pforte als
Ausgangsthür nach der grossen Strasse von Pera. Es ist mit
weitläuftigen Höfen (früheren Exerzierplätzen) umgeben, die zu
Spiel- und Turnplätzen eingerichtet sind, deren Umfang ich
mindestens auf zehn Hektaren schätze. Zu den Füssen dieses
123
Gebäudes, das nach allen Seiten frei liegt, sich durch seine
gesunde Lage vortheilhaft auszeichnet, überall Luft und Licht
zulässt, sind zwei Meere (das Schwarze und Weisse) ausge-
breitet, nebst der sie verbindenden Meerenge, dem Bosporus.
Man übersieht das Goldene Hörn und die Wunder von Stambul.
Der Blick schweift über zwei Erdtheile; Skutari mit seinem
Zypressenwald und Kadikeui mit seinen modernen Gebäuden,
so wie die Prinzen-Inseln liegen vor dem entzückten Beschauer,
dessen Brust die feuchte, mit dem Dufte der zahllosen Rosen-
und Blumengärten am Bosporus erfüllte Luft wonnig einathmet.
Das Gebäude liegt weit genug von der Strasse zurück, so dass
an das Ohr nur ein leiser Widerhall des Strassenlärmes
gelangt.
Diese Erziehungs- und Unterrichtsanstalt wurde am
1. September 1868 eröffnet und war, als wir sie im Oktober
desselben Jahres besichtigten, schon in voller geordneter
Wirksamkeit. Der intellektuelle Gründer und erste Leiter ist
Mr. de Salve, früher Direktor des College von Marseille und
anfänglich Professor an einem Lyzeum von Paris. Er erfreut
sich einer wohlverdienten Berühmtheit in seinem Vaterlande.
Es liegt ihm der schöne Beruf ob, einflussreich mitzuwirken,
die schönsten Länder der Welt und eine geistig wohl veran-
lagte Bevölkerung der» Bildung und Gesittung wiederzuerobern
und früheren Glanz zu erneuern.
Hören wir die eigenen Worte des Herrn de Salve über
die Bestimmung von Mekteb-i-Soultani (Schreibschule des
Sultans): „Le but de l'ecole est non de franciser la Turquie,
mais d'y repandre Tinstructiön et les idees de fusion de races.
La France sert d'instrument, non de but." Nach meiner Auf-
fassung würde dieser Ausspruch in freier Uebersetzung etwa
so lauten: „Das Ziel der Schule ist nicht, die Türkei zu
französiren (wie ich mich früher irrthümlicher Weise ausge-
drückt hatte), sondern dort Bildung zu verbreiten und eine
Verschmelzung der Racen anzubahnen. Frankreich hat dabei
eine vermittelnde Rolle übernommen, dient als Werkzeug,
nicht als Ziel."
Unterrichtssprache ist die französische. Es ist Haupt-
aufgabe, den Türken das Verständniss und die Fertigkeit, sich
darin mündlich und schriftlich auszudrücken, beizubringen.
124
Die Lehrer und Erzieher, ebenso die Aufwärter und die Be-
dienung, sind französischer Abkunft. Die Schüler zerfallen
daher in zwei Hauptabtheilungen: erstens in solche, welche
der französischen Sprache unkundig sind, und zweitens in
solche, welche Französisch sprechen und verstehen. Die letztere
Kategorie von Schülern gehört in die Vorbereitungsklasseri,
worin sie unterrichtsfähig gemacht werden. Da es an allen
türkischen Lehrbüchern für Schüler zur Erlernung der franzö-
sischen Sprache fehlt, so wird dieselbe vorzugsweise mündlich
gelehrt und durch das Ohr aufgenommen. Es ist für den
Pädagogen interessant, die Stufenfolge der dahin gehörigen
Uebungen kennen zu lernen. Der Direktor de Salve hat mir
die jMethode mit eben so viel Einsicht wie Klarheit mitgetheilt,
und war mir der dabei befolgte Fortschritt von einfachen und
leichteren Uebungen zu schwierigeren besonders interessant.
Erst dann, nachdem die Schüler der französischen Sprache
mächtig sind, werden sie einer bestimmten Klasse eingereiht.
Es wird angenommen, dass drei Jahre ausreichen, um die
Schüler in drei Vorbereitungs- Stufen -Klassen weit genug zu
fördern, um die türkische und französische Sprache sich an-
zueignen.
Es werden Schüler aller Religionsbekenntnisse unterschieds-
los aufgenommen und behandelt, doch muss immer die Mehr-
zahl sich zum Islani bekennen. Ganze und halbe Freistellen
werden vom Sultan auch an Andersgläubige verliehen. Im
Sommer 1869 waren von den 150 Freistellen vergeben genau
die Hälfte an Söhne von Muselmännern, 20 an Griechen, 20 an
Armenier und Georgier, 20 an Bulgaren, 15 an römische und
armenische Katholiken und Israeliten. Eine gewisse Anzahl
Schüler von verschiedenen Nationalitäten haben halbe Frei-
stellen inne, wogegen 227 die volle Pension bezahlten. Am
8. Dezember 1869 zählte die Schule nach den offiziellen Mit-
theilungen des Direktors 612 Zöglinge, wovon 519 im Schulge-
bäude Wohnung und Verpflegung als Alumnen erhielten und
93 ausserhalb wohnten. Nach der Angabe des Direktors sind die
Räumlichkeiten jetzt vollständig besetzt und können neue
Alumnen nicht mehr aufgenommen werden. Nur Söhnen tür-
kischer Unterthanen darf irgend welche Ermässigung der Pension
zugestanden werden.
125
Da die Schule Mekteb-i-Soultani einzig in ihrer Art da-
steht und von den zivilisatorischen Bestrebungen des gegen-
wärtigen Sultans und seiner Regierung ein so beredtes Zeugniss
ablegt, wird eine abgekürzte Mittheilung der amtlichen Statuten
unseren Lesern nicht unerwünscht sein. Wir werden dabei
mit diplomatischer Genauigkeit vorgehen.
§ 1. Das kaiserlich ottomanische Lyzeum ist von der
Regierung gegründet worden , um die Zöglinge für alle Zweige
des Staatsdienstes genügend vorzubereiten. Die Aufnahme
geschieht unabhängig vom religiösen Bekenntniss. Es wird
eine höhere wissenschaftliche Ausbildung der Schüler erzielt
in Uebereinstimmung mit dem vorhandenen Bedürfniss der
Unterthanen des KaiseiTcichs.
Das Lyzeum ist nach dem Muster der höheren Lehran-
stalten des Abendlandes organisirt worden.
§ 2. Die Zöglinge, welche alle Klassen des Lyzeums alr-
solvirt und das Zeugniss der Reife in der Abiturienten-Prüfung
erlangt haben, sind für alle Staatslaufbahnen berechtigt und
für alle öffentlichen Aemter befähigt.
§ 3. Die Studiendauer in der eigentlichen höheren Schule
wird auf fünf Jahre berechnet ; ausserdem kommen drei Jahre
auf die Vorbereitungsklassen. Es wird noch ein sechstes
Studienjahr eingerichtet werden für besondere Fachstudien.
§ 4. Die Unterweisung umfasst:
1) die Erlernung der türkischen Sprache, welche sich er-
streckt auf die gesammte Studienzeit;
2) die Erlernung der französischen Sprache und Literatur;
3) die öffentliche und private Sittenlehre (la morale
publique et privee);
4) die Anfangsgründe der lateinischen Sprache, so weit
ihre Kenntniss nothwendig ist für das Studium der
Rechte, der Medizin und Pharmazie;
5) die griechischen Etymologien;
6) die Weltgeschichte und die Geschichte des Osmanischen
Reiches;
7) die politische Geographie ; die Statistik der Verwaltung,
des Handels, Ackerbaus und Gewerbefleisses der Haupt-
staaten, namentlich 4es Ottomanischen Reiches;
126
8) die reine und angewandte Mathematik;
9) die mathematische Geographie, Erd- und Himmels-
kunde ;
10) die Mechanik und ihre Hauptanwendungen in der
Technik, namentlich die Dampf kraft;
11) Physik und Chemie;
12) Naturbeschreibung;
13) Anfangsgründe der Rechtskenntniss ;
14) Anfangsgründe der Volkswirthschaftslehre ;
15) die Vorbegriffe für das Studium der Rhetorik und der
allgemeinen Literatur;
16) das Linear-, geometrische und freie Handzeichnen.
Die Erlernung der griechischen, armenischen und bulga-
rischen Sprachen ist' fakultativ und muss besonders erbeten
werden.
Turnunterricht ist allgemein verbindlich und wird das
ganze Jahr hindurch ertheilt. Die gymnastischen üebungen
finden entweder im Freien oder in der überdachten heiz- und
erleuchtbaren Turnhalle statt. Freiturnen, Turnen an Geräthen,
Exerzierübungen. Für die verschiedenen Altersstufen sind be-
sondere Turnplätze eingerichtet.
§ 5. Jeder Schüler beobachtet die gottesdienstlichen
Gebräuche seines Kultus.
♦
Für die muselmännischen Schüler ist eine Moschee für
ihre Gebete und Andachtsübungen in dem Lyzeum vorhanden;
ein MoUah ist mit ihrer religiösen Unterweisung beauftragt.
Andersgläubige werden regelmässig in die für sie be-
stimmten Gotteshäuser geführt. Der Religionsunterricht wird
ihnen ertheilt nach Verständigung mit ihren Aeltern und der
Geistlichkeit ihres Bekenntnisses.
§ 6. Das Lyzeum wird für 600 Alumnen eingerichtet,
wovon die Hälfte Bekenner des Islams sein müssen.
§ 7. Das erforderliche Alter für die Aufnahme in die
Vorbereitungsklassen ist das zurückgelegte neunte und das
unvollendete dreizehnte Jahr. In das eigentliche Lyzeum
können auch ältere Schüler aufgenommen werden; die Klasse,
127
für welche sie sich eignen, wird nach dem Ergebniss der Auf-
nahme-Prüfung bestimmt.
§ 8. Das kaiserlich ottomanische Lyzeum nimmt auf:
Ganzpensionäre, Halbpensionäre und Hospitanten.
Die ganze Pension beträgt 45 türkische Livres (ä 6 Thlr.
4 Sgr.), d. h. 276 preussische Thaler jährlich. Beim Eintritt
sind ausserdem noch 15 Livres, d. h. 92 Thaler für die erste
Ausstattung (le trousseau) zu bezahlen. Für den Betrag dieser
Pension erhält der Zögling: Wohnung, Ernährung, die vor-
schriftsmässige Uniform, Wäsche, Bettzeug, ärztliche Behand-
lung, Arzenei, die erforderlichen Unterrichtsbücher und
Schreibmaterialien.
Die Halbpensionäre wohnen nicht in der Anstalt, bringen
nur den Tag dort zu und kehren am Abend zu ihren Familien
zurück. Die Halbpension beträgt 25 Livres oder 153 Thlr.
10 Sgr. jährlich, wofür die Zöglinge um 12 Uhr gespeiset
werden und um 4 Uhr Nachmittags ein Vesperbrod erhalten;
ausserdem werden ihnen die nothwendigen Schulbücher und
Schreibmaterialien geliefert.
Die Hospitanten erhalten nur Unterricht, sie zahlen jähr-
lich 6 Livres (d. h. 36 Thlr. 24 Sgr.) Schulgeld.
Alle Zahlungen werden halbjährlich praenumerando ge-
leistet, ein angefangenes Vierteljahr wird für voll gerechnet.
Ueber die Verleihung der ganzen und halben Freistellen
verfügt der Unterrichtsminister. Die Verleihung behält Gültig-
keit für die ganze Studienzeit und kann nur zurückgenommen
werden, wenn der Zögling sich eines erheblichen Vergehens
schuldig macht.
Zur Bestreitung des Kostenaufwandes ist der Direktion
ein jährlicher Kredit von fünfmal Hunderttausend Franken
angCAviesen worden. Es muss aber über sämmtliche Einnahmen
an Schulgeld und Pension genaue Rechnung abgelegt werden.
Der Lehrkörper besteht aus einem Direktor (Mr. de Salve)„
einem Unterdirektor (Levistal), einem Studienvorsteher (Mr.
Goold, von englischer Abkunft) und einem Lehrkörper von 40
Lehrern und Erziehern. Die Einkünfte des Direktors, dem
eine geräumige Wohnung im Schulhause eingerichtet ist, be-
laufen sich ausser Natural - Kompetenzen auf mehr als
128
25,000 Franken. Die Sommerferien umfassen einen Zeitraum
von zwei Monaten.
Ich habe die Klassen- und Studienzimmer besucht, eben
so die Schlafsäle, die bis zu 50 Betten aufnehmen können
(alsdann mit drei Inspizienten, die in demselben Zimmer
schlafen), die Speisesäle, Küche, wo Alles mit Dampf gekocht
wird, die Speisen gekostet, die Vorrathskammem u. s. w.
gesehen und mich von der äussersten Zweckmässigkeit und Vor-
treiflichkeit überzeugt. Das Gebäude und die Höfe werden mit
Gas beleuchtet, überall ist Wasserleitung angebracht. Ich habe die
Direktorwohnung besucht, das Vergnügen gehabt, an einem Diner
im kleinen Kreise mit den ersten Professoren der Schule theil-
zunehmen, und überall die Ueberzeugung gewonnen, dass in Be-
ziehung auf äussere Ausstattung Mekteb-i-Soultani einzig dasteht.
Ich habe aber auch das Treiben der Schüler . mit ange-
sehen, und die intelligenten Physiognomien bewundert, nament-
lich der armenischen Jugend.
Die Söhne der höchsten türkischen Aristokratie werden
dieser neuen Unterrichtsanstalt anvertraut. Am Freitag Abend
(dem Sonntag der Muselmänner) habe ich die jungen Leute
aus ihren Familien von glänzender Eskorte begleitet zu Pferde
in ihre Schulanstalt zurückkehren sehen. Alle Schüler sind
uniformirt, als gleichmässige Kopfbedeckung ist der Fez vor-
vorgeschrieben. Die äussere Einrichtung ist militärisch. Der
Stundenwechsel wird durch Trommelschlag angekündigt, eben
so werden die Zöglinge zu den Mahlzeiten gerufen.
Die türkische Regierung selbst kann sich der Ueberzeu-
gung nicht verschliessen, dass eine Regeneration nur auf dem
Wege der Erziehung und des Unterrichts angebahnt werden
kann. Da die Pensionen bei der Opulenz der Ausstattung
viel zu gering sind, und viele türkische Zöglinge ganze oder
halbe Freistellen haben, so schätze ich den jährlichen Staats-
zuschuss auf mindestens 50,000 Thaler.
Bei dem erbitterten gegenseitigen Hass der verschiedenen
in Konstantinopel einheimischen Nationalitäten, wovon wir
hier nur eine ungefähre Vorstellung haben können, erfordert
die Leitung einer solchen Schule grosse Umsicht, und wird
dem zeitigen Direktor gewiss noch manche schwierige Stunde
bereitet werden. Mr. de Salve scheint jedoch seiner grossen,
129
man möchte sagen, weltgeschichtlichen Aufgabe gewachsen zu
sein. Ich meinerseits werde die Stunden, welche ich im Aus-
tausche der Gedanken über Erziehung und Unterricht mit
diesem für ein grosses Werk ausersehenen Mann verlebt habe,
stets als einen reichen Gewinn betrachten, und wird die Er-
innerung daran in meinem orientalischen Ausfluge eine hervor-
ragende Stelle einnehmen.
- «
39. Keisekaravane. Die Gasthöfe yon Pera.
Sonnabend, den 3. October 1868, Nach türkischer Zeit-
rechnung am 17. Djiem-ul-ahir der Hedschra 1285 um ItUhr
Vormittags (nach christlicher Tageseintheilung) setzte sich
unsere Karavane vom Hotel de Byzance in Pera aus in Bewe-
gung. Unsere Karavane bestand aus vierzehn zahlenden Per-
sonen und drei Dragomans (Dollmetscher, Führer). Jede der
zahlenden Personen hatte zwanzig Franken beigesteuert, um
die Kosten des Ferman und der Trinkgelder zu bestreiten.
Der Ferman ist eine Kabinetsorder des Sultans und wird be-
zahlt mit 800 Piastern, d. h. mit etwas über 50 preussischen
Thalern. Dieser Ferman enthielt die Anweisung, uns unter
Führung des uns zugewiesenen türkischen Offiziers, der uns
auf der Hauptwache vor dem Sera'i erwartete, überall unge-
hindert zuzulassen, wo es irgend einem fremden Muselmann
einzudringen erlaubt ist.
Unsere Karavane war zusammengesetzt: 1) aus einem
östreichischen Major mit seiner Gattin, für welche eine Equi-
page gemiethet war, während alle übrigen Theilnehmer be-
ritten waren; 2) aus einem östreichischen Hauptmann mit
seiner jungen neu vermählten Gattin, der Baronin, wie sie
hiess; 3) einigen deutsch redenden Gutsbesitzern aus Sieben-
, bürgen ; 4) zwei französischen Touristen, die im Hotel d'Angle-
terre wohnten; 5) aus zwei unvermeidlichen englischen Rei-
senden. Um diese Reisegesellschaft von vornherein abzufertigen,
sei es gesagt, dass nur die beiden Damen eine verständige
Auffassung und Unterscheidungsgabe (discernement) besassen ;
auch die beiden Franzosen hatten etwas Witz, während die
deutsch-östreichisch-siebenbürgische Männergesellschaft stumpf
war. Die beiden Damen hatten Vorstudien gemacht, waren
9
ISO
mit den nöthigen Reisehandbüchern versehen, führten auch
sonstige Hülfsmittel, wie binocles, mit sich, und verfassten ein
Reisetagebuch, in das sie mir Einblick gestatteten, um mich
von ihrer geistigen Ueberlegenheit zu überzeugen.
Die europäischen Hotels in Pera liegen alle dicht neben
einander an der bergaufsteigenden grossen Strasse von Pera,
an welcher auch die Gesandtschaften sich befinden. Hotel
de Pest war meine Residenz bei Herrn Tofalusi, einem früheren
Offizier der ungarischen Revolutionsarmee, der mit seinem
Gasthofe eine umfangreiche Weinhandlung verbindet, auch in
Skutari ein besuchtes europäisches Kaffeehaus besitzt, also
seine Kundschaft in zwei verschiedenen Erdtheilen zugleich
bedient. Es giebt gegenwärtig eigentlich fünf grössere Hotels
in Pera dicht neben einander: Pest, Byzance, Angleterre
(Missiris), Orient und das deutsche Baltzer, im letzteren wohnt
General Pascha Blum (Instructor der türkischen Armee). Diese
Hotels sind mit in die Augen fallendem Luxus eingerichtet,
während für die wahre Bequemlichkeit, z. B. gute Betten,
schlecht gesorgt ist. Die Verpflegung ist, was Essen und
Trinken betrifft, gediegen; die Preise sind angemessen, nicht
höher als in unseren besten Hotels; nur pflegt man vorher im
Ganzen zu akkordiren, tag- oder wochenweise, Wohnung und
Beköstigung inbegriffen. Die partie honteuse ist die Bedienung,
von welcher man bestohlen und beschwindelt wird bei aller
angewandten Vorsicht; dazu ist jeder Fremde in Konstantinopel
prädestinirt. Als sehr honetten Wirth kann ich Herrn Tofalusi
bezeichnen, in dessen Hotel de Pest auch die Mitglieder der
preussischen Gesandtschaft vorzugsweise verkehren und diniren,
für einen Thaler das Couvert (incl. Wein unbemessen) ganz
vorzüglich.
Die Pferde unserer Cavalcade (gemiethet pro Tag für
sechs Franken) waren edler Race, mein Schimmel echt arabi-
scher Abkunft, ein feuriges, dabei aber doch geduldiges Thier
mit angenehmen Bewegungen. Hinter jedem Reiter lief der
Vermiether in blossen Füssen, ohne Kopfbedeckung und offener
Brust, überhaupt in leichtester Bekleidung. Er verlor nie das
Pferd, den Gegenstand seiner Affektion, aus dem Auge, selbst
wenn wir trabten und galoppirten, wo er Gelegenheit fand,
sein Schnellläufer-Talent zu entwickeln. Ich kann nicht umhin,
131
mich auch an dieser Stelle zum Lobredner der türkischen
niederen Klasse aufzuwerfen. Jedes Mal, wenn ich mit einem
solchen Pferde -Vernaiether- Knecht in Beziehung trat, musste
ich seine Anstelligkeit, Gefälligkeit, Bescheidenheit und Ehr-
lichkeit anerkennen, wozu die durch Religion und Sitte ge-
botene Nüchternheit auch wohl viel beiträgt.
Unser Aufzug erregte wenig Beachtung. Kaum nahmen
die herrenlosen Hunde von uns Notiz ; unsere Pferde schritten
vorsichtig über ihre Leiber hin, ohne ihren Schlummer zu
stören. In einer guten Viertelstunde schnellen Rittes waren
wir an der einen Schiffbrücke, welche über das Goldene Hörn
führt, angelangt. Wir mussten pro Reiter zwei Piaster Brücken-
geld in die Kasse des Sultans pour ses menus plaisirs bezah-
len und uns durch das dort wogende bunte Menschengewühl
hindurcharbeiten. Bald stampften unsere Rosse den blutge-
tränkten Boden des alten Stambul. Nach kurzem Ritte durch
die Kesselflicker - Strasse hielten wir an vor den Mauern und
der Pforte des Serai, wo der uns zugewiesene Ordonnanz-
Offizier uns empfing.
40. Die Achmedtöh.
Nach Besichtigung des Serai' und der Agia Sophia wurden
wir zu den sie umgebenden Gräbern der Mitglieder des kai-
serlichen Hauses geführt, nachher in die Achmedieh, d. h. die
Moschee, welche der Sultan Achmed I. im Jahre 1610 gebaut
hat. Sie wird von sechs Minarehs umgeben. Die Haupt-
Kuppel, welche einen Durchmesser von mehr als 100 Fuss
besitzt, wird von vier ungeheuren Riesen-Säulen getragen, deren
jede einen Umfang von 36 Ellen hat. Der ganze Bau ist,
wie bei allen grossen Moscheen, der Agia Sophia nachgebildet.
Wundervoll sind die herrlichen Platanen (platanus orientalis),
welche die Moschee umgeben, welche die Türken mit besonderer
Vorliebe bei ihren Prachtgebäuden anzupflanzen pflegen. Von
hier bricht jährlich die Mekkakaravane auf und hierher kehrt
sie beim Wiedereinzuge zurück. Hier wird jährlich das Ge-
burtstagsfest des Propheten gefeiert, wo der Sultan im grössten
Pomp erscheint, um den Lobgesängen auf den Propheten bei-
zuwohnen, welche von den besten Sängern vorgetragen werden.
9*
13!3
In der Nähe der Achmedieh ist ein viereckiger geräumiger
von Säulengängen umgebener Hof; auf jeder Seite befinden
sich zehn Kuppeln, welche von Säulen, aus ägyptischem
Granit getragen werden. Es fiel uns besonders der elegante
erzene Thorweg auf mit Verzierungen in arabischem Ge-
schmack.
41. Der Atmeidan.
Von hier gelangten wir zum Atmeidan, dem ehemaligen
Forum, jetzt auch Hippodrom genannt, vom Kaiser Severus
nach der Einnahme des alten Byzanz eingerichtet, früher der
Hauptplatz und Stolz von Byzanz, wo die öffentlichen Kampf-
Wettspiele (Wagen- und Pferderennen), die militärischen Pa-
raden u. s. w. stattfanden, jetzt verwahrlost und theilweise
nur noch als Reitbahn benutzt. Wir sind heute in unseren
grossen Städten an prachtvolle Plätze gewöhnt, der Atmeidan
in seiner jetzigen Verfassung macht aber einen wenig erhe-
benden Eindruck. Indessen ist dies fast der einzige Platz,
wo noch üeberbleibsel von Kunstwerken des Alterthums anzu- '
treffen sind, sonst hat die türkische Zerstörungswuth kein
antikes Kunstwerk verschont.
Auf dem Atmeidan ist ein ägjrptischer Obeslisk aufgepflanzt
von röthlichem Granit, 61 Fuss hoch und auf allen vier Seiten
mit hieroglyphischen Inschriften bedeckt. Auf demselben Platze
steht eine andere, 91 Fuss hohe, 8 Fuss starke Säule, welche
ehemals mit Goldblechen überzogen war, aber ihrer kostbaren
Umhüllung beraubt worden ist.
Die grösste Merkwürdigkeit auf dem. Hippodrom ist aber
die zwischen jenen beiden genannten Säulen in einer Vertiefung
befindliche grüne Schlangensäule, ein 10 Fuss hoher, 13 Zoll
starker eherner Pfahl, wie eine Schraube gestaltet. Ehemals
soll dieses sonderbare Denkmal noch höher und mit drei
Schlangenköpfen versehen gewesen sein. Die Athener hatten
diese Säule aus Beiträgen der Bundesgenossen nach der über
die Perser gewonnenen Schlacht von Plataeae als Dankopfer
errichtet. Die Inschrift enthält die Aufzählung der geleisteten
Beiträge in altgriechischer Sprache. Früher soll diese Säule
den Dreifuss des pythischen Orakels zu Delphi getragen haben.
133
Als Mahomet II. am 29. Mai 1453 Konstantinopel erobert
hatte und an der Spitze seines Heeres seinen Einzug hielt,
stutzte er bei dem Anblicke dieser Säule und glaubte, in der-
selben ein die Stadt beschützendes Götzenbild zu sehen. Um
also den Griechen auch diese letzte vermeintliche Stütze zu
rauben, schlug er mit seiner Streitaxt einen dieser Schlangen-
köpfe herunter; die beiden anderen Köpfe sind im acht-
zehnten Jahrhundert in einer Nacht durch ruchlose Hand
abgebrochen worden.
42. Die Yernichtang der Janitscharen.
Am Atmeidan stand früher die Kaserne der Janitscharen,
der ehemaligen Gardetruppen des Reichs. Als dieselben sich
im Frühjahr 1826 gegen ihren Kriegsherrn Sultan Mahmoud
auflehnten, beschloss er, sie zu vernichten als lästige Gegner
seiner Unumschränktheit und Mörder so vieler seiner Vor-
fahren. Der Mufti sprach feierlich den Fluch über sie aus
und erklärte ihre Niedermachung für ein gottgefälliges Werk.
Als am 15. Juni 1826, oder im Jahre 1241 der Hedschra der
Aufstand ausbrach und die Janitscharen auf dem Hippodrom
sich aufstellten, wurden sie umzingelt; sie wollten sich in die
Kaserne zurückziehen, dieselbe wurde aber in Brand gesteckt.
Es begann ein furchtbares Blutbad. Wer sich den Flammen
der brennenden Kasernen entzog, fand seinen Tod durch die
Waffen, sobald er ins Freie trat. Ueber 6000 Gardetruppen
wurden durch die Linientruppen niedergemetzelt, und die
Leichen ins nahe Marmara-Meer geworfen. Am 16. Juni er-
schien ein Ferman, welcher die Vernichtung des Corps und
seinen Ersatz durch eine neue Truppe aussprach. Es heisst
in diesem Ferman: „Aller Religion baar habe man bei vielen
Leichen das christliche Kreuz auf dem Arme eintätowirt ge-
funden; ein Abscheu des Publikums seien die Janitscharen
niedergemetzelt worden. Uebrigens wisse man, dass andere
Korporationen, z. B. die Brandlöscher und Lastträger, heimlich
die Rebellion gefördert hätten." So dauerten die Hinrich-
tungen in Konstantinopel und den Provinzen fort; in Kon-
stantinopel erreichte die Zahl der anderweitig Erdrosselten
bald 4000.
134
Um eine Vorstellung von türkischen Zuständen zu geben,
lassen wir einen Auszug aus einem andern Ferman folgen,
welcher kurz darauf erlassen wurde:
„Sie sind vernichtet, Ruhe und Ordnung herrschen wieder;
jeder Muselmann sollte dafür Gott danken. Dennoch aber giebt
es unruhige Köpfe, welche unter dem Deckmantel des Reli-
gionseifers heimlich die Sache der Rebellen fördern. Diesen
gesellen sich die Weiber der Hingerichteten bei, welche überall
freche Reden führen. Mit besonderem Erfolge arbeiten solche
Wühler an Feuersbrünsten, welche doch der wahre Musel-
mann als göttliche Züchtigung und Anlass zur Busse hinneh-
men sollte. — Von heute ab werden Spione der Regierung in
einer sie völlig unkenntlich machenden Verkleidung die ver-
schiedenen Stadttheile besuchen und nicht minder werden
Frauen, ebenfalls verkleidet, in die Privathäuser, die öflFent-
liehen Bäder u. s. w. eindringen und die Unterhaltungen be-
lauschen. Wer immer. Mann oder Weib, Gross oder Klein,
sich erfrecht, falsche Gerüchte zu verbreiten oder aufwieg-
lerische Reden zu führen, der soll sofort ergriflfen, keine Gnade,
keine Verzeihung soll ihm bewilligt, auf keine Protektion soll
Rücksicht genommen, auf keinerlei Flehen oder Fürbitte gehört
werden Männer und Frauen, gleichviel welches Standes,
sollen arretirt und zum abschreckenden Beispiel jene auf
der Stelle hingerichtet, diese erdrosselt und ins Meer ge-
worfen werden."
43. Das Museum.
Vom Hippodrom traten wir in eine Art Museum ein, wo
286 Figuren in Wachs poussirt, dem Leben nachgebildet, auf-
gestellt sind, umgeben mit ächten Kostümen, auf geschmackvolle
Weise drapirt, lauter Charakteranzüge. Es ist dies eine Illu-
stration der neuesten türkischen Geschichte. Die meisten
dieser Wachsfiguren stellen die niedergemetzelten Haupt-
rädelsführer der Janitscharen bei der letzten Revolution vor.
Indessen sind auch andere wichtige Personen, zum Theil
noch lebende, durch einen Platz hier ausgezeichnet worden,
z. B. II buffone che fa ridere il Soltano, der grossherrliche
Hofnarr, ein missgestalteter Zwerg seinem Wüchse nach ; eben
135
so der Chef der Leibwachen (Eunuchen); der mit schweren
Geldbeuteln beladene Beamte, welcher die Scherflein der
Gläubigen nach Mekka schleppt und seiner schweren Last
fast unterliegt.
44. Zisterne der 1001 Säulen.
Wir traten darauf ein in die Zisterne der 1001 Säulen
(Bin we bir direk auf türkisch), wo sonst das Regenwasser
aufgesammelt wurde, ehe Konstantinopel noch mit so vorzüg-
lichen Wasserleitungen, wie jetzt, versehen war. In den ersten
Zeiten nach Erbauung von Konstantinopel waren die Einwohner
genöthigt, um sich Trinkwasser zu beschaffen, Regenwasser von
den Gebäuden durch Dachrinnen in eigens dazu eingerichteten
Behältnissen einzusammeln; später wurden mit ungeheurem
Kostenaufwande Wasserleitungen gebaut, wodurch ganze Ströme
in die Stadt gelenkt wurden. Wasser ist den Morgenländern
das Symbol des Lebens, und der Kernspruch: „Durch Wasser
lebt alles Ding", bildet die Inschrift vieler öffentlicher Brunnen.
Die unterirdische Krypte der Zisterne der 1001 Säulen macht
auf den Beschauer durch ihren Umfang und die Menge der
Säulen einen wunderbaren Eindruck. Es sind übrigens nur
216 weisse Marmor-Säulen da, welche herrliche Bogengänge
bilden, die aber jetzt zu zwei Dritteln mit Erde verschüttet
sind. Wir trafen in dieser Krypte Seiler , die ihre langen
Bahnen dort aufgepflanzt hatten, auch Haspeler, welche Seide
abwickelten, und müssiges Gesindel, woran es in der Türkei
nirgends fehlt.
45. Turb^ des Sultans Mahmoud (f 1823).
Von der Zisterne der 1001 Säulen wurden wir in den Turbe
(Begräbnissstätte) des Sultans Mahmoud und seiner Lieblings-
frauen geführt; es war dies der Vater des gegenwärtigen Sul-
tans. Wir fanden dort andächtig betende Türken, die täglich
in gewissen Stunden ihrem Schmerze und ihrer Trauer gegen
Bezahlung Ausdruck geben. Auf dem Sarge des Sultans lag ein
Fess (Kopfbedeckung), der mit einem grossen Diamant geziert
war. Der Sarkophag war mit prächtigen Cachemirs bedeckt,
136
eben so derjenige der Sultanin Valide, Mutter des jetzigen
Sultans. Der Katafalk beider ist mit einem reichen silbernen
Gitter umzogen, ausgelegt mit Perlmutter und Perlen; zu
Füssen der kolossalen Särge ist ein Teppich aus Mekka aus-
gebreitet. In dem Turbe befinden sich einige vom Sultan
Mahmoud mit eigener Hand auf Pergament kunstvoll geschrie-
bene Bücher, auch die eigenhändig von ihm angefertigte Ab-
schrift des ganzen Korans. Die Stellung der Särge ist immer
derartig, dass das Gesicht nach Mekka schaut. Ein frommer
Türke trägt immer einen Kompass mit sich, um jederzeit die
Richtung nach Mekka aufzufinden.
In der Umgebung dieses Turbe befanden sich viele Brun-
nen, eben so ein gut in Ordnung gehaltener Garten, in welchem
die Rosen in schönster zweiter Blüthe standen. Die Zier-
und Blumengärten werden überhaupt im Orient sorgfältig
kultivirt, vor allen Blumen steht die Rose in hoher Gunst.
Wir begaben uns darauf zu einem mit einem Säulengange
umschlossenen Hofe, wo die heiligen Tauben zu Tausenden
gefüttert wurden.
46. Kriegsmiulsterium^ Solimantöh.
Darauf passirten wir vor dem Kriegsministerium vorbei,
wo eine grosse Geschäftigkeit herrschte, und sahen uns von
aussen den Seraskier- Thurm an. Die Gitterthür, welche zum
Kriegsministerium führt, ist die eigentliche wirkliche „hohe
Pforte, la sublime Porte proprement dite."
So gelangten wir zur Solimanieh, d. h. zu der vom Sultan
Soliman dem Prächtigen gebauten Moschee. Dieselbe ist
von vier Minarehs umgeben, wovon zwei grössere mit drei
Gallerien umher und zwei kleinere mit zwei Gallerien versehen
sind. Der Porticus bildet einen bedeckten gewölbten Gang,
er ruht auf Säulen von Granit und Porphyr, welche 24 Fuss
hoch sind. Dieser Säulengang schliesst einen 70 Schritt lan-
gen und 50 Schritt breiten Hofraum ein, der mit breiten
Marmor- und Porphyr-Platten gepflastert ist.
Wir wurden mit Bewunderung erfüllt, als wir in diese
prachtvollste, von Türken erbaute Moschee eintraten, ein Meister-
werk echt sarazenischen Styls, nach dem Vorbilde der Agia
137
Sophia erbaut, aber regelrecht, d. h. in der Richtung nach
Mekka. Der Durchmesser der Kuppel ist derselbe wie bei der
Agia Sophia, dieselbe ist aber nicht so flach, sondern 15 Fuss
höher. Die Solimaiiieh ist so gross, dass während unserer
Anwesenheit in verschiedenen Theilen Andachtsübungen statt-
fanden, ohne sich gegenseitig zu stören. Unsere besondere
Aufmerksamkeit zog ein Geistlicher auf sich, der mit der
Auslegung des Korans beschäftigt war, aber dabei Hände und
Füsse lebhaft bewegte, obgleich er auf dem Fussboden hinge-
kauert war. Er las vor, seine Zuhörerschaft umlagerte ihn,
schauete sich aber neugierig um, und schien wenig auf ihn
zu hören. — Auch hier ist die Mosaik reichlich verschwendet,
selbst an Thüren und Fenstern angebracht, welche letzteren
meist von buntfarbigem Glase sind, so dass sie die Moschee
mit mystischem Lichte erfüllen.
Neben der Moschee ist das Mausoleum des Sultans Soliman
und der französischen Prinzessin Roxelane, die von Seeräubern
gekapert und dem Sultan zum Geschenk dargebracht war. In
dem Mausoleum befindet sich eine Relief-Darstellung der heili-
gen Kaaba von Mekka, bis in die kleinsten Details in Holz
ausgeschnitzt.
Der Solimanieh gegenüber steht eine Reihe hölzerner Buden,
in denen mit Opium gehandelt wird. —
Hier endete gegen Sonnenuntergang unsere Exkursion.
Wir bestiegen unsere Miethsgäule und kehrten bei einbrechen-
der Dunkelheit, mit geistigen Eindrücken übersättigt, mit
reichen Erinnerungen für die Zukunft beglückt, körperlich aber
hungrig und müde, nach demselben Platz hoch oben in Pera
zurück, wo wir uns am Vormittag zusammenfanden, erfüllt
von Wissbegierd^. Unsere Erwartungen waren weit übertrofFen
worden.
47. Das asiatische Ufer und die himmlischen süssen
Wasser von Asien.
Freitag, den 2. Oktober, unternahm ich einen Ausflug
nach der kleinasiatischen Küste. Zunächst bestieg ich ein
Dampfschifif, das von der neuen Galata-Brücke abfährt und
nahm meinen Platz bis Candilli. Da das Wetter wundervoll
war, hatte sich das Dampfschifl' mit Passagieren überfüllt,
138
namentlich die für türkische Frauen reservirte Abtheilung,
deren Dominos von grüner, gelber und rother Seide in hellem
Farbenglanze prangten.
Der Zufall hatte mir auf dem Dampfschiffe einen Platz
neben einem Herrn Moritz Sanft, gebürtig aus Bukarest, jetzt
Graveur in der Hauptstrasse von Pera, angewiesen. Er be-
gleitete seine Frau, die er in Cairo hatte kennen lernen, wo
ihr Vater nach dem Inneren von Afrika mit den Negerstämmen
Handel trieb. Meine Reisegefährtin verstand und sprach die
Sprache dieser Neger, sie verwerthet ihre Sprachkenntnisse
dadurch vortheilhaft, dass sie sich verständigen kann mit den
schwarzen Wächtern (Eunuchen) der Harems, um einen Ge-
winn bringenden Handel mit Schönheitsmitteln, als da sind
Seifen, Parfüms, Schminken u. s. w., zu treiben. So machte
sie auch heute unter dem Schutze ihres Ehemannes eine
Reise nach der asiatischen Seite, um Bestellungen bei Mustapha
Pascha zu effectuiren. Herr und Frau Sanft sprachen tür-
kisch, waren ausserdem gut orientirt und konnten mir so
vortrefflich als DoUmetscher und Führer dienen, da sie zu-
gleich geläufig italienisch sprachen. Durch ihre Vermittelung
erhielt ich Zutritt in den prachtvollen Garten des Mustapha
Pascha, der sich auf dem asiatischen Ufer längs des Bosporus
hinzieht.
Es waren trotz der vorgerückten Jahreszeit die Rosen in
herrlichster Entfaltung, namentlich hochstämmige Exemplare
von La Reine; das Arrangement der Blumenbeete war
ä Tanglaise, von derselben Sorte waren Hunderte von Exem-
plaren zu Gruppen vereinigt, um durch ihre Massen zu wirken.
Auch neu- holländische Araucarien gediehen fröhlich unter
diesem glücklichen Himmelsstriche, eben so blühten Pawlonia-
Bäume.
Der erste Seki*etär des Fürsten kam freundlich auf mich
zu, redete mich in französischer Sprache an, forderte mich
auf zur Besichtigung des Palastes und unterhielt sich mit mir
ganz ungezwungen.
Denselben Herrn traf ich später wieder, indem ich mit
ihm die Fahrt von Konstantinopel nach Pest machte, wo wir
uns trennten, indem er nach Paris fuhr und ich nach Posen,
Auf dem Dampfboot hatte er mich zuerst angeredet und sich
1
V
13 9
noch ergötzt über die Aengstlichkeit und Schüchternheit, die
ich damals im Garten und Hause des Pasclia gezeigt hatte.
Er war wie alle gebildeten Türken von den feinsten Sitten und
dem liebenswürdigsten yerkehr, dabei aber der Leidenschaft
des Kartenspiels ergeben und verlor auf dem Dampfschiffe an
einen Abenteurer, den Pseudonymen Grafen Cambdolo, unge-
heure Summen.
Inzwischen hatte Frau Sanft ihre Handelsgeschäfte im
Harem abgemacht, einige Damen begleiteten sie lächelnd bis
in den Garten, zogen sich jedoch auf Anordnung der schwar-
zen Wächter bald zurück. Unterdessen hatte ich mit Herrn
Sanft so zu sagen Freundschaft geschlossen und ihn überredet,
den übrigen Theil des Tages, es war noch Vormittag, zu wei-
teren Exkursionen zu benutzen, wobei seine Gattin immer noch
Geschäftsbesuche machen könnte.
Unser nächstes Ziel waren die „süssen himmlischen Wasser
von Asien", die Lieblingspromenade der vornahmen türkischen
Damenwelt am Freitag. In zehn Minuten waren wir vom Palast
des Mustapha Pascha an Ort und Stelle. Es mündet hier
ein von den Bergen herabkommender Bach in den Bosporus und
bildet ein reizendes Flussthal. Es sind grosse wiesenartige
Flächen ausgebreitet, die beschattet werden von Platanen,
Sykomoren, Wallnuss- und Kastanienbäumen in einer Stärke
und Höhe, die uns bei diesen Bäumen unbekannt ist.
Wir fanden schon eine Anzahl Harems auf ausgebreiteten
Teppichen auf der Wiese gelagert und sich an der schönen
Natur ergötzend, dabei ihr einfaches Frühstück verzehrend
und die Verkäufer von Weintrauben, Feigen und Melonen, die
sich zahlreich eingefunden hatten und ihre Waare schreiend
ausboten, in Bewegung setzend. Die in Marmor gefassten
Quellen lieferten vorzügliches Trinkwasser. Es waren auch
mehrere Kochheerde zum Kaffeekochen improvisirt. Genug,
es war hier Alles .zu haben, was für genügsame Türkinnen
ausreicht, nur die vielen ungezogenen phantastisch ausgeklei-
deten Kinder schrieen fortwährend nach Zuckerwerk und
Süssigkeiten. Es kamen gegen Mittag noch immer mehr Kaiks
von der Wasserseite und Equipagen von der Landseite, um
zahlreiche Spaziergängerinnen , eigentlich Spazierliegerinnen,
herbeizuführen. Ausser den Wächtern und Dienern war .aber
140
auch nicht eine einzige, der eigentlichen Gesellschaft ange-
hörige Mannsperson zu sehen. Die Geschlechter amüsiren
sich in der Türkei völlig getrennt, das männliche ist indolent
und apathisch, nur dem weiblichen wohnt noch Freude an
Gottes schöner Natur inne.
Nachdem wir uns den Kiosk, welchen der Sulian in den
süssen Wassern am Rande des Bosporus im Konditorstyle hat
aufführen lassen, angesehen hatten, setzten wir unsere Wan-
derung fort. Wir gingen querfeldein und bestiegen ein hohes
Plateau, um eine neue Aussicht auf den Bosporus zu gewinnen.
Der Weg führte uns durch wohl unterhaltene Wein- und
Obstgärten,
48. UnToUendete Palast - Bninen am Bosporus.
Auf der Anhöhe fortschreitend kamen wir zu dem un-
vollendeten Palast von Mehemet Ali Pascha, Schwager des
Sultans. Wir erbaten uns vom Wächter die Erlaubniss, diese
künstliche Ruine zu besuchen. Dieser unvollendete Palast
sieht ungefähr so aus, als ob er von einer Feuersbrunst heim-
gesucht worden wäre. „In den öden Fensterhöhlen wohnt das
Grauen, und des Himmels Wolken schauen hoch hinein." Es
soll dieser Palast die schönste Aussicht auf den Bosporus ge-
währen. Nicht satt konnte ich mich sehen an dem lieblichen
Gemälde, im Norden das Schwarze Meer, im Süden das
Marmara-Meer, vor mir der von unzähligen Kaiks belebte
Bosporus mit seinen Buchten und Abwechselungen, der Himmel
tiefblau ohne ein Wölkchen, die Luft heiter und warm, aber
durch eine kühlende Brise gemässigt, mit Wohlgerüchen von
dem üppigen Blumenflor der anstossenden Gärten erfüllt. Ich
habe wiederholentlich die Runde dieses verödeten Palastes
gemacht, aus allen Fenstern der Reihe nach gesehen und
immer wieder neue Eindrücke gewonnen.
49. Yilla Hansom.
Gleich über dieser Ruine befindet sich die Villa des
Direktors der ottomanischen Bank, des Herrn Hansom, eines
Engländers, eines der ehrenhaftesten und geschicktesten
141
Finanziers des Orients. Ich war mit einer Empfehlung an ihn
versehen. Er war anwesend und lud mich und meine Gesell-
schaft, von der ich mich nicht trennen wollte, ein, seine Gär-
ten zu besehen. Er stellte mich seiner Gattin vor, die uns
mit in den Garten begleitete. Ich habe nie schönere Wein-
gelände gesehen. Herr Hansom gestattete mir, reife Feigen
edelster Art vom Baum abzupflücken. Es interessirten mich be-
sonders die vielen Pomegranate trees, Bäume, die zugleich rothe
Blüthen und Früchte in Unzahl trugen. Herr Hansom erklärte
mir die Methode der Bewässerung, die Einrichtung seiner
Zisternen; darauf zeigte er mir werthvoUe Marmortafeln mit
Inschriften, Bruchstücke von Statuen, die er von der englischen
Expedition nach Sebastopol im Krimmkriege erworben hatte,
genug er war liebenswürdig und gentleman-like. Inzwischen
hörten wir den Kanonendonner zu Ehren des Sultans, der
von seiner Andacht aus der Moschee mit zahlreichem Gefolge
zu Wasser nach Dolmabadsche zurückkehrte.
60. Beylerbßy.
Wir setzten unsere Reise fort nach Beylerbey (zu deutsch:
„Fürst der Fürsten''), welcher Palast unserm Kronprinzen bei
seinem Aufenthalt im Herbst 1869 als Residenz angewiesen
war. Frau Sanft besuchte den Harem des verstorbenen Sultans,
um dort Geschäfte zu verabreden. Herr Sanft und ich blieben
im Garten, nachdem seine Gattin uns vorgestellt hatte. Da
es Feiertag war, fanden wir eine ganze Gesellschaft feister
Eunuchen im Garten, die sich lebhaft mit meiner Begleitung,
aber mit leiser Stimme, unterhielten; ihre Wohlbeleibtheit
überschritt weit das gewöhnliche Maass und flösste Ekel ein.
In Beylerbey herrschte ein wahres Jahrmarktstreiben, wo
Jongleurs ihre Kunststücke unter den ohrzerreissenden Klän-
gen türkischer Musik zeigten.
Nachdem wir in aller Eile in einem Wirthshause uns
durch ein Kaviarfrühstück, wo der Kaviar in Olivenöl schwamm,
und durch eine Flasche vortrefflichen kleinasiatischen Weins
(Paschalimon) gestärkt hatten, welches reichliche Frühstück
für drei Personen etwa auf einen halben Thaler zu stehen
kam, mietheten wir zwei Kaiks, um nach Skutari zu fahren.
142
51. Kaiks.
Diese Kaiks sind schmale, spitz zulaufende längliche Boote
ift allen Grössenverhältnissen mit eins, zwei, vier bis zu zwanzig
und mehr Ruderern, gewöhnlich aber nur mit einem Ruderer.
Die Schiffsleute sind in sauberstes Weiss gekleidet, wie aus
dem Ei geschält, mit blossen Füssen und unbedecktem Haupte;
sie müssen sich ausserordentlich anstrengen, um das Boot
sicher durch und gegen die gewaltige Strömung des Bosporus
zu führen. Der Passagier kauert sich nieder in einer Ver-
tiefung des Bootes, wo ein Teppich ausgebreitet ist; er muss
mit grosser Vorsicht das Gleichgewicht halten und darf sich
kaum rühren. Das Ein- und Aussteigen ist unbequem und
gefährlich, erfordert grosse Vorsicht und Uebung. Eine Fahrt
auf dem Bosporus bei so wundervollem Wetter, wie ich es
traf, ist eine wahre Quintessenz von Wonne. Unsere Fahrt
ging am asiatischen Ufer entlang, das viel baumreicher ist
als das europäische, auch in seiner Felsenküstenbildung eine
grössere Abwechselung gewährt.
Zu den erheiterndsten Eigenthümlichkeiten von Konstaii-
tinopel gehören die Kaiks oder Wasserdroschken. Ihre Führer,
die Kaikdschi, bieten mit ihrer entblössten Brust und freiem
Halse und ihren nackten muskulösen Armen ein Bild der
Gesundheit und Kraft dar; sie sind dabei von einer Sauber-
keit, dass sie ihre schmutzigen Collegen, die venetianischen
Gondolieri, weit überstrahlen. Es sind urwüchsige Naturen,
sie glauben ohne Kritik an Allah und seinen Propheten, sind
dabei von einer vorsündfluthlichen Ehrlichkeit. Willst du dir
einen besonderen Genuss bereiten, so stöige hinab zu den
glänzenden Wassern und setze dich türken- und schneiderge-
mäss mit über Kreuz geschlagenen Beinen in eine jener flie-
genden Schwalben, versprich einige Piaster Backschisch, und
du wirst staunen über die Muskelkraft und Geschicklichkeit
der Bootführer. Wie sich die Ruder ächzend biegen, wenn
sie den Gischt des Bosporus um sich herspritzen I Die breiten
Brustkasten der Kaikdschi schwellen, das Boot springt zitternd
unter den mächtigen Streichen und zischt durch die Wellen
wie eine erzürnte Schlange. Der vordere Schnabel durch-
schneidet das Wasser wie eine Damaszener-Klinge und lässt
143
hinten eine klaffende Wunde zurück. Wilde Seevögel, welche
als verlorene oder verdammte „Seelen" unausgesetzt von der
äussersten Spitze des Bosporus his an das Ende der Darda-
nellen ruhelos hin- und herfliegen und diese Gewässer mit
ihrem unermüdlichen Gekrächze beunruhigen, sind kaum im
Stande, diese pfeilschnellen Kaiks zu überholen. Die Ka'ikdschi
sind derbe Asiaten, sie zeigen in ihrer Kraft und Ursprüng-
lichkeit noch, was einst der Türke war und lassen begreifen,
warum man ihn fürchten musste. Europa ist den Türken in
dem 400jährigen Lager zu einem Kapua geworden, in welchem
sie verweichlicht und entartet sind, so dass sie sich nur noch
durch künstliche Mittel und fremde Hülfe aufrecht erhalten.
Auf dem Bosporus im leichten Kaik bei guter Witterung
umherzuschwimmen und die Aussicht links und rechts zu ge-
messen, das ist wahre Poesie. Vom Wasser her gesehen ist
Konstantinopel die bezaubernde Hauptstadt eines Feenlandes,
wie sie sich in schwebenden Domen und glänzenden Pavillons
auf beiden Seiten der spiegelnden belebten Gewässer erhebt
und einem weichen wolkenlosen Himmel entgegen lacht. —
Nur zu bald erreichten wir die Scala von Skutari.
52. Skntari.
In Skutari stiegen wir ans Land. Es war ein ungeheures
Treiben in der heiligen Stadt. Trotz des Feiertags waren die
Läden geöffnet. Zunächst fielen uns die vielen Springbrunnen
auf, Stiftungen frommer Männer; wir kosteten das frische
Wasser mit Behagen. Wir begegneten grossen Heerden lang-
haariger Schafe, deren Wolle sich wie Seide anfühlte.
Skutari (Iskudar) war das alte Chrysopolis. Es steigt,
wie die meisten türkischen Städte, amphitheatralisch den Berg
hinauf. Es war früher die Hauptstation des asiatischen Land-
handels, hat jetzt durch anderweitige Dampfschifffahrtsverbin-
dungen (z. B. nach Trebizonde) seine frühere Bedeutung als
Handelsplatz verloren. Es ist aber der Lieblingsaufenthalt
vornehmer Türken geworden, welche sich aus Europa nach
Asien zurückziehen, und heisst: „Die heilige Stadt."
Skutari ist heute berühmt als Frucht- und Obstmarkt. Wir
kauften hier wundervolle Weintrauben und tranken dazu Wasser,
144
ganz nach türkischer Sitte, aus den von zahllosen Tauben um-
schwärmten heiligen Springbrunnen. Dann mietheten wir einen
buntbemalten Einspänner, deren eine grosse Menge aufgefahren
waren. Oben auf dem Plateau war grosser Corso der Sulta-
ninnen, wie man uns mittheilte.
53. Der grösste Friedhof aaf Erden.
Der Weg führte uns durch die sanft die Höhen aufstei-
gende Todtenstadt (Nekropolis), deren schwarze hundertjährige
himmelanstrebende Zypressen vom Berge bis ans blaue Mar-
mara-Meer sich hinabziehen. Es ist dies der grösste und
wahrscheinlich auch der am schönsten gelegene Friedhof der
Welt. Ueber eine halbe Quadratmeile ist hier mit Grabsteinen
bedeckt. Es gilt nämlich als Entweihung, einen Todten aus-
zugraben. Jeder Todte, arm oder reich, einmal ausgestreckt
auf seinem letzten Lager, schläft dort, bis die Trompete des
jüngsten Gerichts ihn auferweckt; wenigstens begehen Menschen-
hände nicht den Frevel, seine letzte Ruhe zu stören. Auch
ist es nicht gestattet, mehrere Leichen über einander zu
thürmen. Die Todten drohen hier, die Lebendigen zu vertrei-
ben. Die Grabmonumente sind so dicht an einander gedrängt,
dass kaum eine Passage dazwischen möglich ist. Nach dem
Kirchhofe zu trifft man zahllose Werkstätten von Bildhauern
für Grabmonumente an. An der Grenze des Friedhofes nehmen
fromme reiche Türken ihre Wohnung, um sich die Vergäng-
lichkeit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens vor Augeu
zu stellen. Der Tod hat für die Islambekenner seine Schrecken
verloren, erscheint ihnen als Verklärung, als Uebergang zu
einem besseren Dasein. Die. Hölle des Islam ist nur ein
Fegefeuer. Jeder Gläubige, nachdem er seine Fehler durch
kürzere oder längere, mehr oder minder erschreckliche Qualen
gebüsst hat, glaubt endlich doch der höchsten unaussprech-
lichen Seligkeit theilhaftig zu werden.
Die Türken, im Allgemeinen ernst, langsam und würdevoll
im Leben, haben nur Eile, wenn sie todt sind. Sobald ein
Muselmann gestorben ist, wird seine Leiche nach Vollziehung
der üblichen Abwaschungen im Sturmschritt nach dem Fried-
hofe geschafft, dort mit dem Antlitz nach Mekka orientirt und
145
mit wenigen Zollen Staub schnell überschüttet, damit die
Erde ihm leicht werde. Diese Hast der Beerdigung ist in
der Furcht begründet, dass der Todte so lange leidet, bis er
der Erde, von der sein Leib genommen war, zurückgegeben
ist. Am Grabe wird er vom Iman über seinen Glauben
befragt und sein Stillschweigen als Zustimmung ausgelegt.
Das Gefolge antwortet in seinem Auftrage: „Amin", und
zerstreut sich alsbald, den Todten allein lassend mit der
Ewigkeit.
Fast alle Gräber sind durch Leichensteine von Marmor
bezeichnet. Am Fussende erhebt sich eine Marmorplatte von
Mannshöhe und gewöhnlich einen Fuss breit, sie endet oben
in eine Art von Kugel, einem Menschenkopfe ähnlich, bedeckt
mit einem in Marmor ausgehauenen Turban, dessen Falten,
Grösse und Gestalt die Stellung kennzeichnen, welche der
Todte im Leben einnahm. So ist es bei Gräbern, wo ein Mann
beerdigt ist, während bei Frauengräbern der Leichenstein an
der Spitze eine Art Lotus -Stengel oder eine Weinrebe trägt
mit in Marmor ausgehauenen Weinblättern und Trauben ver-
ziert. Am Fusse dieses aufrecht gestellten Leichensteins be-
findet sich gewöhnlich eine kleine Marmorplatte, die in der
Mitte eine einige Zoll tief ausgehöhlte Oeffnung enthält, worin
die Freunde und Verwandten Blumen stecken oder Milch und
Wohlgerüche giessen; später, wenn das Grab vernachlässigt
wird, gestaltet sich diese Oeffnung zum Regenwasserbehälter,
wo die Tauben und anderes wildes Geflügel, von dem der
Kirchhof zu Skutari wimmelt, sich tränken.
Am Kopfende wird ebenfalls ein Loch angebracht und
eine Röhrenleitung eingelegt, die zum Ohre des Verstorbenen
führt, um das Wehklagegeschrei der Angehörigen besser zu
vernehmen ; es ist gewissermaassen das Kellerloch des Grabes,
die Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits, die oft
aber von hungrigen Hunden aufgekratzt wird, welche immer
die Kirchhöfe umlagern.
Auch in Skutari fielen mir die vielen Brandstätten und
Schutthaufen auf, trotzdem dass Skutari in Vergleich zu
Konstantinopel eine emporkommende Stadt ist.
10
146
54. Ein Eadliiiien - Korso.
Endlich gelangten wir auf das Plateau vor der Stadt,
genannt die Ebene von Hyder-Pacha, eine Art Exercierplatz
zwischen Skutari und den weitläuftigen Kasernen von Kadi-
Kieui. Es erwartete uns dort ein neues Schauspiel, ein förm-
licher Corso. In europäischen Equipagen, so elegant wie man
sie in Paris in den elysäischen Feldern oder zu London in
Rotten Row im Hydepark nur zirkuliren sieht, sassen stolze
Kadinnen, je zwei in jeder Kutsche, rechts und links, wo die
Fenster heruntergelassen waren, neugierig hinaussehend und
sich oft vorbeugend, während schwarze, mit langem Säbel be-
hangene Wächter an jeder Seite des Wagens daneben ritten,
um die Blicke ihrer Gebieterinnen zu überwachen. Hinter
jeder Damenkutsche fuhr ein sogenannter „Arraba", d. h. ein
niedriger, zwar überdachter, aber an den Seiten offener Wagen,
bemalt mit allen Farben des Regenbogens, wobei aber goldgelb
und feuerroth vorherrschten, in welchem Arraba sich vier bis
sechs Dienerinnen (Odalisken) befanden, seitwärts auf gepol-
sterten Bänken sitzend. Herrinnen und Dienerinnen schienen
heiter gelaunt zu sein, erstere bewahrten jedoch eine gewisse
Würde, während die Dienerinnen muthwillig unter sich schä-
kerten. Es bewegte sich ein ziemlich gleichförmiger Zug von
Karossen im Kreise um den weiten Platz herumfahrend, wäh-
rend die angrenzenden Kaffeehäuser zu Hunderten mit müssi-
gen rauchenden Türken vor den Thüren besetzt waren, die
dem Korso jedoch nur geringe Aufmerksamkeit zu widmen
schienen.
55. Der Berg Bürgerin.
Da wir unser Ziel höher gesteckt hatten, fuhren wir auf
der ziemlich guten Chaussee, die weiter nach Asien hinein-
führt, an den Fuss des Berges Bürgerin. Rechts und links
vom Wege befinden sich Villen türkischer Grossen.
Da der Berg steil ansteigt, mussten wir unser Fuhrwerk
verlassen und zu Fuss die Bergspitze erklimmen. Am Abhänge
des Berges bemerkten wir verschiedene Harems auf Teppichen
ausgebreitet, im Genüsse der schönen Natur versunken, sich
147
mit Wasser und Süssigkeiten erfrischend. Kurz unterhalb des
Gipfels ist ein Brunnen herrlichen Wassers , Dschamlia ge-
nannt, von welchem der Sultan zu trinken pflegt, der sich
hier auch einen Kiosk erbaut hat. In der Nähe dieser Quelle
breiten ein Kastanienbaum, zwei Linden und drei Platanen
ihre Aeste aus und laden zum Ausruhen ein. Wir müssen
indessen weiter eilen, um noch vom höchsten Gipfel die wun-
dervolle Aussicht bei Sonnenbeleuchtung zu gemessen. Oben
auf der Spitze des Berges ist ein kleines türkisches Kloster.
Ein Backschisch eröffnet uns den Zugang, es liegt ein Riese
dort begraben, Taschiloba nennt ihn uns der Mönch. Das
Riesengrab ist zwölf Fuss lang und soll 1300 Jahre alt
sein. Die Türken haben eine wahre Wuth auf Riesengräber.
Vor unseren Blicken liegen links die Gefilde von Brussa
ausgebreitet. Unsere Blicke schweifen nach Asien hinein, un-
sere Aussicht wird begrenzt von dem hohen Olymp bei Brussa.
Vor uns liegt die ganze Propontis, das Weisse Meer, ausge-
breitet, unmittelbar vor uns die sieben Prinzeninseln in näch-
ster Nähe. Wir können bis in weite Ferne von unserem
1000 Fuss über dem Meere erhobenen Standpunkte die Ge-
birgskette am nördlichen Ufer des Weissen Meeres verfolgen,
man zeigt uns in weiter Ferne zu unserer Rechten den thra-
zischen Olymp ; während wir zu unserer Linken die schneebe-
deckten Gipfel des Olymps von Brussa erblicken.
Doch die Schatten werden länger, wir beobachten einen
prachtvollen Sonnenuntergang, eilen im Sturmschritt den Berg
hinunter, um unser Fuhrwerk wieder zu besteigen. Es ging
im Galopp die Chaussee nach Skutari hinunter. In der Vor-
stadt gewahrten wir einige nach europäischer Weise gebaute
Häuser, davor eine Gruppe Spanierinnen, in weissen Gewän-
dern, mit langen schwarzen, bis auf den Boden herunter hän-
genden Zöpfen; man erzählt uns, dass hier reiche spanische
Juden ihre Wohnungen vor der Stadt aufgeschlagen haben.
56. Nächtliche üeberfahrt von Asien nach Europa.
In der Stadt Skutari ist es einstweilen stockfinster ge-
worden, nur die Ortskenntniss unseres türkischen, in Skutari
ansässigen Fuhrmanns führt uns durch das Strassenlabyrinth
10*
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zum Hafen. Jedoch alles Treiben ist dort verstummt. Die
Dampfschifffahrtsverbindung mit Stambul hat seit Sonnen-
untergang aufgehört, wir sind in grosser Verlegenheit, wo wir
den Morgen abwarten wollen; schon umringen uns Hunde-
schaaren und bellen uns an. Dennoch gelingt es uns, zwei
Ka'iks zu miethen, um uns nach Galata von einem Welttheile
zum anderen durch die reissende Strömung überzufahren.
Meine Reisegefährten nahmen das eine Kaik in Beschlag, ich
das andere. Mit Angst stieg ich hinein, da die Fälle nicht
selten sind, wo Ka'iks umkippen und man ihren Inhalt nie
wieder sieht; auch soll es vorkommen, dass unvorsichtige
Franken von dem Bootführer ausgeplündert und selbst ins
Meer geworfen werden, um nie wieder zum Vorschein zu
kommen. In der Dunkelheit traten mir alle diese Gefahren
lebhaft vor Augen. Jedoch es erschien mir ein rettender Engel
in der Person eines türkischen Polizeibeamten, der sich eben-
falls in Skutari verspätet hatte: er bat um Erlaubniss, mich
begleiten zu dürfen, was von mir freudig akzeptirt wurde.
So durchschnitten wir die Salzfluth. Doch kaum waren wir vom
Ufer abgestossen, so ging der Mond über den Bosporus auf, und
erhellte die wundervolle Theaterdekoration. Mein redseliger
Polizist wollte durchaus Konversation mit mir anknüpfen, er
verstand aber nur Türkisch, so dass wir uns schliesslich mit
Pantomimen aushelfen mussten, um uns zu verständigen.
57. Kiz-Kulessi oder Leander -Thurm.
Wir fuhren rings um den einsamen Felsen im Meere, den
die Türken Kiz-Kulessi nennen, die Franken den Jungfrauen-
oder Leander- Thurm. Thatsache ist, dass der athenische Feld-
herr Chares hier seine Gattin Damalis begraben liess, die ihn
auf seinem Feldzuge gegen die Flotte Philipp*s von Macedonien
begleitet hatte und starb. Die Türken indessen erzählen fol-
gende Legende:
Eine Wahrsagerin hatte dem Sultan Mohammed voraus-
gesagt, dass seine Tochter an dem Bisse einer giftigen Schlange
sterben würde. Er liess daher im Meere diesen Thurm er-
bauen und seine Tochter dort übersiedeln. Er war sicher,
dass keine Schlange ihren Weg doi-thin finden konnte.
149
Meharschegid, so hiess die Tochter, wuchs heran und blühte
so wundervoll auf, dass der Ruf ihrer Schönheit in alle Lande
und auch bis zu den Ohren des Schachs von Persien erscholl.
Derselbe entschloss sich, ihr seine Liebe zu erklären. Er
liess zu diesem Zwecke ein prachtvolles, sinnreich ausgewähl-
tes Blumenbouquet anfertigen, das der schönen Gefangenen
Kunde bringen sollte von seiner Leidenschaft.* Unglücklicher
Weise hatte sich in die Blumen eine Schlange eingeschlichen,
welche die Prinzessin biss und tödtlich verwundete. Da erschien
der Liebhaber plötzlich und sog das Gift aus der Wunde.
Mohammed belohnte den Muth des persischen Prinzen und
gab ihm seine Tochter zur Ehe.
58. Rückkehr nach Pera.
Als ich im Mondschein beim herrlichsten Himmel unter
dem Felsen vorbei fuhr, kam mir diese Legende in den Sinn.
Unsere Fahrt ging glücklich von statten. Wir landeten in
Europa beim Zollhause von Galata. Mein Gefährte, der Poli-
zeibeamte, half mir aus dem Ka'ik steigen, was bei dem Schau-
keln des unsicheren Ka'iks nicht ohne Gefahr ist. Ich legte
die halbe Stunde Weges vom Hafen durch Galata bis zu meinem
Hotel im Mondschein zurück, kam dort ermüdet und ausge-
hungert an. Meine gewöhnlichen Tischgenossen, der preussi-
sche Konsul und ein Sekretär der Gesandtschaft, waren bereits
beim Dessert angelangt. Ich hielt die Herren zurück mit der
Erzählung der Erlebnisse des verflossenen Tages, und gegen
neun Uhr begannen wir unsere gewohnten nächtlichen Wan-
derungen durch den Jardin des fleurs, nachher durch den
Zypressenhain des kleinen Todtenackers, über den armenischen
Kirchhof, und betrachteten die schön vor uns ausgebreitete
Mondscheinlandschaft, namentlich die schimmernden Wellen
des Bosporus.
59. Die Frinzeninseln. Prinkopo.
Am 4. Oktober, Sonntag früh, wurde von mir eine Fahrt
nach den Prinzen- oder Prinzessinneninseln unternommen.
Der dafür bestimmte Dampfer war von der Galata-Brücke aus
150
zu erreichen. Bei dem furchtbaren Gedränge auf der Brücke
war es schwierig, sich den Weg zum richtigen Dampfschiff zu
bahnen. Im Nu war unser Dampfschiff überfüllt, da das
schöne Wetter viele Menschen zu dieser Vergnügungsfahrt auf-
gefordert hatte. Diese Inseln heissen Prinzeninseln, weil
die Prinzen des griechisch-oströmischen Kaiserreichs dort ihre
Sommervillen hatten; Prinzessinneninseln, weil die
Prinzessinnen, die aus Liebe gesündigt hatten, dorthin ver-
bannt zu werden pflegten, um ihre Schuld zu büssen, dafür
aber diese Inseln durch fromme Stiftungen bereicherten. Die
Türken nennen diese Inseln „die Priesterinseln" wegen der dort
gegründeten Klöster. Unsere Fahrt ging um die Spitze des
Serai vorbei ins Marmara-Meer, wo diese Inseln, vier grössere
bewohnte (Proti, Antigene, Chalki und Prinkopo)^ und drei
kleinere unbewohnte, nackte Felsenriffe, in der Nähe der
kleinasiatischen Küste sich befinden. Diese Inseln werden
ausschliesslich von Christen, vorzugsweise Griechen, bewohnt,
welche dort wahrhaft im Naturgenusse schwelgen. Die Fahrt
ging längs der asiatischen Küste bei Kadikeui entlang, dessen
stattlichen, nach europäischer Art angelegten Quai wir vom
Schiffe aus beschauen konnten, eben so wie das Monument,
welches die Engländer ihren im Krimmkriege gefallenen Lands-
leuten dort gesetzt haben. Während Skutari fast ausschliess-
lich von Türken bewohnt wird, haben sich in Kadikeui (Chal-
cedon) in neuerer Zeit vorzugsweise Christen, namentlich
Griechen und Armenier, niedergelassen.
Wir landeten nach anderthalbstündiger Fahrt in Prinkopo,
der bedeutendsten und am meisten bewohnten Insel. Eine
Anzahl Kaffeehäuser mit Gärten breiten sich am Strande aus.
.Am Landungsplatze wurden wir mit Musik empfangen, die in
einem benachbarten öffentlichen Garten konzertirte. Es ist
diese Insel der Sommeraufenthalt reicher griechischer und
armenischer Familien, und war namentlich die Damenwelt
reichlich vertreten. Mit besonderer Vorliebe kultiviren Grie-
chen und Griechinnen die Fülle ihres Haarwuchses. Eben so
wie die Coiffure ist die Chaussure Gegenstand raffinirter Ueber-
legung; die kleinen Füsse werden in engeBottinen eingezwängt,
so dass die Leichdornen-Operateurs hier vollauf Beschäftigung
finden. Die griechischen Schuhmacher sind daher berühmt,
151
weil sie es lernen müssen, sich den Anforderungen ihrer
Kundschaft anzubequemen. In Prinkopo empfing man den
Eindruck eines fashionablen Badelebens. Trotz der vorge-
rückten Jahreszeit hatte das Meereswasser nach dem Gefühle
noch wenigstens eine Temperatur von 18 ^ R. Die Hausbe-
sitzer haben hier überall Badehäuser, welche sie an die Frem-
den vermiethen, angelegt; aus einem solchen Badehause kann
man nachher in die ofi'ene See hinausschwimmen, wie ich es
zu meiner Erfrischung that.
Nach dem Bade forderte mich meine siebenbürgische
Reisebekanntschaft auf, in der Villa Giacomo zu dejeuniren.
Ich lehnte ab. Erst die Pflicht und dann das Vergnügen!
Meine Absicht war, die Insel zu exploriren. Ich machte mich
zu diesem Zwecke beritten auf einem Esel und entwand mich
den . sybaritischen Genüssen der Tafel. Zunächst durchritt
ich das lange, an einem Berge hinansteigende Dorf, das aus
lauter malerischen Villas mit Fernsicht auf das Meer besteht,
wohin wohlhabende Leute sich im Alter zurückziehen, um fern
vom Geräusche der Welt ein Stillleben zu führen. Hernach
kam ich zu einem in einem Fichtenwalde gelegenen griechi-
schen Kloster, wo mich ein frommer Bruder mit frisch ge-
keltertem Moste von Weintrauben, die in eigenem Garten
gewachsen waren, bewirthete. Dann setzte ich meine Exkur-
sion auf dem Grat des Gebirges, bis zum höchsten Punkte mit
meinem Esel emporklimmend, fort, während das arme Thier
bei der Mittagshitze unter der Last seines erbarmungslosen
Reiters keuchte. Auf dem höchsten Punkte, den ich auf
mindestens 800' schätze, fand ich wieder ein griechisches
Kloster. Da inzwischen mein Magen sein Recht verlangte,
bat ich um Brot, Käse und Wein, womit die mitleidigen
Mönche mich und meinen Eseltreiber auch freundlich versorg-
ten. Zu meinen Füssen breitete sich dann eine Rundsicht
aus, die geeignet war, mich in Entzücken zu versetzen. Der
Himmel war wolkenlos, die Luft heiter, durchsichtig und lau.
Ich konnte die Insel in ihrer ganzen Ausdehnung übersehen,
dann umgab mich ringsherum das Marmara-Meer, die bithyni-
sche Küste konnte ich bis in weite Ferne verfolgen.
152
60. Der Thnrm zu Oalata.
Mitten in Galata steht auf einem Berge ein von den Ge-
nuesern erbauter 140 Fuss hoher Thurm, die Christus -Bastei
genannt. Dieser Thurm des Anastases dient als Feuerwache.
Wir nahmen Gelegenheit, von seiner Spitze einen der schön-
sten Sonnenuntergänge zu betrachten, und unsere Blicke bei
dieser Beleuchtung über das zu unseren .Füssen ausgebreitete
Stambul umherschweifen zu lassen, mit dessen einzelnen be-
merkenswerthen Punkten wir schon längst vertraut geworden
waren.
In dem Momente, als die Sonne unterging, breitete der
Thurm- und Feuerwächter seinen Teppich auf der Erde aus
und begann seine religiösen Zeremonien, in der Richtung nach
Mekka fünfmal die Erde mit seiner Stirn berührend, mit
übereinander gekreuzten Annen Gebete murmelnd.
Nachher erhob er sich freudig im Bewusstsein treu erfüll-
ter Pflicht. Als ich hinuntersteigen wollte, gab er mir das
Geleit, mit einer Kerze mir behutsam voranleuchtend imd
mich auf jede ungleiche Stufe aufmerksam hinweisend.
61. Goldenes Hörn und die süssen Wasser von Europa.
Der Hafen von Konstantinopel, schon von den Alten das
Goldene Hörn genannt, ist beinahe eine deutsche Meile lang
und drei Mal überbrückt; an einigen Stellen gegen 1500 Fuss
breit. Der Hafen zerfällt in zwei Theile, den Theil für Kauf-
fahrteischifife und den für Kriegsschiffe ; in dem letzteren lagen
mehrere Kriegsschiffe vor Anker; daran grenzen die Docks
und die Schiffswerfte, in welchen die Kriegsschiffe ausgebessert
und neu gebaut werden. Zahllose Kaiks und Böte jeder Grösse
wimmeln im Hafen, man bemerkt dort viel Bewegung und
Leben. Der Hafen verengt sich bei der Ejub- Moschee, an
einer Stelle, wo vormals der Palast der griechischen Kaiser
stand. In der Ecke des Hafens ergiessen sich in das Goldene
Hörn zwei kleine Flüsse, welche die Erdbeschreiber des Alter-
thums Kydaris (Alibeykeusu) und Berbyses (Kiahatsu) nann-
ten. Die Franken bezeichnen dieselben mit der gemeinschaft-
lichen Benennung der „süssen Gewässer von Europa". Das
153
Thal, in welchem sich der Kiahatsu dahinschlängelt, ist über
alle Beschreibung schön. Es ist am Sonntag Nachmittag der
Versammlungsort der christlichen beau monde. An dem Flusse
Kiahatsu, einige Tausend Schritt von seiner Mündung,' steht
ein Schloss des Sultans, Kiahathane genannt. Den Vorhof
dieses Schlosses bildet ein freier Platz, wo sich die Pagen des
Grossherrn in kriegerischen Spielen üben.
Ungeheure Zypressen und Platanen verleihen dem Thale
Kiahathane viel Anmuth. Die Türken legen grossen Werth
auf hohe schattige Bäume. Bei dem Schlosse des Sultans be-
finden sich weitläuftige Gartenanlagen, welche in Abwesenheit
des Hofes dem Publikum oflEen stehen. Auch an Sonntagen
erscheinen hier türkische Harems und gruppiren sich malerisch
auf Teppichen, die auf dem Rasen ausgebreitet sind.
62. Besestan- Bazar.
Der Besestan ist eine ganze Stadt, er besteht aus vielen
gewölbten, sich kreuzenden Gassen, eigentlich gemauerten Gän-
gen. Die Waaren derselben Gattung werden in derselben
Strasse feilgeboten. Es existirt ein eigener Waffen bazar,
wo man die seltensten und kostbarsten Waffen ausgestellt
findet, für welche freilich fabelhafte Preise gefordert werden.
Ebenso ist ein eigener Gewürzbazar vorhanden, ganze Gassen
von Goldarbeitern, Juwelenhändlern, Buchhändlern, Fussbe-
kleidungsfabrikanten , Händlern mit Shawls, Teppichen, kost-
baren Schlafröcken u. s. w.
Die Ruhe und Gelassenheit, womit die Türken ihre Han-
delsgeschäfte betreiben, ist klassisch; man bemerkt nie die
Heftigkeit, womit bei uns Käufer und Verkäufer sich gegen-
seitig ereifern, um sich zu übervortheilen. Bei dem dritten
Worte ist ein Handel gemacht, oder man trennt sich.
Die Gewinnsucht hält den Muselmann nicht ab, die täg-
lichen fünf Gebete genau zu verrichten. Sobald der Muezzin
die zum Gebet bestimmte Stunde ankündigt, eilen alle seinen
Ruf hörenden Gläubigen nach der nächsten Moschee. Die
Kaufleute lassen meistens ihre Gewölbe oflfen, und ziehen nur
einen Bindfaden vor dieselben, um dadurch anzudeuten, dass
sie bald zurückkommen werden. Dies ehrenvolle Zutrauen
154
wird nach Verdienst gewürdigt, die Türken halten ihre Hände
rein vom Diebstahl.
Ich machte mehrere Einkäufe im Bazar, kaufte z. B.
einige türkische Bücher, eine rothe wollene Tischdecke mit
Seidestickereien (enthaltend den Namenszug des Sultans und
Sprüche aus dem Koran), ein Paar prachtvolle Pantoffeln aus
blauem Sammt mit ächten Goldstickereien u. s. w. Meine
Befürchtung, getäuscht zu werden, da der Kaufmann meine
Unerfahrenheit und ünkenntniss in dergleichen Dingen gewiss
wahrgenommen hat, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegen-
theil habe ich ganz solide Waare gekauft zu ungewöhnlich
billigen Preisen, wie man mir hier allgemein bezeugt. Nach
abgeschlossenem Kaufe bewirthete mich der türkische Handels-
mann mit süsser gewürzter Mehlspeise und drückte mir seine
Befriedigung und Freundschaft aus, was mir damals um so
mehr Verdacht einflösste, hintergangen worden zu sein. Ich
leiste dem edlen Manne hiermit Abbitte für meinen unbegrün-
deten Argwohn.
Der Waffenbazar wird um 3 Uhr Nachmittags geschlossen,
die übrigen gegen 5 Uhr Nachmittags. Es muss hier ein
riesiger Waaren- Umsatz bewirkt werden. In der Nähe des
Bazars sind eine Anzahl Chans, viele Kaffeehäuser und tür-
kische Bäder.
63. Häuser - Amenblement.
Jenseits der Galata-Brücke schimmert im Goldglanze das
alte Stambul, feenhaft von aussen, hölzern, schmutzig, moderig
und muffig im Innern. Da die türkischen Häuser genau wie
die griechischen eingerichtet sein soUen und ich mehrere
griechische Häuser besucht habe, kann die Beschreibung eines
griechischen Hauses seine Anwendung finden auf die türkischen
Häuser. Den Mittelraum des Hauses nimmt ein Saal ein, den
man „Selamlik" (Begrüssungszimmer) nennt. Die an der einen
Seite an den Selamlik anstossenden Gemächer bewohnt der
Eigenthümer selbst, die andere Seite ist seinem Harem, d. h.
den Frauen und Kindern, eingeräumt. Das Ameublement ist
einfach, der Spiegel giebt es wenige ; Gemälde- und Bildhauer-
Arbeit,- welche menschliche Figuren darstellen, sind den Tür-
155
ken durch den Koran verboten. Die Wände sind nicht tape-
ziert, an Stelle von Tapeten mit einer glänzenden Oelfarbe
angestrichen. In den meisten Häusern sind die Wände weiss,
die Fussböden getäfelt, die Decken blau, roth und gelb ge-
malt. Die Stuben sind mit niedrigen breiten Sofas an den
Wänden versehen, auf denen oft zwei bis drei Reihen Polster
liegen, um Haupt, Schultern und Arme anzulehnen.
In den Häusern der Leute niederen Standes ist ebenfalls
ein oberflächlicher Anstrich vorhanden, aber dahinter und
darunter ist Alles hohl, wurmstichig und wanzig.
64. Die Frauen in Konstantinopel.
Bei den Muselmännern haben die Frauen keine gesell-
schaftliche Stellung, sie üben nicht die Herrschaft des Hauses,
wie bei uns. Die türkischen Frauen sind zu der verächt-
lichen Rolle von Buhlerinnen und Sklavinnen herabgewürdigt,
nicht einmal der Besuch der Moscheen und das gemeinschaft-
liche Gebet mit den Männern im Gotteshause wird ihnen ge-
stattet.
Die türkischen Frauen tragen Oberkleider, welche den
Mänteln unserer Männer gleichen, mit mehreren über ein-
ander fallenden, nach unten hangenden Kragen. Diese
Oberkleider (Jermaks) sind aus feinem Tuche angefertigt, hell-
farbig (grün, roth, gelb). Die Mohrinnen pflegen sie aus-
schliesslich gelb zu wählen. Die hellen Farben sind von ma-
lerischer Wirkung. Doch wird der leichte schwebende Gang,
worin die Pariserinnen sich so auszeichnen, durch die Weite
dieser Mäntel gehindert; da der Mantel wegen seiner Länge
nachschleppt, sind sie gezwungen, ihn zu halten und zu heben.
Der transparente Schleier, der ihre Stirn, das Kinn und die
Wangen bedeckt, aus welchem nur die Augen und die Nasen-
spitzen hervorschauen, wird Machrema genannt ^^^ ist von
weissem feinstem Muslin.
Die Fussbekleidung, bestehend in farbigen eng anschliessen-
den, mit Gold- und Silberstickereien versehenen Bottines, scheint
für die vornehmen Damen ein Gegenstand besonderer Sorgfalt
und Eitelkeit zu sein. Die Damen der niederen Stände schlot-
tern dagegen in gelben Pantoffeln unsicheren Ganges einher.
156
Die niederen Frauen sind zu harter Sklavinnenarbeit
verdammt, wie wir sie auf den Feldern die anstrengendsten
Arbeiten haben verrichten sehen, während die Männer ruhig
im Dorfkaffeehause ihre Pfeife schmauchten. Dagegen sollen
in den Harems der Grossen die theuer erkauften Tscherkessin-
nen und Georgierinnen nach alt türkischer Manier auf Tep-
pichen und Divans umherliegen und faulenzen; ihr Kultur-
fortschritt soll sich beschränken auf den Uebergang vom Nar-
gileh zur Zigarette. Ihre kostbaren Kleider, in denen sie
während der Nacht schliefen, hangen zerknittert um ihre
schlaffen Glieder, während die schmarotzenden Autochthonen
des Kopfes zwischen den ungekämmten Haaren und glänzenden
Juwelen ungehindert und unverschämt umherkriechen. Dabei
soll der Luxus in kostbaren Geweben, Spitzen, Edelsteinen u. s.w.
unsinnig sein. Unter dieser Haremswirthschaft der Grossen
kann kein Familienleben und Glück gedeihen, keine staatliche
Gemeinschaft erstarken. Alles ist mit dem Fluche der Ver-
nichtung und des Untergangs beladen.
65. Islam.
Das Hauptdogma des Islam ist: „Ich glaube an Gott,
seine Engel, sein Gesetzbuch, seine Propheten und die Vorher-
bestimmung zum Guten und Bösen (Fatalismus)." Wegen
seines unerschütterlichen Glaubens an ein Fatum fügt sicli der
Muselmann in alle Lagen des Lebens mit unüberwindlichem
Gleichmuth, der jeden Widerstand gegen drohendes Missge-
schick aufhebt. „Gott ist gross, er gab es, er nahm es",
spricht der Muselmann. Das heilige Buch der Türken ist der
Koran, deutsch „zu Lesendes". Der Koran wird von den
Muhamedanern als der Maassstab alles Rechts und aller
Uebungen anerkannt, als dasjenige, woran man sich in der
Forschung und im Leben zu halten habe, als die Botschaft,
welche unmittelbar vom Himmel gesandt worden ist.
66. Fremde nnd Einheimische in Konstantinopel.
In Konstantinopel ist ein Zusammenfluss verschiedener
Nationalitäten, ein wahres Simmelsammelsurium, ein Pandä-
monium, wie nirgends sonst auf der Erde. In Konstantinopel
kommen die Abenteurer aus drei Welttheilen zusammen:
157
Deutsche, Franzosen, Engländer, Italiener, Holländer, Schwe-
den, Ungarn, Polen, Russen, Walachen, Serben, Bulgaren, Zigeu-
ner, Griechen, Juden, Armenier, Tscherkessen, Perser^ Araber,
Barbaresken, Neger aus allen Theilen Afrika's fliessen hier
zusammen. Die occidentalischen Nationalitäten werden unter
dem Namen „Franken" begriffen, der Türke bezeichnet sie als
„Hutträger". Die dritte Person, der man in Konstantinopel
begegnet, ist ein Schwarzer. Alle diese Racen treiben sich
hier auf einem kleinen Räume in buntem Wirrwarr, herum.
Es sind disparate gesellige Zustände. Kein Charakter ist rein
original ausgesprochen, nichts als Uebergänge, ohne Grenzlinien,
in beständiger Vermischung; jeder hat aus seiner bunten Um-
gebung etwas in sich aufgenommen.
Die Anzahl der Deutschen in Konstantinopel beläuft
sich auf 8000, sie stehen zum Theil unter östreichischem
Schutz, zum Theil unter preussischem. Die Deutschen unter-
halten hier drei Schulen, eine östreichische, eine preussische
und eine deutsche, wie sie sich ausdrücken. Die östreichische
Schule unter dem verdienstvollen Direktor Dethier haben wir
aus eigenem Augenschein näher kennen lernen. Die Deutschen
haben einen- besonderen Verein: „Die Teutonia", welcher sein
Gebäude in der Hauptstrasse von Pera gemiethet hat, mit
einem Garten, der eine wundervolle Aussicht auf den Bosporus
bietet, wofür sie 2000 Thaler Miethe bezahlen. In dem Lokal
der Teutonia befindet sich ein Lesezimmer mit den gelesensten
deutschen Zeitschriften, eine Kegelbahn u. s. w., es wird dort
Wiener Bier vom Fass gezapft. In Konstantinopel bedeutet
„deutsch" soviel als „ehrlich" und „tugendreich". Die Deutschen
in Konstantinopel sind bekannt wegen ihrer Biederkeit, Emsig-
keit, Ausdauer und Geduld. Sie gehören vorzugsweise dem
Handwerksstande an. Alle Kunsttischler, Drechsler, Schlosser,
Tapezierer u. s. w. sind Deutsche; die Schlösser des Sultans
werden fast ausschliesslich von deutschen Handwerkern herge-
richtet und ausgeschmückt. Der Unterschied der Jovialität
und Munterkeit des Süddeutschen und der ernsteren Stimmung
und besonneneren Haltung des Norddeutschen hat sich auoh
in so weiter Ferne noch nicht verloren. Die Tugend der
deutschen Mädchen ist über allen Zweifel erhaben; die Sän-
gerinnen, Violinspielerinnen und Harfenistinnen aus Deutsch-
158
Böhmen verheirathen sich vortheilhaft an Gewerbtreibende,
Kauf leute, Aerzte u. s. w. Ein in Konstantinopel in Funktion
befindlicher Diplomat sagte mir wörtlich: ^Die böhmischen
Musikmädchen tragen viel dazu bei, Konstantinopel zu ger-
manisiren."
Schildern wir kurz einige Nationalitäten, die in Konstan-
tinopel verbreitet sind:
Der Grieche zeichnet sich aus durch die Regelmässig-
keit seiner feinen Gesichtszüge und seine grosse Beweglich-
keit; Schlauheit und Verschmitztheit sehen ihm aus den Augen;
er übervortheilt im Handel jeden, der mit ihm Geschäfte ab-
schliesst. Die Griechinnen sind sehr gefallsüchtig, wählerisch
in coiffure und chaussure, „Elles posent merveilleusement."
Der Armenier hat scharf geschnittene Züge, eine her-
vorspringende Adlernase. Die Armenier sind die Intendanten
der Paschas und die Pächter der Staats-Steuern und Einkünfte;
sie bilden „la haute finance." Im Handwerkerstande sind sie
Gold- oder Silberschmiede.
Die eigentlichen Türken haben meistens eine untersetzte
Gestalt, sie inkliniren zur Fettleibigkeit; ihre Gesichtszüge
sind schlaff und molluskenartig; Apathie und Indolenz sind
in ihren Zügen ausgeprägt, die Nase ist stumpf, die Backen-
knochen stehen hervor, die Augen sind geschlitzt; sie verrathen
die tartarische Abkunft und ihre Verwandtschaft mit dem
mongolischen Typus. Gutmüthigkeit, Barmherzigkeit, Wohl-
thätigkeitssinn und Ehrlichkeit sind bei ihnen angebome Tu-
genden. Die Türken von besserer Erziehung zeichnen sich
aus durch ihre Leichtigkeit und Gefälligkeit im Umgang, ihre
feinen insinuirenden Manieren, ihre Gewandtheit in Damen-
gesellschaft, so dass sie alle Europäer in geselliger Beziehung
in den Schatten stellen und sicherlich die allgemeine Gunst
und Beliebtheit sich ihnen zuwendet. So sind die türkischen
Diplomaten im Auslande stets die bevorzugten Lieblinge, „les
lions de la haute societe."
Die kräftigsten und markigsten Figuren findet man unter
den Arabern, welche meist als Kaikdschi (Nachenführer)
und Hamals (Lastträger) dienen. Sie entwickeln eine Kör-
perkraft und Ausdauer, dabei eine Geschicklichkeit für ihren
Beruf, die zur Bewunderung auffordert.
159
Ihnen zunächst stehen die Perser von schlanken, wohl-
geformten Körperverhältnissen und dunkler Hautfarbe, erkennt-
lich an den hohen, spitz zulaufenden Mützen von schwarzem
oder grauem Schafpelz und dem weiten flatternden Kaftan.
Erwähnen wir hier noch jene dunkelbraunen Pferde-
burschen, die stundenlang neben den Steigbügeln ihrer tra-
benden Herren wie Windhunde herlaufen; sie gehören dem
Stamme der Lazem- am Schwarzen Meere an, welcher auch
die Feldarbeiter, Gärtner, Holzhauer und Tagelöhner aller
Art für das schöne Land Thrazien liefert.
Ferner die Hamals, jene vierschrötigen Lastti^äger, die
wie begraben unter den Lasten auf ihren Rücken einhereilen,
sind Türken von den Ufern des Schwarzen Meeres und noch
Ueberbleibsel der alten furchtbaren Sekte von Anhängern
Mohameds, vor denen einst drei Welttheile zitterten. Der
Hamal trägt ganze Fuder von Steinen, Waarenballen, Bauholz
oder Möbeln auf seinem massiven Rücken die steilen steinigen
Wege entlang, wie es ihm kein Pferd mit einem beladenen
Wagen nachmachen würde.
67. Schlnssbetrachtung über EonstantinopeL
Gläubige Türken in Konstantinopel lassen sich auf dem
grossen Kirchhofe gegenüber in Kleinasien begraben, um in
heimischer, geweihter Erde zu ruhen. In Europa fühlten
sie sich nie zu Hause. Ihre europäischen Besitzungen haben
sie stets als ein zeitweilig bezogenes Feldlager betrachtet.
Sie fühlen längst, dass sie von europäischer Kultur besiegt
und bezwungen sind.
In Konstantinopel sind drei Zivilisationen übereinander
gelagert: 1) Die griechisch -oströmische, welche noch heute
die wahre reale Grundlage der Lebensanschauung in Konstan-
tinopel bildet; 2) die türkische, welche nur oberflächlich die
ursprüngliche griechisch -oströmische Zivilisation überwuchert
hat. Die Türken haben als Fremde und Eroberer lange genug
in diesen paradiesischen Regionen gefaulenzt und geschwelgt.
Die weiche Luft Konstantinopels und der Fatalismus ihres
Korans haben sie noch mehr entnervt. Auf ihren Beinen
kauernd, Mokka trinkend und Tabak rauchend, sehen sie mit
160
schwermüthiger Gleichgültigkeit zu, wie sie allmählig über-
wältigt werden. 3) Seit dem Tage, wo Redschid Pascha vor
dreissig Jahren die grosse Reformproklamation vom Altan
des Rosenhauses im Sera'i der lauschenden Menge vorlas, ge-
wannen europäische Kultur und Christenthum nicht nur Dul-
dung,, sondern auch Bürgerrecht und manches Privilegium im
türkischen Reiche.
Merkwürdig genug ist eine Sache, die ich nicht geahnt
hatte, es ist das Deutschthum, das sichtbarlich hier alle an-
deren Nationalitäten überholt hat; alles redliche Gewerbe in
Konstantinopel ist in deutschen Händen; die Italiener haben
hierher nur ihre Betrügereien und Spitzbübereien, die Franzosen
ihre frivole ünsittlichkeit verpflanzt; ja selbst bei den Türken
ist die volle Sympathie nur für die Deutschen. In Pera sind
die deutschen Bierkneipen (Karl Keilhau in der grossen Strasse)
u. s. w., die deutschen Vereine (die Teutonia) obenan. Die
Haremsdamen kommen heimlich hierher, um den deutschen
Liederweisen zu lauschen, die aus den Kaffeehäusern und aus
den Sälen und dem Garten der Teutonia im kräftigen melo-
dischen Männergesang hervortönen.
-♦—
Anhänge.
Notizen über das Bahnnetz in Rumänien,
amtlich festgestellt am 10. Dezember 1869.
A. Die Vr. Strousberg'sche CeneesdoD unfasst folgende Linien i
a. im Bau begriffen:
1) Galatz - Tecuciu - Adjut - Bakau - Roman . 244,5 Kilom. *)
2) Galatz - Bra'ila - Buseo - Mezil - Plojesti -
Bukarest 271,5 v
3) Tecuciu - Berlad „ „ 49,o „
4) Bukarest -Pitesti „ „ 107,o „
b. demnächst in Angriff zu nehmen:
Pitesti -Slatina-Crajova-Tum-Severin . . 224,o r
c. es werden Vorarbeiten gemacht für:
Buseo - Rybnic - Focsani - Maracesti . . . 90,o „
Ausser diesen concessionirten Linien sind Vorar-
beiten gemacht worden für:
Tecuciu - Belgrad - Kilia - Jibriani ....
resp. Galatz -Kheny-Bolgrad -Kilia- Jibriani
Tecuciu - Furgeni (Lagerbahn)
Es sollen noch femer bearbeitet werden
die Anschlüsse:
von Adjut über Okna an das ungarische
Bahnnetz,
von Buzeo nach Kronstadt,
von Tum-Severin an das ungarische Bahnnetz.
Ueber letztere drei Linien schweben noch die Verhandlungen.
180,0 Kilom.
164,0 „
8
)0
7V2 Küometer = 1 geogr. Meile
11
162
B. Bie Staatsbahn Bukarest - diwgewo, von Eng-
ländern gebauet (fertig) 67,o Kilom.
C. Offenhein'sche Bahn , Boman - Suczawa bis
zum Anschluss an die Lemberg - Czer-
nowitzer Bahn mit einer vor Boman ab-
gehenden Zweigbahn nach Jassy (fertig) 220,© „
Galatz -Boman und Galatz - Bukarest, begonnen im Juli
1868 in den Vorarbeiten, mit den Erd- Arbeiten bei Galatz,
im November bei Bacau, ist heute mit Ausnahme schwieri-
ger Einschnitte an den Höhen von Galatz, am Sereth bei
Cosmesti, 1 ,Meile hinter Tecuciu, und an der Bistritz bei
Bacau in den Erdarbeiten fast vollendet. Es sind bereits viele
Meilen Schwellen und Schienen gelegt |und werden bei Bukarest,
Braüa und Galatz bereits mit der Locomotive Arbeitszüge ge-
fahren. Die Strecken in der Walachei sind als Flachland, die
der Moldau aber mindestens als Hügelland zu bezeichnen. Es
kommen daher auch in der Moldau Steigungen von 1:100
vor, in der Walachei nur einmal und zwar vor Plojesti.
Die Durchlässe und grossen Brücken sind trotz ihrer
grossen Zahl, trotz stellenweise schwieriger Fundirung, trotz-
dem dass das Material oft weit hergeholt werden musste, bis
auf wenige Pfeiler schon vollendet. Der Ueberbau der grossen
Brücken ist in Schmiedeeisen meistens als Parabelträger, ab-
gestumpfte Parabelträger und als Fachwerksträger konstruirt.
Die vorkommenden lichten Spannenweiten sind 40', 60', 72',
120', 150'. Die bedeutendsten dieser Brücken sind: die beiden
Sereth - Brücken bei Barbosi, 1 Meile von Galatz, und bei
Cosmesti, 1 Meile von Tecuciu, die Trotus-Brücke bei Adjut,
die Bistritz-Brücke bei Bacau, die Moldova-Brücke bei Eoman,
die Telegea- und Crikow-, Prahova- und Jalomitza- Brücke,
resp. diesseits und jenseits Plojesti. Die Sereth -Brücke bei
Cosmesti hat neun Oeffnungen ä 120'. Bistritz-Brücke 5 ä
120'. Moldarva 8 ä 72'. Trotus 1 ä 60', 2 ä 120', 4 ä 150'.
Telegea 1 ä 150', 8 ä 72'. Crikow 2 ä 120'. Prahova 2 ä
120', 1 ä 150'. Jalomitza 2 ä 150';
Die sämmtlichen Schienen und Betriebsmittel, Locomotiven,
Tender (Fabrik Strousberg, Hannover), Drehscheiben, Weichen,
Wagen sind bereits hier. Letztere werden zum Theil in Galatz
163
und in Braila montirt. Auch Schwellen sind in grosser Quan-
tität von Deutschland über Hamburg hergebracht. Femer
eiserne Dächer, hölzerne und eiserne Fenster, hölzerne Thüren,
eiserne Wasserreservoirs sind bereits hier, und ist man fleissig
mit Montiren und Aufstellen u. s. w. beschäftigt.
Die Bahnhofsbauten sind zur Hälfte mindestens auf bei-
den Strecken bei A, a, 1 und 2 im Rohbau fertig. Die Lie-
ferung sämmtlicher Möbel hat die Firma Kronthal in
Posen übernommen.
Zum 1. Juni 1870 steht die Eröffnung dieser 68 Meilen
langen Strecken A, a, 1 und 2 in einem Steppenlande in
Aussicht.
Tecuciu-Berlad wurde im Mai begonnen und wird im
künftigen Herbst zur Eröffnung kommen, ebenso die erst im
Monat November 1869 in Angriff genommene Strecke Bukarest-
Pitesti.
Notiz über Galatz
vom dortigen preussiachen Konsul Herrn Blücher.
Galatz ist von Pest an gerechnet bis Sulina die grösste
und wichtigste Stadt an der Donau. Wenn auch aus dem
Hafen von Braila ungefähr ^^g Getreide mehr als aus Galatz
exportirt zu werden pflegt, so ist Galatz dennoch als Handels-
platz bedeutender, weil sich in Galatz der Geldmarkt, die Basis
aller Umsätze im Ex- und Import, befindet. Die Galatzer
Börse verkehrt mit allen Börsenplätzen Europas. Es existirt
sogar ein besonderer Galatzer Geldkours, der für den Napoleon
773/4 Galatzer Piaster (ä 40 Para = 2 Silbergroschen preuss.)
und den östreichischen Dukaten ä 46 Galatzer Piaster aus-
wirft. Galatz hat sich in den letzten zwanziger Jahren an
Grösse und Einwohnerzahl verdoppelt. 1850 zählte es 40,000
Einwohner und nur wenige ansehnliche Wohnhäuser, jetzt hat
es schon ganze Strassen nach europäischer Art gebauter Häuser
und circa 90,000 Einwohnpr. Brafla zählt 40,000 Einwohner
und hat sich in den letzten zehn Jahren kaum merklich ver-
grössert
11*
164
Nach allen Richtungen, sowohl nach dem Orient als
Occident, bestehen von Galatz aus Telegraphen- Verbindungen
und an dem Bau von Eisenbahnen, die alle irgendwie wichtigen
Städte des Landes unter einander verbinden werden und
hauptsächlich auch auf den Getreidetransport nach den Hafen-
städten berechnet sind, wird von Seiten des Consortiums
Dr. Strousberg mit kolossalen Kräften und Mitteln eifrig ge-
arbeitet.
Die endliche Inangriffnahme der Eisenbahnen in Rumänien
ist lediglich dem Fürsten Karl zuzuschreiben und ihm allein
zu verdanken.
Sollte das Projekt der rumänischen Regierung, bei der neu
angelegten Stadt Karlstadt am Ausflusse des Kilia-Arms ins
Schwarze Meer einen für Seeschiffe geeigneten guten Hafen her-
zustellen und denselben in Verbindung mit dem grossen europäi-
schen Eisenbahnnetz zu setzen, ins Leben treten , so könnte da-
durch wohl die Thatsache hervorgerufen werden, dass dann diese
Hafenstadt (Karlstadt) zwar zum örtlichen Nachtheile von Galatz,
wohl aber zum grossen V ortheile für ganz Rumänien, bedeutend
in den Vordergrund träte. Dass es aber der rumänischen Re-
gierung vollkommen 'Ernst ist mit diesem Projekte, beweist
wohl der Umstand zur Genüge, dass bereis die Vorarbeiten,
Anschläge u. s. w. zu einer Eisenbahn von Galatz nach Karl-
stadt bewirkt worden sind. Am meisten möchte dabei die
neue Hafenstadt Sulina beeinträchtigt werden.
* ♦ *
Skizzen und Bilder
aus den Ländern an der unteren Donau.
(Aus der Posener Zeitung wieder abgedruckt, Jahrgang 1870, Nr. 4.)
tlerr Geheimer und Ober-Regierungsrath Bitter hat vier Jahre an
der unteren Donau in hoher amtlicher Preussischer Stellung gelebt und
die Gelegenheit benutzt, sich mit den dortigen Verhältnissen gründlich
bekannt zu machen. Einen Theil seiner Beobachtungen hat derselbe in
einem Vortrage wiedergegeben, welchen er am 4. d. M. in der Aula des
königlichen Friedrich- Wilhelm-Gymnasiums zum Besten des Diakonissen-
Vereins hielt. Berichterstatter, aus eigener Anschauung mit den Ländern
an der unteren Donau bekannt, ist mit gespanntester Theilnahme dem
interessanten Vortrage gefolgt und liefert hiermit einen kurzen Auszug
aus demselben.
Wir wollen uns bemühen, die Gliederung des Vortrages unseren
Lesern zu veranschaulichen. Der erste Theil enthielt eine Schilderung
der Reise von Pest nach Sulina, wo die kanalisirte Sulina in das Schwarze
Meer mündet. Redner gab eine Schilderung der Reisegesellschaft, welche
man auf den sonst so komfortablen Eilbooten der D. Dampfschifffahrts-
gesellschaft antrifft. Der geringste Theil davon gehört der gebildeten
Welt an. Die Mehrzahl besteht aus jenen unverschämten Burschen,
welche dem Kaufmannsstande der Städte Bukarest, Jassy, Galatz, Odessa
und Konstantinopel angehören, zum überwiegenden Theile Europa als
Betrüger oder Bankerotteurs verlassen haben und in ihrer neuen Heimath
das Geschäft mit Glück fortsetzen. Ausserdem begegnet man einigen
wüsten Bojaren, die sich „Mon Prince** oder „Votre Excellence" anreden
lassen; selten fehlt eine italienische, an europäischen Bühnen nicht mehr
zulässige Opemgesellschaft, ein Iiäpressario mit einigen Sängerinnen, die
für seine Töchter oder Nichten gelten.
Die gelben Gesichter mit ihren glühenden Augen und schwarzen
Barten, der Dampf der Zigaretten, welche auch bei den Damen selten
ausgehen, verbinden sich mit einer Sündfluth von Sprachen, von denen
imgarisch, griechisch, deutsch, italienisch, französisch, englisch, russisch,
166
slawisch, walachisch und wienerisch die gebräuchlichstepi sind. Wie frei
fühlt man sich, wenn maai, aus dem wüsten Gewirr des Salons heraus-
tretend, von dem Verdeck des Schiffes aus den weiten Horizont über-
blicken kann, der sich oft bis in unübersehbare Ferne ausbreitet; wenn
man den mächtigen Strom unter sich rauschen hört und die Ufer mit
ihrer Geschichte zu sich reden lässt. Mit dem Gefühl ehrerbietiger, fast
andächtiger Bewunderung sieht man zwischen Moldova und Drenkova,
so wie bei Tum-Severin aus dem schattigen Grün der Ufer die grauen
Thürme hervorragen, welche, der glänzendsten Zeit des römischen Kai-
serreichs entstammend, einst den von Trag an und Hadrian erbauten Brücken
zum Schutze dienten.
Redner gab darauf eine Schilderung der Passage, welche man „das
eiserne Thor* nennt. Nichts gleicht der wildromantischen Schönheit
dieser Stelle des Donauthals. Diese grauen zerklüfteten, hoch in die
Luft ragenden Felsen zeigen noch heute in ihren mit dem Grün einer
reichen Vegetation bekränzten malerischen Formen die von keiner Kultur,
von keiner menschlichen Nähe veränderte ürgestalt. Die Oede und Ein-
samkeit dieser Gegenden, in denen Bären und Wölfe hausen, während
hoch in der Luft riesige Adler ihre Kreise ziehen, ist nur durch den
majestätischen Strom belebt.
Hierauf folgte die Schilderung der drei Donau-Katarakten und der
Fahrt über dieselben bis Tum-Severin und die Donau abwärts bis Braila,
wo das -Auge durch einen Wald von Masten angenehm überrascht wird.
Daran schloss sich eine Beschreibung der ertlichkeiten und des gross-
artigen Handelsverkehrs von Braila und Galatz, wo ein jährlicher Umsatz
von mehr als hundert Millionen preussischer Thaler stattfindet.
Im zweiten Theil gab Redner eine Schilderung der Oertlichkeit von
und um Galatz, so wie die der dort herrschenden Entsittlichung. In den
Strassen von Galatz wühlt im dichtesten Gemisch eine bunte Bevölkerung
von Griechen, Türken, Bulgaren, Europäern, Moldauern, Trödlern und
Zigeunern hin und her. Die Karossen mit ihren kleinen Kosakenpferdchen
jagen wild durch das Gewühl ; lange karawanenartige Züge von mit Ochsen
bespannten Wagen führen Getreide vom Lande in die Stadt und an den
Hafen, und die unvermeidlichen Schweine und Hunde wandern mit mageren
Kühen und finsterblickenden Büffeloehsen im Bunde einher, um sich
aus den zahllosen Schmutz- und Kehrichthaufen ihre Nahrung zu suchen.
Ueber diesem Wirrwarr schwebt ein feiner Staub, der von jedem Wagen
zu dicken Wolken aufgejagt wird. Alles bedeckt und durchdringt, Men-
schen, Vieh, Gebäude, Gras, Blätter, Schweine, Hunde, Büffelochsen und
Zigeuner.
Die Schilderung eines Spazierganges ins Freie übergehen wir.
Redner sprach sodann über die ethische Seite der dortigen gesellschaüt-
167
liehen Zustände, die einen tiefen sittlichen Abgrund büden und den Ver-
fall dessen, was für uns heilig und verehrungswürdig ist. Er führte an,
wie der Klerus der griechischen Kirche für Geld jede Ehe löst und zu-
sammenfügt; daher es selbst in der besseren Gesellschaft Frauen giebt,
welche den vierten Mann, Männer, welche die fünfte oder sechste Frau
haben und mit früheren Gatten und Gattinnen ganz gemütblich verkehren.
Man denke sich aus allen diesen verschiedenen Ehen Kinder, welche in
der Regel zwischen den Eltern bei der Scheidung nach dem Geschlechte
getheilt werden, und man kann sich einen Begriff von der ungeheuren
Verwirrung der Verhältnisse machen, welche in solchen Familien herrscht,
so wie «von den Prozessen und Streitigkeiten , in welche die Kinder aus
allen diesen verschiedenen Ehen nach dem Tode der Eltern verwickelt
werden.'
Im dritten Theile seines Vortrages gab der Redner die Schilderung:
1) einer Trauung in den höheren Ständen, 2) eines Begräb-
nisses, 3) der Wasserweihe am heiligen Drei -Königs- Tage , 4) der
Hafenstadt Sulina, 5) eines Ausfluges in das Innere des Donau-Delta nach
dem Dorfe Kara-Orman.
1) Ein Oberst und Kommandeur eines dortigen Infanterie-Regiments
hatte mich zu seiner Hochzeit mit der Tochter eines reichen Bojaren
eingeladen. Die Trauung fand nach dem griechischen Ritus statt. In
der Mitte des ungeschmückten Zimmers, wo die Trauung vor sich gehen
sollte, stand ein runder Tisch ohne Decke. Vier Kerzen auf gewöhn-
lichen Leuchtern und ein Kruzifix, ein kleiner Kelch mit dem Wein, ein
grosses und zwei kleine Messbücher bildete die kirchliche Ausschmückung.
Die Braut trug eine Robe von weisser Seide, welche aus Paris direkt
verschrieben war. Auf Geschmack und Eleganz kommt es dort bei der
Damentoilette viel weniger an, als darauf, dass der Preis exorbitant ist,
um damit andere weniger reich situirte Frauen bei Gelegenheit niederzu-
schmettern. Die Braut trug auf dem Kopfe einen Kranz von Orange-
blüthen und statt des Schleiers einen langen Schweif von Goldfäden, der
bis auf den Gürtel herabfiel. Zwei ältere weibliche Verwandte lösten
aus diesem Goldschweif so viel kleine Büschel von Goldfäden, als unver-
heirathete Personen beiderlei Geschlechts anwesend waren; diese Gold-
fäden wurden den unverheiratheten Personen mit einigen Redensarten an
der Brust befestigt. Dann erschien der Erzpriester mit vier Popen in
prachtvollen, von Gold strotzenden £[irchengewändem. Das Brautpaar
trat vor den Tisch, nachdem die Kerzen angezündet waren. Vater und
Mutter der Braut standen neben ihr im Nationalkosttlm. Jede dieser
beiden grotesken Erscheinungen erhielt aus den Händen des Erzpriesters
eine angezündete, vergoldete, mit Blumen und Bändern verzierte Kerze,
wofür sie mit vielen Verbeugungen dankten. Dann nahm der Erzpriester
168
ein Eauchfass, womit er den Tisch, Braut, Bräutigam, Vater, Mutter und
die nahe stehenden Personen beräucherte, indem er einen furchtbaren
Qualm verbreitete. Der Erzpriester nahm die beiden Trauringe, bekreuzte
und segnete sie ein. Dann berührte er dem Bräutigam mit dem geweih-
ten Ringe dreimal die Brust, ebenso verfuhr er mit der Braut; unter
fortwährendem Kreuzschlagen und Händeküssen erhielten endlich beide
die Ringe, die leider nicht passen wollten und durch andere ungeweihte
ersetzt werden mussten. Dann setzte der Erzpriester eine der grossen
Blumenkronen aus gemachten Blumen dem Bräutigam auf das Haupt,
dessen kriegerisches Aeussere in der glänzenden Staatsuniform durch die
mähnenartig herabfallenden breiten rothen Bänder in eigenthümlicher
Weise modifizirt wurde. Eine ähnliche Krone wurde der Braut auf dem
Haupte befestigt. Es erhielt darauf der Oberst unter vielen Zeremonien
den Bokal, darauf die Braut, dann der Vater und die Mutter, worauf das
Brautpaar zum Kuss an das mit der geweihten Hostie versehene Kruzifix
zugelassen wurde, bei welcher Veranlassung alle fünf Priester mit lauter
näselnder Stimme eine Art Lobgesang anstimmten. Dann ergriff ein
Priester eine brennende Kerze vom Tisch und führte einen Rundtanz
um den Tisch aus, dem sich die ganze Gesellschaft, das Brautpaar und
die Eltern voran, anschloss. Später wurden auf die Zuschauer ganze
Ströme von Zuckerwerk ausgeschüttet, die wie Hagel einschlugen und zum
Theil empfindlich trafen. Am Schlüsse wurde die Gesellschaft gehörig
beräuchert und exorcisirt. Zuletzt folgten die unvermeidlichen Beglück-
wünschungsverbeugungen und Händedrücke.
2) Die Bestattung der Todten geschieht wegen der dortigen klimati-
schen Verhältnisse sehr eilig. Um so freigiebiger ist man mit der Schau-
stellung 'des Schmerzes und den Formen der Trauerzeremonien. Die
Militärmusik in Paradeuniform eröffnet den Zug und spielt einen Trauer-
marsch. Dann folgt eine Anzahl Männer, welche in breiten Körben
Kuchen, Früchte und Wein als Speise und* Trank für den Verstorbenen
auf ihren Köpfen tragen. Ihnen folgen zerlumpte Knaben mit den Pro-
zessionskreuzen und bunten Fahnen. Hinter ihnen trägt ein Mann auf
dem Kopfe den Sargdeckel. Dann folgt eine Unzahl Priester, die im
Sterbehause, wo ein Trauergottesdienst abgehalten worden ist, reichlich
bewirthet worden sind, so dass ihr Gang nicht immer korrekt und sicher
ist. Sie tragen prachtvoll gestickte Kirchenornate über ihren unsauberen
Kleidern und singen im Gehen einen Todtengesang. Dann folgt der
Leichenwageu, der roth dekorirt, reich mit goldenen Tressen und Frsni-
zen besetzt ist, so dass man ihn leicht für den nachgelassenen Triumph-
wagen eines asiatischen Dynasten halten könnte. An seinen vier Ecken
erheben sich vergoldete Säulen, welche einen rothen, von goldenem Be-
sätze strahlenden Baldachin tragen. Unter diesem befindet sich der offene
169
Sarg, die darin ruhende Leiche ist mit einer reich in Gold gestickten
Decke aus schwerem Stoffe bedeckt. An die vier Säulen des Wagens
lehnen sich vier karyatidenartig aussehende schwarzgekleidete Männer,
welche weisse Tücher schwenken. Dasselbe thun die übrigen folgenden
Leidtragenden, deren jeder eine vergoldete brennende Kerze trägt. Dann
folgen die gemietheten Klageweiber, oft in ungeheurer Zahl. An den
Hauptstrassen-Ecken, welche der Zug passirt, wird eine Todtenmesse ze-
lebrirt, wobei die Klageweiber mit ihrem Geheul die Luft erfüllen. Auf
dem Kirchhofe werden die Lebensmittel für den Todten in Beschlag ge-
nommen. Noch nach Jahren werden den Verstorbenen Speise- und
Trankopfer gebracht, zu deren Aufnahme auf den Gräbern verschliessbare,
vergitterte Kästen angebracht sind.
3) Das Fest der Wasserweihe findet an dem Dreikönigstage statt.
In der Regel ist dann die Donau (nach unserem Kalender am 18. Januar)
fest zugefroren, so jedoch, dass überall auf diesem Strome grosse weite
Oeffhungen vom Eise frei geblieben sind und das strömende Wasser zei-
gen. Zur Feier dieses Tages wird am Hafenquai eine Tribüne aus Eis-
stücken auf«^ebaut und mit Teppichen belegt. Ein Hauptaltar, zwei
Nebenaltäre, Heiligenbilder, Allerheiligstes und Alles, was der Ritus der
griechischen Kirche erfordert, wird aus Eisstücken hergestellt. Am Tage
des Festes rückt die ganze Garnison in Parade aus, so wie sämmtliche
Würdenträger, z. B. die fremden Konsuln, die Bojaren, kurz Alles, was
Rang und Namen besitzt. Sie stellen sich um den Altar in weitem Kreise.
Um 10 Uhr Vormittags erscheint die gesammte Priesterschaft, der Erz-
priester an der Spitze. Er trägt das Kreuz mit der geweihten Hostie
und ein zweites kleines goldenes Kreuz. Eine Messe mit Te Deum wird
gefeiert, bei deren Schluss, wenn das Allerheiligste gezeigt wird, die
Truppen präsentiren, die Musik einfällt, drei Salven abgefeuert werden,
die Kanonen donnern. Alle Anwesenden entblössen das Haupt, das dicht-
gedrängte Volk kniet nieder auf der mit Schnee bedeckten Erde. Das
kleinere goldene Kreuz wird eingesegnet und vom Erzpriester einem
Popen übergeben. Derselbe besteigt einen Kahn und fährt damit auf
einer offenen Stelle in die Donau. Es folgen ihm sofort andere Kähne,
welche von Männern mit wilden, von fanatischer Leidenschaft entflammten
Gesichtern überfüllt sind, die in ehrerbietiger Scheu den Augenblick
ängstlich erwarten, wo der Pope das Kreuz hoch in der Sonne funkeln
lässt, es küs«t und in den Strom schleudert. In diesem Augenblick erbebt
das Wasser unter der Menge wilder Gestalten, die sich Kopf über hin-
einstürzen und nach dem Kreuze suchen. Ein wildes Geschrei dringt an
das Ufer. Plötzlich taucht eine triumphirende Hand aus der Tiefe auf,
das Kreuz krampfhaft in die Höhe hebend, dann erscheint ein von lan-
gem, schwarzem Haar umflossenes Haupt mit verzerrten Zügen. Demje-
170
nigen, welcher dieses Kreuz erwischt, sind alle Sünden vergehen. £s
stürzen daher die ihn umgehenden Schwärmer auf den glücklichen Taucher
los, um ihm, so lange er noch im Wasser ist, das Kreuz zu entreissen.
Seine Freunde vom Ufer kommen ihm zu Hülfe. Es beginnt ein ver-
zweifelter Kampf. Der Sieger wird aus dem Kahne gehoben, er stürzt
mit Anspannung seiner letzten Kräfte, das Kreuz hoch erbebend, an den
Altar, und bricht dort unter dem Segen der Priester ohnmächtig zusam-
men. Alle seine Sünden sind ihm vergeben. Mit Ehrerbietung blickt
man auf ihn, als einen von Gott so sichtlich Begnadigten. Die Truppen
präsentiren. Die Priester verlassen die Eistribüne, das Volk verläuft
sich in Schänken.
4) Im Hafen von Sulina herrscht ein reges Treiben. Die Flaggen
von England, Spanien, Frankreich, Amerika, Italien, Oestreich, der Türkei,
von Russland, Dänemark, Schweden, Norwegen, Norddeutschland wehen
im bunten Gemisch mit denen von Serbien und Rumänien. Der mecklen-
burgische Ochsenkopf begrüsst dort freundlich den siebengestimten rothen
Ochsenkopf der Moldau. Dabei herrscht ein ungeheurer Lärm. Alles,
was gethan wird, geschieht mit äusserster Anspannung der Lungen. Das
Terrain um Sulina besteht aus feinem Sande, den die Winde hier zu-
sammengeweht haben. Von landwirthschaftlicher oder Garten-Kultur ge-
wahrt man keine Spur.
Die von den Schiffern in hohem Grade gefürchtete Bevölkerung be-
steht fast ausschliesslich aus Männern, sie enthält den Abschaum und
Auswurf des europäischen Orients, mit sonnverbrannten wilden Gesichtern
mit und ohne Turban, glühenden Augen und entschlossenen Zügen. Die
Kaffee-, Wein- und Branntwein-Buden, aus welchen die Mehrzahl der
Hütten besteht, sind stets überfüllt. Ein wildes, wüstes Geschrei tönt
daraus hervor. Zwischen ihnen auf offener Strasse 'sind Roulette-Tische
aufgestellt. Um sie versammelt sich, was der raffinirteste Betrug und
die auf das äusserste angespannte, im Orient schon an sich so lebhaft
hervortretende, Leidenschaft zu zeigen vermag. Mord und Beraubung
sind an der Tagesordnung. Als das Donau -Delta in Folge des Krimm-
Krieges der Türkei zugesprochen wurde, erliess der neue Kaimakan eine
Verordnung, worin es hiess: „Es ist verboten, am Tage in den Strassen
von Sulina zu morden.^
Der Kirchhof liegt hart am Meeresstrande. Sein Boden besteht
aus losem Triebsande, der von den Winden hin- und hergepeitscht wird.
Wenn diese Winde in der Stärke von Nordostwinden auftreten, so wühlen
sie die lose Erdbedeckung von den Gräbern auf und treiben sie fort. Es
kommen dann die halbverwesten Leichen (der Luxus der Särge kommt
hier selten zur Anwendung) an das Tageslicht. Der Geruch der Leichen
zieht die Hunde von Sulina heran, welche heulend und winselnd um den
171
traurigen Ort herumschleichen, bis die Dunkelheit der Nacht ihnen ge-
stattet, ungestraft und nnverfolgt ihre widrige Mahlzeit zu beginnen. Es
ist ein schauerlicher Anblick, wenn man an solchen Tagen über die Stätte
des Todes dahinschreitet , und einem aus den geöffneten Gräbern jene
grausenvollen Erscheinungen anstarren. |Aber der nächste Tag wirbelt
schon wieder so hohe Sandmassen daher, dass die Gräber wieder zuge-
deckt werden und die Erinnerung an jene verunstalteten Leichen nur wie
ein wüster Traum zurückbleibt.
5) Am 27. Dezember 1858 unternahm der Vortragende mit drei
seiner damaligen Kollegen von Sulina aus eine Exkursion in das Donau-
Delta auf zwei niedrigen hölzernen, mit kleinen Pferden bespannten Wagen.
Selbst die Räder waren nicht mit Eisen beschlagen und unvollkommen
abgerundet, so dass ^e Reisenden auf den holprigen Wegen beim Galopp
der Pferde entsetzliche Stösse erlitten. Der Weg führte 2V2 Meilen hart
am Meeresstrande über unfahrbare Dünen, die zum Theil mit Schiffs-
trümmem bedeckt sind. Die Fahrt ist daher nur auf dem unter der
letzten Meereswelle befindlichen festen Sande möglich, und die Pferde
gingen mitunter bis zum Bauch im Meereswasser. Endlich nach fast
dreistündiger Fahrt an dem Meeresstrande bog eine Art von Weg in das
Land hinein. Er schlängelt sich auf einem trockenen Sandrücken durch
das Rohr dahin. Wir stiegen vom Wagen, um unsere zermarterten Glie-
der durch Gehen wieder in ihre natürlichen Funktionen zurück zu ver-
setzen. Wir wanderten durch zwölf bis fünfzehn Fuss hohe Rohrwände.
Gegen vier Uhr kam uns ein Reiter, der Starost des Dorfes Kara-Orman»
entgegen, um uns den Weg zu zeigen; er war von unserer Ankunft vorher
benachrichtigt worden.
Wir mussten jetzt mehrere mit schwarzem Meerwasser bedeckte
Flächen passiren. Plötzlich standen unsere übermüdeten Pferde still und
waren weder durch Flüche noch durch Peitschenhiebe für lange Zeit aus
der Stelle zu bringen. Endlich erbarmten sie sich unser und schleppten
uns weiter. Plötzlich hörten wir in unserer Nähe ein lautes Geprassel
und sahen die lichten Flammen uns entgegen schlagen. Eine unerwartete
Wendung des Weges ffthrte uns gerade dem Feuermeer entgegen, das
vom brennenden Schilfrohr genährt wurde. Eine erstickende Gluth um-
wehte uns. Doch bald befanden wir uns auf einer bereits abgebrannten,
von der Flamme verlassenen Fläche, auf der die erlöschende Gluth keine
weitere Beschwerden uns verursachte. Wir hatten die Wasser- und die
Feuerprobe bestanden. Hundegebell verkündete endlich die Nähe des
Dorfes, dessen Starost uns am Eingange zu Fuss erwartete und uns in
sein Prachtzimmer führte, das rings herum mit roh gewirkten Teppichen,
buntgestickten Tüchern, heiligen Bildern und geweihten Blumen behan-
gen war. Auf dem Tische stand Brot und Salz und ein brennendes Talg-
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licht. Unsere Nachtruhe fanden wir auf einer schmalen hölzernen Bank,
die an der Wand entlang lief.
Das Dorf Eara-Orman enthält 70 Häuser, eine Kirche und zwei
Windmühlen. Die Häuser sind aus Lehm gebaut, mit Bohr gedeckt,
weiss angetüncht. Unmittelbar dahinter breiten alte Eichen des anstossen-
den Waldes ihre knorrigen Zweige aus. Die Bewohner des Dorfes sind
sämmtlich Russen.
Der Wald gleicht einem vollkommenen Urwald. Dichtes Gebüsch
versperrt den Weg. Im Frühjahr ist der Rasen dieses Waldes mit Rosen
bedeckt, Päonien glühen in grossen Büschen durch das dunkle Laub,
Jasmin und blühende Linden verbreiten einen betäubenden Duft
Gegen 11 Uhr Vormittags waren unsere Geschäfte beendet, wir
konnten unsere Rückreise antreten, die wir mit frischen Pferden auf einem
ganz anderen Wege als dem, worauf wir gekommen waren, antraten.
Wiederum mussten wir das Feuermeer passiren, mit nicht geringer Gefahr
für unser Leben. Endlich in später Abendstunde erreichten wir unser
Schiff, wo wir nach langer Entbehrung und ermüdender Anstrengung die
wohlbesetzte Tafel freudig begrüssten.
Der fttnfviertelstündige Vortrag wurde von der zahlreichen Zuhörer-
schaft, worunter sich die höchsten Spitzen unserer Militär- und Zivilbe-
hörden mit ihren Damen befanden, mit gespanntester Aufmerksamkeit
und allseitiger Befriedigung entgegengenommen.